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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Japanische Künste.

der japanischen Jndustrieerzeugnisse sich in einem garnicht großen Kreise von
Motiven bewegt. Die Aufklärung hierüber verdanken wir jenem kleinen, uns
durch die Vermittlung Englands zugekommenen Buche, welches wohl als
Grammatik der japanischen Ornamentik bezeichnet werden könnte. Dasselbe ent¬
hält eine Zeichenschrift für den ungelehrten Maler auf Porzellan, Lack ?c. --
Hieroglyphen, wie sie dem Shawlweber in Indien die Farben der einzuziehenden
Fäden vorschreiben; nur wieder mit dem Unterschiede, daß der Jndier mecha¬
nisch nach der Vorschrift arbeitet, während der Individualität des japanischen
Arbeiters ein Spielraum gelassen wird. Das erwähnte Buch weist nämlich
34 Figuren auf, die durch verschiedne Kombinationen von fünf senkrechten
Strichen mit wagerechten gebildet sind, und deren jede ein bestimmtes orna¬
mentales Motiv bedeutet. Erhält z. B. der Arbeiter das Zeichen VI, so weiß
er, daß er ein Schreibepult mit allem Zubehör an Pinselbehälter, Farbcn-
schüssel ze. malen soll; W bedeutet einen Kahn, W eine Brücke, M eine Ge-
birgslandschnst, Wj einen Schwarm Vogel, link blühendes Schilf, M Schilf mit
Libellen, M Schmetterlinge, MI zwei Papierblätter mit Pflanzenbildern, W einen
Vogel über bewaldeten Hügeln, !V die hinter Bergen aufgehende Souue, "I" einen
Fächer mit einer Epheuranke, W die Paulowninblüte. Und so hat jede dort¬
zulande beliebte Baum- oder Blumengattung, jedes Gerät, Gebäude u. f. w. ein
bestimmtes Zeichen, und der Maler führt den betreffenden Gegenstand weder
nach der Natur noch nach einer Vorlage aus, sondern konventionell, aber seine
Phantasie, sein Schönheitsgefühl, sein besondres Talent, sein Naturstudium,
sein Geschick, seine Routine verleihen dem Gemälde etwas Individuelles, es er¬
giebt sich innerhalb des, wie gesagt, ziemlich eng begrenzten Vorstellungskreises
jener unendliche Reichtum der Erscheinungen, welcher die Erzeugnisse des merk¬
würdigen Volkes so anziehend macht. Wenn wir uns dabei erinnern, daß, wie
Vivllet-le-Duc in seinem viotionimirv ein nrobillor mit Recht hervorhebt, die
Einführung gestcmzter Details für das Ornament, welche dem erfinderischen
Geiste des Arbeiters einen so großen Spielraum in der Zusammensetzung der
Teile ließen, die Mannichfaltigkeit der Verzierungen in der mittelalterlichen
Goldschmiedekunst erklärt, so erscheint es wohl der Erwüguug wert, ob und wie
die Methode der Japaner heutzutage für unsre Kunstindustrie nutzbar zu machen
wäre. Sicherlich paßt sie nicht für jede Nation. Aber dort, wo ein Reichtum
an Talenten vorhanden ist, die vielleicht nie selbständig etwas erfinden werden,
die man daher auf den Schulen zwecklos mit Kompvsitionsaufgabeu plagt, die
jedoch beweglich genug find, um das in der unumgänglich notwendigen Schule
strengen Kopirens erlernte frei umzubilden, dort wäre sie vielleicht recht am
Platze.

Der Unterschied in der Begabung ist so handgreiflich, daß ich mir nicht
erlauben würde, ihn ausdrücklich zu erwähnen, wenn man ihn nicht gerade
in der Gegenwart übersähe und sich abmühte, Dinge zu lehren, die sich nicht


Japanische Künste.

der japanischen Jndustrieerzeugnisse sich in einem garnicht großen Kreise von
Motiven bewegt. Die Aufklärung hierüber verdanken wir jenem kleinen, uns
durch die Vermittlung Englands zugekommenen Buche, welches wohl als
Grammatik der japanischen Ornamentik bezeichnet werden könnte. Dasselbe ent¬
hält eine Zeichenschrift für den ungelehrten Maler auf Porzellan, Lack ?c. —
Hieroglyphen, wie sie dem Shawlweber in Indien die Farben der einzuziehenden
Fäden vorschreiben; nur wieder mit dem Unterschiede, daß der Jndier mecha¬
nisch nach der Vorschrift arbeitet, während der Individualität des japanischen
Arbeiters ein Spielraum gelassen wird. Das erwähnte Buch weist nämlich
34 Figuren auf, die durch verschiedne Kombinationen von fünf senkrechten
Strichen mit wagerechten gebildet sind, und deren jede ein bestimmtes orna¬
mentales Motiv bedeutet. Erhält z. B. der Arbeiter das Zeichen VI, so weiß
er, daß er ein Schreibepult mit allem Zubehör an Pinselbehälter, Farbcn-
schüssel ze. malen soll; W bedeutet einen Kahn, W eine Brücke, M eine Ge-
birgslandschnst, Wj einen Schwarm Vogel, link blühendes Schilf, M Schilf mit
Libellen, M Schmetterlinge, MI zwei Papierblätter mit Pflanzenbildern, W einen
Vogel über bewaldeten Hügeln, !V die hinter Bergen aufgehende Souue, »I» einen
Fächer mit einer Epheuranke, W die Paulowninblüte. Und so hat jede dort¬
zulande beliebte Baum- oder Blumengattung, jedes Gerät, Gebäude u. f. w. ein
bestimmtes Zeichen, und der Maler führt den betreffenden Gegenstand weder
nach der Natur noch nach einer Vorlage aus, sondern konventionell, aber seine
Phantasie, sein Schönheitsgefühl, sein besondres Talent, sein Naturstudium,
sein Geschick, seine Routine verleihen dem Gemälde etwas Individuelles, es er¬
giebt sich innerhalb des, wie gesagt, ziemlich eng begrenzten Vorstellungskreises
jener unendliche Reichtum der Erscheinungen, welcher die Erzeugnisse des merk¬
würdigen Volkes so anziehend macht. Wenn wir uns dabei erinnern, daß, wie
Vivllet-le-Duc in seinem viotionimirv ein nrobillor mit Recht hervorhebt, die
Einführung gestcmzter Details für das Ornament, welche dem erfinderischen
Geiste des Arbeiters einen so großen Spielraum in der Zusammensetzung der
Teile ließen, die Mannichfaltigkeit der Verzierungen in der mittelalterlichen
Goldschmiedekunst erklärt, so erscheint es wohl der Erwüguug wert, ob und wie
die Methode der Japaner heutzutage für unsre Kunstindustrie nutzbar zu machen
wäre. Sicherlich paßt sie nicht für jede Nation. Aber dort, wo ein Reichtum
an Talenten vorhanden ist, die vielleicht nie selbständig etwas erfinden werden,
die man daher auf den Schulen zwecklos mit Kompvsitionsaufgabeu plagt, die
jedoch beweglich genug find, um das in der unumgänglich notwendigen Schule
strengen Kopirens erlernte frei umzubilden, dort wäre sie vielleicht recht am
Platze.

