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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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war und der Präsident die Tafel aufgehoben hatte, wurden die Zigarren an¬
gezündet, ein Greuel in den Augen jedes Hannoveraners,

Vor allem war es aber uun das Auftreten der Frauen mehrerer hochgestellten
Preußen, welches in hohem Grade Anstoß erregte. Wir haben in unserm ersten
Artikel erwähnt, daß die Damen der guten hannoverschen Gesellschaft fast aus¬
nahmslos den bessern Ständen angehörten. In Preußen ist dies nicht der Fall,
man war dort längst gewohnt, wenn nur das nötige Geld vorhanden war, über
mangelnde Herkunft und Erziehung hinwegzusehen. So kam denn gleich nach
der Annexion eine Schaar von Frauen ins Land, welche, ohne feinere gesellige
Formen zu besitzen, Sitte und Anstand in mnnnichfacher Weise verletzten und
doch mit Prätensionen auftraten, denen mau in keiner Weise entgegenkommen
wollte. Wer in jener Zeit in der Stadt Hannover gelebt hat, wird die Wahrheit
unsrer Bemerkung bestätigen, und auch darin mit uns übereinstimmen, daß die
geringe Sorgfalt, mit welcher man gerade in dieser Beziehung in Berlin zu
Werke gegangen war, ein großer Fehler war. Dagegen führten diese Frnnen
großen Luxus ein und die Gesellschaft wurde zugleich durch sie mit einem Formen¬
wesen beglückt, welches deu Hannoverauern bis dahin ganz fremd gewesen war.

Wir haben nicht ohne Grund in unserm ersten Artikel zu wiederholten
unten darauf hingewiesen, daß sich die hannoversche Gesellschaft zwar nach außen
hin, namentlich der sogenannten zweiten Gesellschaft gegenüber, fast wie mit einer
chinesischen Mauer umgeben hatte, daß aber alle diejenigen, welche ihr, sei es
durch Geburt, sei es durch Stellung, angehörten, fast ans demi Fuße vollkommener
Gleichheit miteinander verkehrten. Den Damen insbesondre wurde mir da der
Nang ihres Mannes zugestanden, wo die Etikette, zumal bei Hofe, dies erforderlich
machte; im übrigen wurde ihnen zwar stets mit der größten Höflichkeit und
Aufmerksamkeit begegnet, aber kein Mensch dachte daran, den Rang ihres Mannes
auf sie zu übertragen. Dem gegenüber denke man sich nun eine preußische
Gesellschaft, in welcher die Plätze bei Tische nach Nang und Würden belegt
sind und die Speisen zuerst den Damen, und zwar nach der Rangliste ihrer
Männer, und dann erst den letztern in absteigender Ordnung servirt werden. Die
Diener müssen doch wahrlich das ganze Staatslexikon im Kopfe und die ganze
Nang- und Quartierliste auswendig gelernt haben -- so spöttelte man damals
in der hannoverschen Gesellschaft, und ahnte nicht, welches Kopfzerbrechen Wirt
und Wirtin daran gewandt hatten, jedem und jeder den richtigen Platz zu geben.
Ja, der liebe Platz! Wie mancher und wie manche hat sich tödliche Feindschaft
um seinetwillen zugezogen!

Die im Lande zurückgebliebnen Frauen hannoverscher Beamten und Offiziere
trösteten sich zwar rasch über dergleichen kleine Reibereien; schlimmer erging es
aber denen, die, ihre" Gatten folgend, in ferne altpreußische Provinzen verschlagen
worden waren. Wir erinnern uns uoch sehr wohl daran und haben oft über
das Geschick gelacht, welches damals eine junge hannoversche Dame ereilte.


war und der Präsident die Tafel aufgehoben hatte, wurden die Zigarren an¬
gezündet, ein Greuel in den Augen jedes Hannoveraners,

Vor allem war es aber uun das Auftreten der Frauen mehrerer hochgestellten
Preußen, welches in hohem Grade Anstoß erregte. Wir haben in unserm ersten
Artikel erwähnt, daß die Damen der guten hannoverschen Gesellschaft fast aus¬
nahmslos den bessern Ständen angehörten. In Preußen ist dies nicht der Fall,
man war dort längst gewohnt, wenn nur das nötige Geld vorhanden war, über
mangelnde Herkunft und Erziehung hinwegzusehen. So kam denn gleich nach
der Annexion eine Schaar von Frauen ins Land, welche, ohne feinere gesellige
Formen zu besitzen, Sitte und Anstand in mnnnichfacher Weise verletzten und
doch mit Prätensionen auftraten, denen mau in keiner Weise entgegenkommen
wollte. Wer in jener Zeit in der Stadt Hannover gelebt hat, wird die Wahrheit
unsrer Bemerkung bestätigen, und auch darin mit uns übereinstimmen, daß die
geringe Sorgfalt, mit welcher man gerade in dieser Beziehung in Berlin zu
Werke gegangen war, ein großer Fehler war. Dagegen führten diese Frnnen
großen Luxus ein und die Gesellschaft wurde zugleich durch sie mit einem Formen¬
wesen beglückt, welches deu Hannoverauern bis dahin ganz fremd gewesen war.

