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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Japanische Künste.

und Bronzevasen ?c. stellten sie Lebendes und Lebloses völlig flach, ohne Spur
von Modellirung dar -- in diese Sätze läßt sich so ziemlich das allgemein ver-
breitete absprechende Urteil einer Zeit zusammenfassen, welche aus Klassizismus
und Naturalismus ein so merkwürdiges Schönheitsgesetzbnch fabrizirt hatte.
Gegenwärtig aber schämen wir uns beinahe unsrer damaligen Vorstellung, denn
gerade was das Verhältnis der Japaner zur Malerei betrifft, haben sich inner¬
halb zweier Jahrzehnte die Ansichten gänzlich geändert. Die Japaner beherrschen
Linear- und Lnftperspektive so gut wie wir -- wenn sie wollen; Zeichenfehler
auf wohlfeilster Marktwaare, Fächern u. dergl. beweisen nichts gegen diesen Satz,
denn sie kommen ja in den entsprechenden Regionen auch bei uns vor. Was
man damals schreiende Farben nannte, nennen wir jetzt kräftige, ungebrochene;
unser Auge ist für deren harmonische Zusammenstellung wieder empfänglich ge¬
worden, und nur uoch Sonderlinge hängen dem Dogma an, daß ein feiner
Geschmack sich durch Farblosigkeit dolnmentirc. Und ebenso haben wir längst
als einen Vorzug erkannt, daß die orientalischen Völker in der gesamten Flächen¬
dekoration darauf verzichten, durch Licht, Schatten und Reflex den Schein des
Körperhaften zu erzeugen; hat doch gerade diese Erkenntnis wesentlich dazu bei¬
getragen, in Europa das Stilgefühl wieder zu wecken.

Und hier kommen wir auf einen Punkt, bei welchem wir des neuen, und
wie ich glaube, völlig berechtigten Einflusses des saxonisuie, inne werden. Wir
sind, oder besser gesagt, wir waren gewohnt, mit den Ausdrücken stilistisch und
naturalistisch so zu operiren, als ob dieselben absolute Gegensätze bezeichneten.
Der Naturalist in der dekorativen Kunst, sagten wir, entlehnt der Natur die
Formen, wie er sie dort vorfindet, und übt an den Zufälligkeiten in der Bildung
der Blumen, der Blätter, der Tiere :c. mir insoweit eine Korrektur ans, als
ihm diese durch den malerischen Effekt geboten erscheint. Der Stilist hingegen
führt die der Natur entnommenen Formen uns ihr Ideal zurück, welches in
der Natur selbst niemals erreicht wird. Der Unterschied fällt am meisten in
die Augen bei der Symmetrie, welche dein Stilisten Gesetz, der Natur aber unbe¬
kannt ist, da sie niemals die zwei Hälften eines Dinges so bildet, daß sie ein¬
ander decken. Die Ornamentik der alten Welt, die orientalischen oder in Europa
nach orientalischen Vorbildern gearbeiteten Gewebe und Stickereien u. s, w. bieten
die klassischen Beispiele der Stilisirung in ihren absolut regelmäßig gehaltenen
Akanthus-, Palmen-, Ephen- und Weinblüttern, Rosen, Granatäpfeln ?e. Aber
wenn wir ganz aufrichtig sei" wollen, müssen wir eingestehe", daß die Theorie,
wie das den Theorien schon zu ergehen pflegt, nicht selten lebendigen Schö¬
pfungen gegenüber in eine Verlegenheit geraten ist, aus welchen sie sich nur
durch Kompromisse befreien konnte. Und solche Verlegenheit erwächst in ver¬
stärktem Maße vor der japanischen Flächendekoration/ Ist die stilistisch? In
strengem Sinne häusig nicht. Die Formen sind, die nachher zu besprechenden
Ausnahmen abgerechnet, nicht förmlich stilisirt, nicht auf ihre Urform zurück-


Japanische Künste.

