Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Heinrich Steinhaufen. Sein neuestes Werk sind die nunmehr auch schon in vierter Auflage vor¬ Heinrich Steinhaufen. Sein neuestes Werk sind die nunmehr auch schon in vierter Auflage vor¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197461"/> <fw type="header" place="top"> Heinrich Steinhaufen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_89" next="#ID_90"> Sein neuestes Werk sind die nunmehr auch schon in vierter Auflage vor¬<lb/> liegenden „Szenen aus dem Schattenspiele des Lebens": Der Korrektor (Leipzig,<lb/> Lehmann, 1885). Sie sind „Seiner Exzellenz dem General-Feldmarschall Herrn<lb/> Grafen von Moltke" gewidmet. Steinhausens Ironie richtet sich am liebsten<lb/> gegen die moderne Wissenschaftlichkeit, mit der allerdings zuweilen viel Scholastik<lb/> und Anmaßung verbunden ist. So hat er in seinen „Herzenserleichterungen"<lb/> einen Kunstforscher und Konservator alter Knnstdenkmüler ironisch gezeichnet<lb/> und namentlich Seitenhiebe gegen die Physiologie und Pshchvphysik eingeflochten.<lb/> Im „Korrektor" hat er nun diese seine Opposition gegen die Anmaßungen des<lb/> Materialismus zum Kern sein Werkes gemacht. Damit hat er zugleich mitten<lb/> ins „aktuellste" Leben gegriffen, in einen Gegensatz, der die ganze Gegenwart be¬<lb/> schäftigt und auch schon vielfach von andern Nomcmdichtern behandelt worden<lb/> ist. Aber während Steinhausens Stilverwandter Wilhelm Raabe, auch ein<lb/> Idealist, mit freiem Humor dem durch seine nicht abzuleugnenden Erfolge allzu<lb/> selbstbewußt dastehenden Manne der Naturwissenschaft (dem Dr. Asche in „Pfisters<lb/> Mühle" z. B.) gegenübersteht, den deutschen Idealismus selbst im theoretischen<lb/> Materialisten wiedererkennt, keineswegs an ihm verzweifelt und deu Leser dadurch<lb/> mit der Zuversicht in die Gesundheit des deutschen Geistes erfüllt, hat Stein¬<lb/> hausen dem gegenüber allen Humor verloren, und es ist ihm eine zornige Satire<lb/> auf die materialistischen Welträtsellöser » in. Max Nordan aus der Feder ge¬<lb/> kommen. Auch Wilhelm Jordan hat (in den „Sebalds") diesen Gegensatz von<lb/> alter Gläubigkeit und neuer Wissenschaftlichkeit ergriffen, dabei religionsstifterisch<lb/> eine wenig glückliche Verquickung religiöser Tradition mit darwinistischen Ideen<lb/> versucht, wobei ihm nur das Unglück begegnet ist, den Kern des religiösen Be¬<lb/> dürfnisses zu verfehlen, welches an den Fortschritten der die äußere Natur<lb/> beherrschenden Wissenschaft noch immer keine persönliche individuelle Befriedigung,<lb/> keine innere Läuterung findet keinen Trost für das in den Bedrängnissen<lb/> des Gewissens schwebende Gemüt. Steinhausen ist viel zu strenggläubig, um<lb/> wie Jordan zu Pallirer, und viel zu einsichtig als philosophischer Kopf, um<lb/> nicht die Schwächen seiner Gegenpartei zu erkennen. Die Ironie, mit welcher<lb/> er der „souveränen" Wissenschaft begegnet, ist demnach sehr berechtigt, insofern<lb/> als sie eben nur die modernen Scholastiker trifft, auf die sie gemünzt ist. Wie<lb/> wahr ists, wenn er sagt: „Der Glaube stört eure Forschung nicht, aber er kann<lb/> auch nicht von ihr entrechtet werden, noch bedarf er ihrer Unterstützung": das<lb/> haben sogar schon viele Akademiker gesagt. Und weiter: „Keine Untersuchung,<lb/> keine Erklärung der seienden Welt wird den Weg zur sein sollenden finden;<lb/> aber ist diese darum weniger gewiß, weil sie mit Schlüsseln nicht nachgewiesen<lb/> werden kann? Gewieher wird sie von den ewigen Bedürfnissen des Gemüts,<lb/> von den Forderungen des Gewissens, von der Unverrückbarkeit des sittlichen<lb/> Gebots, das als heiliges der Wille anerkennen muß, auch wenn er ihm wider¬<lb/> spricht. Wie wollt und könnt ihr die Giltigkeit dieser Ideen leugnen nur darum,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0037]
Heinrich Steinhaufen.
