Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.eentia. Michael, der weltmännischere, verkehrte heilt vertrauter mit ihr als Nach kurzem Zusammenleben fühlt sich Crescenz, über deren Empfindung eentia. Michael, der weltmännischere, verkehrte heilt vertrauter mit ihr als Nach kurzem Zusammenleben fühlt sich Crescenz, über deren Empfindung <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0364" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197788"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1077" prev="#ID_1076"> eentia. Michael, der weltmännischere, verkehrte heilt vertrauter mit ihr als<lb/> Gabriel, dem sie nicht minder wohlgefiel, der aber ganz unkundig des gesellige»<lb/> Verkehrs sich auf das bescheidene Beobachten verlegte. Als am Abend der Tanz<lb/> anging, war Michael so aufmerksam, das schöne Mädchen zu dem stillsitzenden<lb/> Bruder zu schicken, um auch ihn zum Tanze aufzufordern. Da aber Gabriel<lb/> nicht tanzen konnte, so mußte Crescenz ihre wohlgemeinten Vemühnngen, seine<lb/> Tanzmeisterin zu sein, bald aufgeben. Gabriel dankte ihr im Herzen mit einer<lb/> glühenden Verliebtheit, ohne seine Gefühle laut werden zu lassen. „Es trug<lb/> sich einige Wochen nach jenem Gartenfeste zu, daß Michael und sein Bruder<lb/> des Abends durch die Felder gingen. Der Schnitt hatte bereits begonnen, doch<lb/> war noch lange nicht alles Getreide gehauen, die Flur sah noch voll und<lb/> freundlich aus. Desto ernsthafter war Michael. Er, der sonst des Redens<lb/> kein Ende fand und überreich an kecken Einfällen war, spazierte heute mit einer<lb/> gewissen Feierlichkeit dahin und ließ seinem wortkargen Begleiter ganz allein<lb/> den Vortrag. Doch war er mehrmals stehen geblieben, als ob er etwas sagen<lb/> wollte, womit er aber niemals zu stände gekommen war. Er hatte nur jedes¬<lb/> mal mit dem Knopfe des Spazierstockes an seine Zähne getippt und alsdann<lb/> den Weg fortgesetzt. Endlich faßte er sich doch ein Herz und erklärte, daß eine<lb/> große Veränderung nahe bevorstehe. »Die wäre?« fragte Gabriel. »Ich werde<lb/> die Gießerei übernehmen,« sagte Michael. »Hast du mit dem Vater schon ge¬<lb/> sprochen?« — »Noch nicht, aber demnächst. Er wird wohl nichts dagegen<lb/> haben. Und dann — dann werde ich heiraten.« Zum erstenmale dachte Gabriel<lb/> an eine Vermählung des Bruders. Bei ihm hatte es sich bis jetzt von selbst<lb/> verstanden, daß die Dinge so fortgehen würden, wie sie bisher gegangen waren.<lb/> Zugleich fiel ihm auch ein, wer die Braut sein möge, und er erschrak ein wenig.<lb/> »Und wen willst du denn heiraten?« fragte er. »Kannst du dir das nicht vor¬<lb/> stellen?« entgegnete Michael. »Ja und nein!« war die Antwort. »Warum nein?«<lb/> »Weil ich es doch nicht sicher weiß.« »Nun und an wen denkst du?« »Ich kenne<lb/> niemand als Crescenz,« sagte Gabriel etwas zögernd. »Hast dn vielleicht etwas<lb/> einzuwenden?« fragte der Bruder. »Ich?« rief jener. »Nein, nein, heirate du<lb/> nur und viel Glück dazu.«" Trotz dieser loyalen Auseinandersetzung erhält sich<lb/> nach der Verehelichung Michaels mit Crescenz das Gerücht, daß es zwischen<lb/> den Brüdern wegen des Mädchens zu Streit gekommen sei. Wie dieses Gerücht<lb/> entstehen konnte, weiß der Erzähler selbst nicht: es ist eben ein Gerücht. Solche<lb/> unmotivirte Ereignisse spielen auch später noch eine große Rolle.</p><lb/> <p xml:id="ID_1078" next="#ID_1079"> Nach kurzem Zusammenleben fühlt sich Crescenz, über deren Empfindung<lb/> wir bisher nichts erfahren haben, in ihrer Ehe unglücklich. Warum? Etwa<lb/> weil Michael nach den ersten Honigmonden wieder angefangen hat, die Abende<lb/> im Wirtshaus zuzubringen? Da sich Crescenz selbst darüber nicht äußert und<lb/> auch der Dichter es uicht erklärt, bleibt man darüber im Unklaren. Aber es<lb/> wird dafür nunmehr offenbar, daß sie den einängigen Gabriel liebt. Was sie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0364]
