Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Tendenzen auch bei der Parteileitung in den Hintergrund treten, oder, wenn Es ist nötig, gegeuüber den in den Oppvsitiousblättcrn bereits wieder in Was bringt nun die Opposition gegen die Verlängerung der Giltigkeit Tendenzen auch bei der Parteileitung in den Hintergrund treten, oder, wenn Es ist nötig, gegeuüber den in den Oppvsitiousblättcrn bereits wieder in Was bringt nun die Opposition gegen die Verlängerung der Giltigkeit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0394" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197818"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1165" prev="#ID_1164"> Tendenzen auch bei der Parteileitung in den Hintergrund treten, oder, wenn<lb/> dies nicht geschieht, dnß die ihren Führern blindlings folgenden Massen zu der<lb/> Einsicht gelangen, daß auf demi Wege einer gewaltsamen Änderung der bestehenden<lb/> Staats- und Gesellschaftseinrichtungen kein Heil zu erwarten ist. Dieser Zeit¬<lb/> punkt erscheint aber den verbündeten Regierungen noch nicht gekommen, und<lb/> sie wollen daher eine Verantwortung dafür uicht übernehmen, jetzt durch Ver¬<lb/> zicht auf die Fortdauer des Gesetzes deu Agitationen der Umsturzpartei wieder<lb/> die Wege frei zu machen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1166"> Es ist nötig, gegeuüber den in den Oppvsitiousblättcrn bereits wieder in<lb/> allen Tonarten vorgetragenen Klagen über Unterdrückung der freien Meinungs¬<lb/> äußerung und Verdächtigungen der Tendenz des Gesetzentwurfes darauf hinzu¬<lb/> weisen, daß das ganze Sozialistengesetz überhaupt nur gegen diejenigen gemein¬<lb/> gefährlichen Bestrebungen gerichtet ist, welche den Umsturz der bestehenden<lb/> Staats- oder Gesellschaftsordnung bezwecken. Keine Handlung, keine Äußerung,<lb/> kein Bestreben wird durch dasselbe getroffen, wenn sie anf dem Boden der be¬<lb/> stehenden Staats- und Gesellschaftsordnung eine Änderung der bestehenden<lb/> Einrichtungen bezwecken, und daß gerade die Regierung es ist, welche anf<lb/> demi Boden der bestehenden Staatsordnung fußender berechtigten Ansprüchen<lb/> der Arbeiter das vollste Verständnis entgegenbringt, hat sie durch die ihrer<lb/> Initiative zu verdankenden sozialreformalorischeu Vorschläge deutlich gezeigt.<lb/> Wer also nicht die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung mit Gewalt,<lb/> d. h. durch Mord, Brand und ähnliche Mittel, umstürzen will, der kann auch<lb/> unter dem Sozialistengesetze reden, schreiben, thun, was er will, ohne unter seine<lb/> Strafbestimmungen zu fallen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1167" next="#ID_1168"> Was bringt nun die Opposition gegen die Verlängerung der Giltigkeit<lb/> eines Gesetzes vor, dessen dauernder Bestand angesichts der oben hervorgehobenen<lb/> Grundtendenz sich eigentlich von selbst verstehen sollte? Seit Jahr und Tag<lb/> hat sich, wie sie sagt, nicht nur in dem europäischen Proletariat überhaupt,<lb/> sondern insbesondre auch in dem deutscheu Arbeiterstande eine mächügc Regung<lb/> geltend gemacht, die ganze Kraft zunächst auf die Gewerkschaftsbewegung und<lb/> die Fabrikgesetzgebung zu richten. Diese Regung würde nach ihrer Behauptung<lb/> durch die Aufhebung des Sozialistengesetzes einen gewaltigen und voraussichtlich<lb/> unwiderstehlichen Aufschwung gewinnen. Bleibe aber die Ausnahmemaßregel<lb/> bestehen, dann sei die Umsturzpartei wieder oben auf; deun die politische und<lb/> soziale Freiheit wollten die Arbeiter alle, und solange ihnen dieselbe versagt sei,<lb/> blieben dieselben revolutionär. Solange es eine Weltgeschichte gebe, sei noch<lb/> niemals der Fall vorgekommen, daß eine unter ein Ausnahmegesetz gestellte<lb/> Klasse der Bevölkerung, sei es welche es wolle, gegen den das Ausnahmegesetz<lb/> verhängenden Staat anders als revolutionär gesinnt gewesen wäre. Nach der<lb/> Behauptung der Opposition soll die Fortdauer der Geltung des Sozia¬<lb/> listengesetzes für die Regierung nur dazu nötig sein, um ihre Politik der</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0394]
Tendenzen auch bei der Parteileitung in den Hintergrund treten, oder, wenn
dies nicht geschieht, dnß die ihren Führern blindlings folgenden Massen zu der
Einsicht gelangen, daß auf demi Wege einer gewaltsamen Änderung der bestehenden
Staats- und Gesellschaftseinrichtungen kein Heil zu erwarten ist. Dieser Zeit¬
punkt erscheint aber den verbündeten Regierungen noch nicht gekommen, und
sie wollen daher eine Verantwortung dafür uicht übernehmen, jetzt durch Ver¬
zicht auf die Fortdauer des Gesetzes deu Agitationen der Umsturzpartei wieder
die Wege frei zu machen.