und Bronzevasen ?c. stellten sie Lebendes und Lebloses völlig flach, ohne Spur
von Modellirung dar — in diese Sätze läßt sich so ziemlich das allgemein ver-
breitete absprechende Urteil einer Zeit zusammenfassen, welche aus Klassizismus
und Naturalismus ein so merkwürdiges Schönheitsgesetzbnch fabrizirt hatte.
Gegenwärtig aber schämen wir uns beinahe unsrer damaligen Vorstellung, denn
gerade was das Verhältnis der Japaner zur Malerei betrifft, haben sich inner¬
halb zweier Jahrzehnte die Ansichten gänzlich geändert. Die Japaner beherrschen
Linear- und Lnftperspektive so gut wie wir — wenn sie wollen; Zeichenfehler
auf wohlfeilster Marktwaare, Fächern u. dergl. beweisen nichts gegen diesen Satz,
denn sie kommen ja in den entsprechenden Regionen auch bei uns vor. Was
man damals schreiende Farben nannte, nennen wir jetzt kräftige, ungebrochene;
unser Auge ist für deren harmonische Zusammenstellung wieder empfänglich ge¬
worden, und nur uoch Sonderlinge hängen dem Dogma an, daß ein feiner
Geschmack sich durch Farblosigkeit dolnmentirc. Und ebenso haben wir längst
als einen Vorzug erkannt, daß die orientalischen Völker in der gesamten Flächen¬
dekoration darauf verzichten, durch Licht, Schatten und Reflex den Schein des
Körperhaften zu erzeugen; hat doch gerade diese Erkenntnis wesentlich dazu bei¬
getragen, in Europa das Stilgefühl wieder zu wecken.

Und hier kommen wir auf einen Punkt, bei welchem wir des neuen, und
wie ich glaube, völlig berechtigten Einflusses des saxonisuie, inne werden. Wir
sind, oder besser gesagt, wir waren gewohnt, mit den Ausdrücken stilistisch und
naturalistisch so zu operiren, als ob dieselben absolute Gegensätze bezeichneten.
Der Naturalist in der dekorativen Kunst, sagten wir, entlehnt der Natur die
Formen, wie er sie dort vorfindet, und übt an den Zufälligkeiten in der Bildung
der Blumen, der Blätter, der Tiere :c. mir insoweit eine Korrektur ans, als
ihm diese durch den malerischen Effekt geboten erscheint. Der Stilist hingegen
führt die der Natur entnommenen Formen uns ihr Ideal zurück, welches in
der Natur selbst niemals erreicht wird. Der Unterschied fällt am meisten in
die Augen bei der Symmetrie, welche dein Stilisten Gesetz, der Natur aber unbe¬
kannt ist, da sie niemals die zwei Hälften eines Dinges so bildet, daß sie ein¬
ander decken. Die Ornamentik der alten Welt, die orientalischen oder in Europa
nach orientalischen Vorbildern gearbeiteten Gewebe und Stickereien u. s, w. bieten
die klassischen Beispiele der Stilisirung in ihren absolut regelmäßig gehaltenen
Akanthus-, Palmen-, Ephen- und Weinblüttern, Rosen, Granatäpfeln ?e. Aber
wenn wir ganz aufrichtig sei» wollen, müssen wir eingestehe», daß die Theorie,
wie das den Theorien schon zu ergehen pflegt, nicht selten lebendigen Schö¬
pfungen gegenüber in eine Verlegenheit geraten ist, aus welchen sie sich nur
durch Kompromisse befreien konnte. Und solche Verlegenheit erwächst in ver¬
stärktem Maße vor der japanischen Flächendekoration/ Ist die stilistisch? In
strengem Sinne häusig nicht. Die Formen sind, die nachher zu besprechenden
Ausnahmen abgerechnet, nicht förmlich stilisirt, nicht auf ihre Urform zurück-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/373>, abgerufen am 05.02.2025.