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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Gladstone und die irische Frage.

wir die Besorgung rein irischer Angelegenheiten anvertrauen könnten? Das ist
die Frage, welche Gladstone und seine Amtsgenossen prüfen wollen. Können
sie sich dabei über ein bestimmtes Verfahren einigen, so wird es ihre nächste
Pflicht sein, es dem Unterhause zur Genehmigung vorzulegen. Gladstones Haupt-
nussicht auf Gelingen würde darin liegen, daß er eine Idee, vielleicht schon
einen grundzüglich feststehenden Plan, zur Beruhigung Irlands durch geschickte
Beseitigung des Gruudherrentums hätte- Bei der Lösung dieser Aufgabe wäre
er unzweifelhaft vorteilhafter gestellt als sein Vorgänger Salisbury. Er ist
der Führer fast der Hälfte des Unterhauses, während jener nicht viel mehr als
ein Drittel hinter sich sah. Er gebietet in finanziellen Angelegenheiten über ein
Ansehen und Vertraue", welches über seiue eigne Partei hinausreicht. Es würde
ihm leicht fallen, sich den Beifall des Landes zu gewinnen, wenn er mit einem
Plane hervorträte, der die Expropriation der irischen Gutsherren gegen eine
Entschädigung, aber ohne offenbaren Verlust für den englischen Staatssäckel, be¬
zweckte. Wenn es ihm gelänge, die irischen Bauern praktisch zu Freisassen zu
machen, wenn er sie von allen Zahlungen für ihr Land, ausgenommen die an
eine nationale Behörde in Dublin zu entrichtenden befreite, wenn in Zukunft weder
Protestantische Gutsherren noch englische Beamte ein Recht hätten, sich mit ihnen
zu befassen, so würde, wie es scheint, der irische Sumpf bis zu seiner tiefsten
Stelle ausgetrocknet sein.

Wie viele Millionen Pfund die Sache kosten würde, ist ungewiß. Auf
jeden Fall hat man in der Summe, die vom Reichssückel für irische Sonder-
zwecke gezahlt wird, ein jährliches Einkommen, mit welchem die Zinsen sür das
erforderliche Kapital zu bestreiten wäre". Diese Summe beträgt nahezu vier
Millionen Pfund. Zöge man sie zurück, so hätte die neue oberste Verwaltungs¬
behörde Irlands die Kosten für die Gerichte, die Polizei, das Unterrichtswesen
und die öffentlichen Ämter und Arbeiten zu tragen. Um diesen Ausgaben be¬
gegnen zu können, müßte dieselbe die Stelle der Gutsherren einnehmen und in
deren Rechte zum Empfange von Pachtgeldern eintrete", welche die Herren nach
Belieben herabsetzen könnten. Es würde eine Art poetischer Gerechtigkeit darin
liegen, wenn man auf solchem Wege die Homeruler zu den alleinigen Guts¬
herren in Irland machte, die vielleicht bald einer neuen Bewegung für Ver¬
minderung der Pachtzinsen ins Gesicht zu sehen haben würden.

Aber warum diese Umwandlung, diese große finanzielle Operation, diese
Revolution der Verwaltung? Die Antwort lautet einfach: Der Parteigeist, die
Nebenbuhlerschaft der Parteien in England, hat dem Führer der Homeruler die
Macht verschafft, zu fordern, daß Irland sich selbst regiere, und dies kann ihm
nicht ohne die Furcht zugestanden werden, daß es unausbleiblich zur Beraubung
der irischen Gutsherren führen werde. Schnelldenker lösen die Hauptfrage mit
dein Rate: So gebt den Irländern eine kanadische Verfassung. Hier tritt aber
zunächst die Schwierigkeit in den Weg, daß Kanada nicht die Unabhängigkeit


Gladstone und die irische Frage.

wir die Besorgung rein irischer Angelegenheiten anvertrauen könnten? Das ist
die Frage, welche Gladstone und seine Amtsgenossen prüfen wollen. Können
sie sich dabei über ein bestimmtes Verfahren einigen, so wird es ihre nächste
Pflicht sein, es dem Unterhause zur Genehmigung vorzulegen. Gladstones Haupt-
nussicht auf Gelingen würde darin liegen, daß er eine Idee, vielleicht schon
einen grundzüglich feststehenden Plan, zur Beruhigung Irlands durch geschickte
Beseitigung des Gruudherrentums hätte- Bei der Lösung dieser Aufgabe wäre
er unzweifelhaft vorteilhafter gestellt als sein Vorgänger Salisbury. Er ist
der Führer fast der Hälfte des Unterhauses, während jener nicht viel mehr als
ein Drittel hinter sich sah. Er gebietet in finanziellen Angelegenheiten über ein
Ansehen und Vertraue», welches über seiue eigne Partei hinausreicht. Es würde
ihm leicht fallen, sich den Beifall des Landes zu gewinnen, wenn er mit einem
Plane hervorträte, der die Expropriation der irischen Gutsherren gegen eine
Entschädigung, aber ohne offenbaren Verlust für den englischen Staatssäckel, be¬
zweckte. Wenn es ihm gelänge, die irischen Bauern praktisch zu Freisassen zu
machen, wenn er sie von allen Zahlungen für ihr Land, ausgenommen die an
eine nationale Behörde in Dublin zu entrichtenden befreite, wenn in Zukunft weder
Protestantische Gutsherren noch englische Beamte ein Recht hätten, sich mit ihnen
zu befassen, so würde, wie es scheint, der irische Sumpf bis zu seiner tiefsten
Stelle ausgetrocknet sein.

