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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Lamoöns.

Bei diesen Worten schloß der König den Dichter in seine Arme, diesmal
ward das Gemurmel im Kreise der Versammelten beinahe zu einem Getöse,
lauter, beifälliger Zuruf erscholl von allen Seiten, und der Prior von Belem
bemerkte mit Mißfallen, daß selbst Tellez Alucita, der kein Wort der Vorlesung
verloren hatte, unter den Beifallrnfeuden war. Die freudige Erregung machte
erst dann einem neuen erwartenden Schweigen Platz, als Dom Sebastian, an
Catarina Palmeirim herantretend, zu der jungen Edeldame sagte: Ich darf
Senhor Luis nicht befehlen, uns noch einen Teil seines Werkes hören zu lassen.
Aber eine Bitte, die von schönen Lippen kommt, widersteht kein ritterlicher
Dichter, wollt Ihr Euch nicht um uns alle das Verdienst erwerben, die Bitte
auszusprechen?

Die schöne Gräfin erglühte, ans ihren dunkeln Angen fiel ein Blick auf
den König, von dem selbst der scharf dreinschauende Kaplan nicht erriet, ob er
einen Dank für die hohe Auszeichnung oder einen stummen Vorwurf bedeute.
Doch faßte sie sich sogleich, wandte ihr Gesicht halb zu Camoens und rief: Da
Eure Majestät ihren Wunsch geäußert hat, bedarf es für Senhor Luis Camoens
meiner schwachen Bitte nicht. Soll ich sie jedoch thun, so bitte ich ihn, uns
einen Gesang seines Werkes vorzutragen, an dem wir Frauen noch besondern
Anteil nehmen können!

Also die lieblichste und anmutreichste Episode deines Gedichtes, Senhor
Lttis, setzte der König hinzu, während sich Camoens vor dem schönen Mädchen
ehrfurchtsvoll verneigte. Catarina lächelte ihm dankend zu und sagte leiser als
vorher: Nicht als ob wir Frauen mindern Anteil am Ruhme unsrer Väter
nähmen! Aber Eure Dichtung enthält gewiß anch Seiten, uns denen Stürme
und Kämpfe schweigen!

Gewiß, Herrin, entgegnete Camoens. Ihr wißt freilich noch nicht, und ich
wünschte, Ihr erführe es nie anders als aus der Dichtung, daß die brennendsten
Wunden nicht in Schlachten geschlagen werden!

Während Camoens sich mit hoher Genugthuung anschickte, der Aufforderung
Dom Sebastians und Catarinas zu folgen, entschlüpften Manuel Barretv die
Worte: Sie brauen alle an dem Tränke, der ihn taumeln machen wird! Da
der halblaute Ausruf für seinen nächsten Nachbar völlig unverständlich blieb
und vou den übrigen keiner auf ihn achtete, so gewann der wackere Evelmann
Zeit, sich wieder zu fassen und sei" Mißbehagen unter der ruhig teilnehmenden
Miene zu verbergen, die hier von den meisten zur Schan getragen ward.
Camoens hatte inzwischen seinen Sitz dem Könige und der junge" Gräfin Catarina
gegenüber wieder eingenommen und begann, nachdem Dom Sebastian das Zeichen
zum allgemeinen Schweigen gegeben, einen der Gesänge seines großen Gedichtes
zu lesen, in welchen er die Schicksale jener holden Ines de Castro feierte und
beklagte, die zum Opfer ihrer Leidenschaft für den Prinzen Pedro ward. Eine
eigentümliche Bewegung ging durch die Versammlung, sobald der Name Ines von


Lamoöns.

Bei diesen Worten schloß der König den Dichter in seine Arme, diesmal
ward das Gemurmel im Kreise der Versammelten beinahe zu einem Getöse,
lauter, beifälliger Zuruf erscholl von allen Seiten, und der Prior von Belem
bemerkte mit Mißfallen, daß selbst Tellez Alucita, der kein Wort der Vorlesung
verloren hatte, unter den Beifallrnfeuden war. Die freudige Erregung machte
erst dann einem neuen erwartenden Schweigen Platz, als Dom Sebastian, an
Catarina Palmeirim herantretend, zu der jungen Edeldame sagte: Ich darf
Senhor Luis nicht befehlen, uns noch einen Teil seines Werkes hören zu lassen.
Aber eine Bitte, die von schönen Lippen kommt, widersteht kein ritterlicher
Dichter, wollt Ihr Euch nicht um uns alle das Verdienst erwerben, die Bitte
auszusprechen?