Es ist nötig, gegeuüber den in den Oppvsitiousblättcrn bereits wieder in
allen Tonarten vorgetragenen Klagen über Unterdrückung der freien Meinungs¬
äußerung und Verdächtigungen der Tendenz des Gesetzentwurfes darauf hinzu¬
weisen, daß das ganze Sozialistengesetz überhaupt nur gegen diejenigen gemein¬
gefährlichen Bestrebungen gerichtet ist, welche den Umsturz der bestehenden
Staats- oder Gesellschaftsordnung bezwecken. Keine Handlung, keine Äußerung,
kein Bestreben wird durch dasselbe getroffen, wenn sie anf dem Boden der be¬
stehenden Staats- und Gesellschaftsordnung eine Änderung der bestehenden
Einrichtungen bezwecken, und daß gerade die Regierung es ist, welche anf
demi Boden der bestehenden Staatsordnung fußender berechtigten Ansprüchen
der Arbeiter das vollste Verständnis entgegenbringt, hat sie durch die ihrer
Initiative zu verdankenden sozialreformalorischeu Vorschläge deutlich gezeigt.
Wer also nicht die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung mit Gewalt,
d. h. durch Mord, Brand und ähnliche Mittel, umstürzen will, der kann auch
unter dem Sozialistengesetze reden, schreiben, thun, was er will, ohne unter seine
Strafbestimmungen zu fallen.
Was bringt nun die Opposition gegen die Verlängerung der Giltigkeit
eines Gesetzes vor, dessen dauernder Bestand angesichts der oben hervorgehobenen
Grundtendenz sich eigentlich von selbst verstehen sollte? Seit Jahr und Tag
hat sich, wie sie sagt, nicht nur in dem europäischen Proletariat überhaupt,
sondern insbesondre auch in dem deutscheu Arbeiterstande eine mächügc Regung
geltend gemacht, die ganze Kraft zunächst auf die Gewerkschaftsbewegung und
die Fabrikgesetzgebung zu richten. Diese Regung würde nach ihrer Behauptung
durch die Aufhebung des Sozialistengesetzes einen gewaltigen und voraussichtlich
unwiderstehlichen Aufschwung gewinnen. Bleibe aber die Ausnahmemaßregel
bestehen, dann sei die Umsturzpartei wieder oben auf; deun die politische und
soziale Freiheit wollten die Arbeiter alle, und solange ihnen dieselbe versagt sei,
blieben dieselben revolutionär. Solange es eine Weltgeschichte gebe, sei noch
niemals der Fall vorgekommen, daß eine unter ein Ausnahmegesetz gestellte
Klasse der Bevölkerung, sei es welche es wolle, gegen den das Ausnahmegesetz
verhängenden Staat anders als revolutionär gesinnt gewesen wäre. Nach der
Behauptung der Opposition soll die Fortdauer der Geltung des Sozia¬
listengesetzes für die Regierung nur dazu nötig sein, um ihre Politik der
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