Sein neuestes Werk sind die nunmehr auch schon in vierter Auflage vor¬
liegenden „Szenen aus dem Schattenspiele des Lebens": Der Korrektor (Leipzig,
Lehmann, 1885). Sie sind „Seiner Exzellenz dem General-Feldmarschall Herrn
Grafen von Moltke" gewidmet. Steinhausens Ironie richtet sich am liebsten
gegen die moderne Wissenschaftlichkeit, mit der allerdings zuweilen viel Scholastik
und Anmaßung verbunden ist. So hat er in seinen „Herzenserleichterungen"
einen Kunstforscher und Konservator alter Knnstdenkmüler ironisch gezeichnet
und namentlich Seitenhiebe gegen die Physiologie und Pshchvphysik eingeflochten.
Im „Korrektor" hat er nun diese seine Opposition gegen die Anmaßungen des
Materialismus zum Kern sein Werkes gemacht. Damit hat er zugleich mitten
ins „aktuellste" Leben gegriffen, in einen Gegensatz, der die ganze Gegenwart be¬
schäftigt und auch schon vielfach von andern Nomcmdichtern behandelt worden
ist. Aber während Steinhausens Stilverwandter Wilhelm Raabe, auch ein
Idealist, mit freiem Humor dem durch seine nicht abzuleugnenden Erfolge allzu
selbstbewußt dastehenden Manne der Naturwissenschaft (dem Dr. Asche in „Pfisters
Mühle" z. B.) gegenübersteht, den deutschen Idealismus selbst im theoretischen
Materialisten wiedererkennt, keineswegs an ihm verzweifelt und deu Leser dadurch
mit der Zuversicht in die Gesundheit des deutschen Geistes erfüllt, hat Stein¬
hausen dem gegenüber allen Humor verloren, und es ist ihm eine zornige Satire
auf die materialistischen Welträtsellöser » in. Max Nordan aus der Feder ge¬
kommen. Auch Wilhelm Jordan hat (in den „Sebalds") diesen Gegensatz von
alter Gläubigkeit und neuer Wissenschaftlichkeit ergriffen, dabei religionsstifterisch
eine wenig glückliche Verquickung religiöser Tradition mit darwinistischen Ideen
versucht, wobei ihm nur das Unglück begegnet ist, den Kern des religiösen Be¬
dürfnisses zu verfehlen, welches an den Fortschritten der die äußere Natur
beherrschenden Wissenschaft noch immer keine persönliche individuelle Befriedigung,
keine innere Läuterung findet keinen Trost für das in den Bedrängnissen
des Gewissens schwebende Gemüt. Steinhausen ist viel zu strenggläubig, um
wie Jordan zu Pallirer, und viel zu einsichtig als philosophischer Kopf, um
nicht die Schwächen seiner Gegenpartei zu erkennen. Die Ironie, mit welcher
er der „souveränen" Wissenschaft begegnet, ist demnach sehr berechtigt, insofern
als sie eben nur die modernen Scholastiker trifft, auf die sie gemünzt ist. Wie
wahr ists, wenn er sagt: „Der Glaube stört eure Forschung nicht, aber er kann
auch nicht von ihr entrechtet werden, noch bedarf er ihrer Unterstützung": das
haben sogar schon viele Akademiker gesagt. Und weiter: „Keine Untersuchung,
keine Erklärung der seienden Welt wird den Weg zur sein sollenden finden;
aber ist diese darum weniger gewiß, weil sie mit Schlüsseln nicht nachgewiesen
werden kann? Gewieher wird sie von den ewigen Bedürfnissen des Gemüts,
von den Forderungen des Gewissens, von der Unverrückbarkeit des sittlichen
Gebots, das als heiliges der Wille anerkennen muß, auch wenn er ihm wider¬
spricht. Wie wollt und könnt ihr die Giltigkeit dieser Ideen leugnen nur darum,
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