Der Unterschied in der Begabung ist so handgreiflich, daß ich mir nicht
erlauben würde, ihn ausdrücklich zu erwähnen, wenn man ihn nicht gerade
in der Gegenwart übersähe und sich abmühte, Dinge zu lehren, die sich nicht


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[0376] Japanische Künste. der japanischen Jndustrieerzeugnisse sich in einem garnicht großen Kreise von Motiven bewegt. Die Aufklärung hierüber verdanken wir jenem kleinen, uns durch die Vermittlung Englands zugekommenen Buche, welches wohl als Grammatik der japanischen Ornamentik bezeichnet werden könnte. Dasselbe ent¬ hält eine Zeichenschrift für den ungelehrten Maler auf Porzellan, Lack ?c. — Hieroglyphen, wie sie dem Shawlweber in Indien die Farben der einzuziehenden Fäden vorschreiben; nur wieder mit dem Unterschiede, daß der Jndier mecha¬ nisch nach der Vorschrift arbeitet, während der Individualität des japanischen Arbeiters ein Spielraum gelassen wird. Das erwähnte Buch weist nämlich 34 Figuren auf, die durch verschiedne Kombinationen von fünf senkrechten Strichen mit wagerechten gebildet sind, und deren jede ein bestimmtes orna¬ mentales Motiv bedeutet. Erhält z. B. der Arbeiter das Zeichen VI, so weiß er, daß er ein Schreibepult mit allem Zubehör an Pinselbehälter, Farbcn- schüssel ze. malen soll; W bedeutet einen Kahn, W eine Brücke, M eine Ge- birgslandschnst, Wj einen Schwarm Vogel, link blühendes Schilf, M Schilf mit Libellen, M Schmetterlinge, MI zwei Papierblätter mit Pflanzenbildern, W einen Vogel über bewaldeten Hügeln, !V die hinter Bergen aufgehende Souue, »I» einen Fächer mit einer Epheuranke, W die Paulowninblüte. Und so hat jede dort¬ zulande beliebte Baum- oder Blumengattung, jedes Gerät, Gebäude u. f. w. ein bestimmtes Zeichen, und der Maler führt den betreffenden Gegenstand weder nach der Natur noch nach einer Vorlage aus, sondern konventionell, aber seine Phantasie, sein Schönheitsgefühl, sein besondres Talent, sein Naturstudium, sein Geschick, seine Routine verleihen dem Gemälde etwas Individuelles, es er¬ giebt sich innerhalb des, wie gesagt, ziemlich eng begrenzten Vorstellungskreises jener unendliche Reichtum der Erscheinungen, welcher die Erzeugnisse des merk¬ würdigen Volkes so anziehend macht. Wenn wir uns dabei erinnern, daß, wie Vivllet-le-Duc in seinem viotionimirv ein nrobillor mit Recht hervorhebt, die Einführung gestcmzter Details für das Ornament, welche dem erfinderischen Geiste des Arbeiters einen so großen Spielraum in der Zusammensetzung der Teile ließen, die Mannichfaltigkeit der Verzierungen in der mittelalterlichen Goldschmiedekunst erklärt, so erscheint es wohl der Erwüguug wert, ob und wie die Methode der Japaner heutzutage für unsre Kunstindustrie nutzbar zu machen wäre. Sicherlich paßt sie nicht für jede Nation. Aber dort, wo ein Reichtum an Talenten vorhanden ist, die vielleicht nie selbständig etwas erfinden werden, die man daher auf den Schulen zwecklos mit Kompvsitionsaufgabeu plagt, die jedoch beweglich genug find, um das in der unumgänglich notwendigen Schule strengen Kopirens erlernte frei umzubilden, dort wäre sie vielleicht recht am Platze. Der Unterschied in der Begabung ist so handgreiflich, daß ich mir nicht erlauben würde, ihn ausdrücklich zu erwähnen, wenn man ihn nicht gerade in der Gegenwart übersähe und sich abmühte, Dinge zu lehren, die sich nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/376>, abgerufen am 05.02.2025.