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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Wahrheit von einem vorbeijagenden Reiter das Versprechen erhalten hat, Pate
seines Kindes zu sein, daß dieser Reiter die Einbildung des einsam Dasitzenden
im Scherz bestärkt habe, indem er sich für den Tod ausgab, und daß es der
reiche Vetter selbst war, der nun die armen Leute von alle" Sorgen durch sein
vieles Geld befreien wird.

Von den zwei andern Novellen desselben Bandes: "Im Armenhause" und
"Mr. Bob Jenkins' Abenteuer" ist weniger Erfreuliches zu sagen. In der
erstern Geschichte versucht sich Steinhausen in der realistischen Darstellung eines
Bildes nach dem Leben: der Armut, des Lasters und des Elends. Aber er
vermag dafür ebensowenig zu interessiren, wie für den Prahlhans und schlechten
Kerl Bob Jenkins. Die Vorgänge sind gar zu unbedeutend, und die jean-
paulisch Sprunghafte Manier der letzten, umfangreichsten Geschichte ist auch nicht
uach meinem Geschmack. Wenn Jean Paul durch Einschachtelnngen, Zwischen¬
sätze, Zuthaten, Nachträge den Gang der Handlung unterbrach, so wußte er
doch durch eine unendliche Fülle von Gedanken und Betrachtungen den ärgerlich
gewordnen Leser zu entschädigen, neu zu fesseln und zu versöhnen. Nur solch
eine Fülle des Geistes, die sich in der Mitteilsamkeit nie genug thun kaun,
rechtfertigt oder vielmehr entschuldigt Jean Pauls Manier. Steinhausens
humoristischer Übermut kann auf solchen Hintergrund nicht hinweisen, und den
Schaden trägt er doch selbst.

Gelungener wiederum ist die im gleichen Tone gehaltene kleine Novelle
"Markus Zeisleins großer Tag" (Barmer, Klein). Hier bewegt sich Stein^
Hausen in den humoristischen Kontrasten äußerlicher Niedrigkeit, aber seelischen
Adels, materieller Armut und Ohnmacht, aber gemütlichen Reichtums und
Stärke im Dulden, Gegensätzen, in denen die Menschlein seines kleinen, armen
Städtchens schlecht und recht ihr Tröpfchen Leben genießen, ergeben in den
Willen Gottes. Man erinnert sich bei dem Schicksal Maler Zeisleins unwill¬
kürlich an "Pfisters Mühle." Wie dort der gute Vater Pfister durch eine
neumodische Zuckerrübcnfabrik, die ihm sein quellreines Mühlwasser verstänkert,
in seiner Existenz geschädigt wird, so verliert Zeislein durch einen ähnlichen
Fortschritt der Zeit seine Kundschaft. Die neuerfundneu Metallbuchstaben, die
jeder beliebige einsetzen kann, machen des guten Zeislein Kunst, nach altehr¬
würdiger Sitte Buchstaben mit den entsprechenden Emblemen der GeWerke zu
malen, beinahe überflüssig. Raabe hat seinen Gedanken jedoch künstlerischer
ausgestaltet als Steinhausen den seinigen. Zeislein gelingt es schließlich, sich
doch als Maler einer Turnerfahne für die Gymnasiasten auszuzeichnen und als
Galeriedirektor (eine echt Steinhausensche Ironie) unterzukommen. Die gemüt¬
vollste Figur der Novelle ist Zeisleins frommes Mütterchen, eine arme Waschfrau,
die aber im Gesangbuch so gut zu Hause ist, daß sie in allen Nöten und in allen
Freuden des Daseins die innigsten Sprüchlein zur Verfügung hat. Das muß
mau sagen: wenn Steinhausen Verse zitirt, so verrät er immer guten Geschmack.


Wahrheit von einem vorbeijagenden Reiter das Versprechen erhalten hat, Pate
seines Kindes zu sein, daß dieser Reiter die Einbildung des einsam Dasitzenden
im Scherz bestärkt habe, indem er sich für den Tod ausgab, und daß es der
reiche Vetter selbst war, der nun die armen Leute von alle» Sorgen durch sein
vieles Geld befreien wird.

Von den zwei andern Novellen desselben Bandes: „Im Armenhause" und
„Mr. Bob Jenkins' Abenteuer" ist weniger Erfreuliches zu sagen. In der
erstern Geschichte versucht sich Steinhausen in der realistischen Darstellung eines
Bildes nach dem Leben: der Armut, des Lasters und des Elends. Aber er
vermag dafür ebensowenig zu interessiren, wie für den Prahlhans und schlechten
Kerl Bob Jenkins. Die Vorgänge sind gar zu unbedeutend, und die jean-
paulisch Sprunghafte Manier der letzten, umfangreichsten Geschichte ist auch nicht
uach meinem Geschmack. Wenn Jean Paul durch Einschachtelnngen, Zwischen¬
sätze, Zuthaten, Nachträge den Gang der Handlung unterbrach, so wußte er
doch durch eine unendliche Fülle von Gedanken und Betrachtungen den ärgerlich
gewordnen Leser zu entschädigen, neu zu fesseln und zu versöhnen. Nur solch
eine Fülle des Geistes, die sich in der Mitteilsamkeit nie genug thun kaun,
rechtfertigt oder vielmehr entschuldigt Jean Pauls Manier. Steinhausens
humoristischer Übermut kann auf solchen Hintergrund nicht hinweisen, und den
Schaden trägt er doch selbst.