Wir haben nicht ohne Grund in unserm ersten Artikel zu wiederholten
unten darauf hingewiesen, daß sich die hannoversche Gesellschaft zwar nach außen
hin, namentlich der sogenannten zweiten Gesellschaft gegenüber, fast wie mit einer
chinesischen Mauer umgeben hatte, daß aber alle diejenigen, welche ihr, sei es
durch Geburt, sei es durch Stellung, angehörten, fast ans demi Fuße vollkommener
Gleichheit miteinander verkehrten. Den Damen insbesondre wurde mir da der
Nang ihres Mannes zugestanden, wo die Etikette, zumal bei Hofe, dies erforderlich
machte; im übrigen wurde ihnen zwar stets mit der größten Höflichkeit und
Aufmerksamkeit begegnet, aber kein Mensch dachte daran, den Rang ihres Mannes
auf sie zu übertragen. Dem gegenüber denke man sich nun eine preußische
Gesellschaft, in welcher die Plätze bei Tische nach Nang und Würden belegt
sind und die Speisen zuerst den Damen, und zwar nach der Rangliste ihrer
Männer, und dann erst den letztern in absteigender Ordnung servirt werden. Die
Diener müssen doch wahrlich das ganze Staatslexikon im Kopfe und die ganze
Nang- und Quartierliste auswendig gelernt haben — so spöttelte man damals
in der hannoverschen Gesellschaft, und ahnte nicht, welches Kopfzerbrechen Wirt
und Wirtin daran gewandt hatten, jedem und jeder den richtigen Platz zu geben.
Ja, der liebe Platz! Wie mancher und wie manche hat sich tödliche Feindschaft
um seinetwillen zugezogen!

Die im Lande zurückgebliebnen Frauen hannoverscher Beamten und Offiziere
trösteten sich zwar rasch über dergleichen kleine Reibereien; schlimmer erging es
aber denen, die, ihre» Gatten folgend, in ferne altpreußische Provinzen verschlagen
worden waren. Wir erinnern uns uoch sehr wohl daran und haben oft über
das Geschick gelacht, welches damals eine junge hannoversche Dame ereilte.


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[0357] war und der Präsident die Tafel aufgehoben hatte, wurden die Zigarren an¬ gezündet, ein Greuel in den Augen jedes Hannoveraners, Vor allem war es aber uun das Auftreten der Frauen mehrerer hochgestellten Preußen, welches in hohem Grade Anstoß erregte. Wir haben in unserm ersten Artikel erwähnt, daß die Damen der guten hannoverschen Gesellschaft fast aus¬ nahmslos den bessern Ständen angehörten. In Preußen ist dies nicht der Fall, man war dort längst gewohnt, wenn nur das nötige Geld vorhanden war, über mangelnde Herkunft und Erziehung hinwegzusehen. So kam denn gleich nach der Annexion eine Schaar von Frauen ins Land, welche, ohne feinere gesellige Formen zu besitzen, Sitte und Anstand in mnnnichfacher Weise verletzten und doch mit Prätensionen auftraten, denen mau in keiner Weise entgegenkommen wollte. Wer in jener Zeit in der Stadt Hannover gelebt hat, wird die Wahrheit unsrer Bemerkung bestätigen, und auch darin mit uns übereinstimmen, daß die geringe Sorgfalt, mit welcher man gerade in dieser Beziehung in Berlin zu Werke gegangen war, ein großer Fehler war. Dagegen führten diese Frnnen großen Luxus ein und die Gesellschaft wurde zugleich durch sie mit einem Formen¬ wesen beglückt, welches deu Hannoverauern bis dahin ganz fremd gewesen war. Wir haben nicht ohne Grund in unserm ersten Artikel zu wiederholten unten darauf hingewiesen, daß sich die hannoversche Gesellschaft zwar nach außen hin, namentlich der sogenannten zweiten Gesellschaft gegenüber, fast wie mit einer chinesischen Mauer umgeben hatte, daß aber alle diejenigen, welche ihr, sei es durch Geburt, sei es durch Stellung, angehörten, fast ans demi Fuße vollkommener Gleichheit miteinander verkehrten. Den Damen insbesondre wurde mir da der Nang ihres Mannes zugestanden, wo die Etikette, zumal bei Hofe, dies erforderlich machte; im übrigen wurde ihnen zwar stets mit der größten Höflichkeit und Aufmerksamkeit begegnet, aber kein Mensch dachte daran, den Rang ihres Mannes auf sie zu übertragen. Dem gegenüber denke man sich nun eine preußische Gesellschaft, in welcher die Plätze bei Tische nach Nang und Würden belegt sind und die Speisen zuerst den Damen, und zwar nach der Rangliste ihrer Männer, und dann erst den letztern in absteigender Ordnung servirt werden. Die Diener müssen doch wahrlich das ganze Staatslexikon im Kopfe und die ganze Nang- und Quartierliste auswendig gelernt haben — so spöttelte man damals in der hannoverschen Gesellschaft, und ahnte nicht, welches Kopfzerbrechen Wirt und Wirtin daran gewandt hatten, jedem und jeder den richtigen Platz zu geben. Ja, der liebe Platz! Wie mancher und wie manche hat sich tödliche Feindschaft um seinetwillen zugezogen! Die im Lande zurückgebliebnen Frauen hannoverscher Beamten und Offiziere trösteten sich zwar rasch über dergleichen kleine Reibereien; schlimmer erging es aber denen, die, ihre» Gatten folgend, in ferne altpreußische Provinzen verschlagen worden waren. Wir erinnern uns uoch sehr wohl daran und haben oft über das Geschick gelacht, welches damals eine junge hannoversche Dame ereilte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/357>, abgerufen am 05.02.2025.