eentia. Michael, der weltmännischere, verkehrte heilt vertrauter mit ihr als
Gabriel, dem sie nicht minder wohlgefiel, der aber ganz unkundig des gesellige»
Verkehrs sich auf das bescheidene Beobachten verlegte. Als am Abend der Tanz
anging, war Michael so aufmerksam, das schöne Mädchen zu dem stillsitzenden
Bruder zu schicken, um auch ihn zum Tanze aufzufordern. Da aber Gabriel
nicht tanzen konnte, so mußte Crescenz ihre wohlgemeinten Vemühnngen, seine
Tanzmeisterin zu sein, bald aufgeben. Gabriel dankte ihr im Herzen mit einer
glühenden Verliebtheit, ohne seine Gefühle laut werden zu lassen. „Es trug
sich einige Wochen nach jenem Gartenfeste zu, daß Michael und sein Bruder
des Abends durch die Felder gingen. Der Schnitt hatte bereits begonnen, doch
war noch lange nicht alles Getreide gehauen, die Flur sah noch voll und
freundlich aus. Desto ernsthafter war Michael. Er, der sonst des Redens
kein Ende fand und überreich an kecken Einfällen war, spazierte heute mit einer
gewissen Feierlichkeit dahin und ließ seinem wortkargen Begleiter ganz allein
den Vortrag. Doch war er mehrmals stehen geblieben, als ob er etwas sagen
wollte, womit er aber niemals zu stände gekommen war. Er hatte nur jedes¬
mal mit dem Knopfe des Spazierstockes an seine Zähne getippt und alsdann
den Weg fortgesetzt. Endlich faßte er sich doch ein Herz und erklärte, daß eine
große Veränderung nahe bevorstehe. »Die wäre?« fragte Gabriel. »Ich werde
die Gießerei übernehmen,« sagte Michael. »Hast du mit dem Vater schon ge¬
sprochen?« — »Noch nicht, aber demnächst. Er wird wohl nichts dagegen
haben. Und dann — dann werde ich heiraten.« Zum erstenmale dachte Gabriel
an eine Vermählung des Bruders. Bei ihm hatte es sich bis jetzt von selbst
verstanden, daß die Dinge so fortgehen würden, wie sie bisher gegangen waren.
Zugleich fiel ihm auch ein, wer die Braut sein möge, und er erschrak ein wenig.
»Und wen willst du denn heiraten?« fragte er. »Kannst du dir das nicht vor¬
stellen?« entgegnete Michael. »Ja und nein!« war die Antwort. »Warum nein?«
»Weil ich es doch nicht sicher weiß.« »Nun und an wen denkst du?« »Ich kenne
niemand als Crescenz,« sagte Gabriel etwas zögernd. »Hast dn vielleicht etwas
einzuwenden?« fragte der Bruder. »Ich?« rief jener. »Nein, nein, heirate du
nur und viel Glück dazu.«" Trotz dieser loyalen Auseinandersetzung erhält sich
nach der Verehelichung Michaels mit Crescenz das Gerücht, daß es zwischen
den Brüdern wegen des Mädchens zu Streit gekommen sei. Wie dieses Gerücht
entstehen konnte, weiß der Erzähler selbst nicht: es ist eben ein Gerücht. Solche
unmotivirte Ereignisse spielen auch später noch eine große Rolle.
Nach kurzem Zusammenleben fühlt sich Crescenz, über deren Empfindung
wir bisher nichts erfahren haben, in ihrer Ehe unglücklich. Warum? Etwa
weil Michael nach den ersten Honigmonden wieder angefangen hat, die Abende
im Wirtshaus zuzubringen? Da sich Crescenz selbst darüber nicht äußert und
auch der Dichter es uicht erklärt, bleibt man darüber im Unklaren. Aber es
wird dafür nunmehr offenbar, daß sie den einängigen Gabriel liebt. Was sie
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