Gelungener wiederum ist die im gleichen Tone gehaltene kleine Novelle
„Markus Zeisleins großer Tag" (Barmer, Klein). Hier bewegt sich Stein^
Hausen in den humoristischen Kontrasten äußerlicher Niedrigkeit, aber seelischen
Adels, materieller Armut und Ohnmacht, aber gemütlichen Reichtums und
Stärke im Dulden, Gegensätzen, in denen die Menschlein seines kleinen, armen
Städtchens schlecht und recht ihr Tröpfchen Leben genießen, ergeben in den
Willen Gottes. Man erinnert sich bei dem Schicksal Maler Zeisleins unwill¬
kürlich an „Pfisters Mühle." Wie dort der gute Vater Pfister durch eine
neumodische Zuckerrübcnfabrik, die ihm sein quellreines Mühlwasser verstänkert,
in seiner Existenz geschädigt wird, so verliert Zeislein durch einen ähnlichen
Fortschritt der Zeit seine Kundschaft. Die neuerfundneu Metallbuchstaben, die
jeder beliebige einsetzen kann, machen des guten Zeislein Kunst, nach altehr¬
würdiger Sitte Buchstaben mit den entsprechenden Emblemen der GeWerke zu
malen, beinahe überflüssig. Raabe hat seinen Gedanken jedoch künstlerischer
ausgestaltet als Steinhausen den seinigen. Zeislein gelingt es schließlich, sich
doch als Maler einer Turnerfahne für die Gymnasiasten auszuzeichnen und als
Galeriedirektor (eine echt Steinhausensche Ironie) unterzukommen. Die gemüt¬
vollste Figur der Novelle ist Zeisleins frommes Mütterchen, eine arme Waschfrau,
die aber im Gesangbuch so gut zu Hause ist, daß sie in allen Nöten und in allen
Freuden des Daseins die innigsten Sprüchlein zur Verfügung hat. Das muß
mau sagen: wenn Steinhausen Verse zitirt, so verrät er immer guten Geschmack.


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[0036] Wahrheit von einem vorbeijagenden Reiter das Versprechen erhalten hat, Pate seines Kindes zu sein, daß dieser Reiter die Einbildung des einsam Dasitzenden im Scherz bestärkt habe, indem er sich für den Tod ausgab, und daß es der reiche Vetter selbst war, der nun die armen Leute von alle» Sorgen durch sein vieles Geld befreien wird. Von den zwei andern Novellen desselben Bandes: „Im Armenhause" und „Mr. Bob Jenkins' Abenteuer" ist weniger Erfreuliches zu sagen. In der erstern Geschichte versucht sich Steinhausen in der realistischen Darstellung eines Bildes nach dem Leben: der Armut, des Lasters und des Elends. Aber er vermag dafür ebensowenig zu interessiren, wie für den Prahlhans und schlechten Kerl Bob Jenkins. Die Vorgänge sind gar zu unbedeutend, und die jean- paulisch Sprunghafte Manier der letzten, umfangreichsten Geschichte ist auch nicht uach meinem Geschmack. Wenn Jean Paul durch Einschachtelnngen, Zwischen¬ sätze, Zuthaten, Nachträge den Gang der Handlung unterbrach, so wußte er doch durch eine unendliche Fülle von Gedanken und Betrachtungen den ärgerlich gewordnen Leser zu entschädigen, neu zu fesseln und zu versöhnen. Nur solch eine Fülle des Geistes, die sich in der Mitteilsamkeit nie genug thun kaun, rechtfertigt oder vielmehr entschuldigt Jean Pauls Manier. Steinhausens humoristischer Übermut kann auf solchen Hintergrund nicht hinweisen, und den Schaden trägt er doch selbst. Gelungener wiederum ist die im gleichen Tone gehaltene kleine Novelle „Markus Zeisleins großer Tag" (Barmer, Klein). Hier bewegt sich Stein^ Hausen in den humoristischen Kontrasten äußerlicher Niedrigkeit, aber seelischen Adels, materieller Armut und Ohnmacht, aber gemütlichen Reichtums und Stärke im Dulden, Gegensätzen, in denen die Menschlein seines kleinen, armen Städtchens schlecht und recht ihr Tröpfchen Leben genießen, ergeben in den Willen Gottes. Man erinnert sich bei dem Schicksal Maler Zeisleins unwill¬ kürlich an „Pfisters Mühle." Wie dort der gute Vater Pfister durch eine neumodische Zuckerrübcnfabrik, die ihm sein quellreines Mühlwasser verstänkert, in seiner Existenz geschädigt wird, so verliert Zeislein durch einen ähnlichen Fortschritt der Zeit seine Kundschaft. Die neuerfundneu Metallbuchstaben, die jeder beliebige einsetzen kann, machen des guten Zeislein Kunst, nach altehr¬ würdiger Sitte Buchstaben mit den entsprechenden Emblemen der GeWerke zu malen, beinahe überflüssig. Raabe hat seinen Gedanken jedoch künstlerischer ausgestaltet als Steinhausen den seinigen. Zeislein gelingt es schließlich, sich doch als Maler einer Turnerfahne für die Gymnasiasten auszuzeichnen und als Galeriedirektor (eine echt Steinhausensche Ironie) unterzukommen. Die gemüt¬ vollste Figur der Novelle ist Zeisleins frommes Mütterchen, eine arme Waschfrau, die aber im Gesangbuch so gut zu Hause ist, daß sie in allen Nöten und in allen Freuden des Daseins die innigsten Sprüchlein zur Verfügung hat. Das muß mau sagen: wenn Steinhausen Verse zitirt, so verrät er immer guten Geschmack.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/36>, abgerufen am 05.02.2025.