Wie viele Millionen Pfund die Sache kosten würde, ist ungewiß. Auf
jeden Fall hat man in der Summe, die vom Reichssückel für irische Sonder-
zwecke gezahlt wird, ein jährliches Einkommen, mit welchem die Zinsen sür das
erforderliche Kapital zu bestreiten wäre». Diese Summe beträgt nahezu vier
Millionen Pfund. Zöge man sie zurück, so hätte die neue oberste Verwaltungs¬
behörde Irlands die Kosten für die Gerichte, die Polizei, das Unterrichtswesen
und die öffentlichen Ämter und Arbeiten zu tragen. Um diesen Ausgaben be¬
gegnen zu können, müßte dieselbe die Stelle der Gutsherren einnehmen und in
deren Rechte zum Empfange von Pachtgeldern eintrete», welche die Herren nach
Belieben herabsetzen könnten. Es würde eine Art poetischer Gerechtigkeit darin
liegen, wenn man auf solchem Wege die Homeruler zu den alleinigen Guts¬
herren in Irland machte, die vielleicht bald einer neuen Bewegung für Ver¬
minderung der Pachtzinsen ins Gesicht zu sehen haben würden.

Aber warum diese Umwandlung, diese große finanzielle Operation, diese
Revolution der Verwaltung? Die Antwort lautet einfach: Der Parteigeist, die
Nebenbuhlerschaft der Parteien in England, hat dem Führer der Homeruler die
Macht verschafft, zu fordern, daß Irland sich selbst regiere, und dies kann ihm
nicht ohne die Furcht zugestanden werden, daß es unausbleiblich zur Beraubung
der irischen Gutsherren führen werde. Schnelldenker lösen die Hauptfrage mit
dein Rate: So gebt den Irländern eine kanadische Verfassung. Hier tritt aber
zunächst die Schwierigkeit in den Weg, daß Kanada nicht die Unabhängigkeit


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[0379] Gladstone und die irische Frage. wir die Besorgung rein irischer Angelegenheiten anvertrauen könnten? Das ist die Frage, welche Gladstone und seine Amtsgenossen prüfen wollen. Können sie sich dabei über ein bestimmtes Verfahren einigen, so wird es ihre nächste Pflicht sein, es dem Unterhause zur Genehmigung vorzulegen. Gladstones Haupt- nussicht auf Gelingen würde darin liegen, daß er eine Idee, vielleicht schon einen grundzüglich feststehenden Plan, zur Beruhigung Irlands durch geschickte Beseitigung des Gruudherrentums hätte- Bei der Lösung dieser Aufgabe wäre er unzweifelhaft vorteilhafter gestellt als sein Vorgänger Salisbury. Er ist der Führer fast der Hälfte des Unterhauses, während jener nicht viel mehr als ein Drittel hinter sich sah. Er gebietet in finanziellen Angelegenheiten über ein Ansehen und Vertraue», welches über seiue eigne Partei hinausreicht. Es würde ihm leicht fallen, sich den Beifall des Landes zu gewinnen, wenn er mit einem Plane hervorträte, der die Expropriation der irischen Gutsherren gegen eine Entschädigung, aber ohne offenbaren Verlust für den englischen Staatssäckel, be¬ zweckte. Wenn es ihm gelänge, die irischen Bauern praktisch zu Freisassen zu machen, wenn er sie von allen Zahlungen für ihr Land, ausgenommen die an eine nationale Behörde in Dublin zu entrichtenden befreite, wenn in Zukunft weder Protestantische Gutsherren noch englische Beamte ein Recht hätten, sich mit ihnen zu befassen, so würde, wie es scheint, der irische Sumpf bis zu seiner tiefsten Stelle ausgetrocknet sein. Wie viele Millionen Pfund die Sache kosten würde, ist ungewiß. Auf jeden Fall hat man in der Summe, die vom Reichssückel für irische Sonder- zwecke gezahlt wird, ein jährliches Einkommen, mit welchem die Zinsen sür das erforderliche Kapital zu bestreiten wäre». Diese Summe beträgt nahezu vier Millionen Pfund. Zöge man sie zurück, so hätte die neue oberste Verwaltungs¬ behörde Irlands die Kosten für die Gerichte, die Polizei, das Unterrichtswesen und die öffentlichen Ämter und Arbeiten zu tragen. Um diesen Ausgaben be¬ gegnen zu können, müßte dieselbe die Stelle der Gutsherren einnehmen und in deren Rechte zum Empfange von Pachtgeldern eintrete», welche die Herren nach Belieben herabsetzen könnten. Es würde eine Art poetischer Gerechtigkeit darin liegen, wenn man auf solchem Wege die Homeruler zu den alleinigen Guts¬ herren in Irland machte, die vielleicht bald einer neuen Bewegung für Ver¬ minderung der Pachtzinsen ins Gesicht zu sehen haben würden. Aber warum diese Umwandlung, diese große finanzielle Operation, diese Revolution der Verwaltung? Die Antwort lautet einfach: Der Parteigeist, die Nebenbuhlerschaft der Parteien in England, hat dem Führer der Homeruler die Macht verschafft, zu fordern, daß Irland sich selbst regiere, und dies kann ihm nicht ohne die Furcht zugestanden werden, daß es unausbleiblich zur Beraubung der irischen Gutsherren führen werde. Schnelldenker lösen die Hauptfrage mit dein Rate: So gebt den Irländern eine kanadische Verfassung. Hier tritt aber zunächst die Schwierigkeit in den Weg, daß Kanada nicht die Unabhängigkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/379>, abgerufen am 05.02.2025.