Die schöne Gräfin erglühte, ans ihren dunkeln Angen fiel ein Blick auf
den König, von dem selbst der scharf dreinschauende Kaplan nicht erriet, ob er
einen Dank für die hohe Auszeichnung oder einen stummen Vorwurf bedeute.
Doch faßte sie sich sogleich, wandte ihr Gesicht halb zu Camoens und rief: Da
Eure Majestät ihren Wunsch geäußert hat, bedarf es für Senhor Luis Camoens
meiner schwachen Bitte nicht. Soll ich sie jedoch thun, so bitte ich ihn, uns
einen Gesang seines Werkes vorzutragen, an dem wir Frauen noch besondern
Anteil nehmen können!

Also die lieblichste und anmutreichste Episode deines Gedichtes, Senhor
Lttis, setzte der König hinzu, während sich Camoens vor dem schönen Mädchen
ehrfurchtsvoll verneigte. Catarina lächelte ihm dankend zu und sagte leiser als
vorher: Nicht als ob wir Frauen mindern Anteil am Ruhme unsrer Väter
nähmen! Aber Eure Dichtung enthält gewiß anch Seiten, uns denen Stürme
und Kämpfe schweigen!

Gewiß, Herrin, entgegnete Camoens. Ihr wißt freilich noch nicht, und ich
wünschte, Ihr erführe es nie anders als aus der Dichtung, daß die brennendsten
Wunden nicht in Schlachten geschlagen werden!

Während Camoens sich mit hoher Genugthuung anschickte, der Aufforderung
Dom Sebastians und Catarinas zu folgen, entschlüpften Manuel Barretv die
Worte: Sie brauen alle an dem Tränke, der ihn taumeln machen wird! Da
der halblaute Ausruf für seinen nächsten Nachbar völlig unverständlich blieb
und vou den übrigen keiner auf ihn achtete, so gewann der wackere Evelmann
Zeit, sich wieder zu fassen und sei» Mißbehagen unter der ruhig teilnehmenden
Miene zu verbergen, die hier von den meisten zur Schan getragen ward.
Camoens hatte inzwischen seinen Sitz dem Könige und der junge» Gräfin Catarina
gegenüber wieder eingenommen und begann, nachdem Dom Sebastian das Zeichen
zum allgemeinen Schweigen gegeben, einen der Gesänge seines großen Gedichtes
zu lesen, in welchen er die Schicksale jener holden Ines de Castro feierte und
beklagte, die zum Opfer ihrer Leidenschaft für den Prinzen Pedro ward. Eine
eigentümliche Bewegung ging durch die Versammlung, sobald der Name Ines von


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[0341] Lamoöns. Bei diesen Worten schloß der König den Dichter in seine Arme, diesmal ward das Gemurmel im Kreise der Versammelten beinahe zu einem Getöse, lauter, beifälliger Zuruf erscholl von allen Seiten, und der Prior von Belem bemerkte mit Mißfallen, daß selbst Tellez Alucita, der kein Wort der Vorlesung verloren hatte, unter den Beifallrnfeuden war. Die freudige Erregung machte erst dann einem neuen erwartenden Schweigen Platz, als Dom Sebastian, an Catarina Palmeirim herantretend, zu der jungen Edeldame sagte: Ich darf Senhor Luis nicht befehlen, uns noch einen Teil seines Werkes hören zu lassen. Aber eine Bitte, die von schönen Lippen kommt, widersteht kein ritterlicher Dichter, wollt Ihr Euch nicht um uns alle das Verdienst erwerben, die Bitte auszusprechen? Die schöne Gräfin erglühte, ans ihren dunkeln Angen fiel ein Blick auf den König, von dem selbst der scharf dreinschauende Kaplan nicht erriet, ob er einen Dank für die hohe Auszeichnung oder einen stummen Vorwurf bedeute. Doch faßte sie sich sogleich, wandte ihr Gesicht halb zu Camoens und rief: Da Eure Majestät ihren Wunsch geäußert hat, bedarf es für Senhor Luis Camoens meiner schwachen Bitte nicht. Soll ich sie jedoch thun, so bitte ich ihn, uns einen Gesang seines Werkes vorzutragen, an dem wir Frauen noch besondern Anteil nehmen können! Also die lieblichste und anmutreichste Episode deines Gedichtes, Senhor Lttis, setzte der König hinzu, während sich Camoens vor dem schönen Mädchen ehrfurchtsvoll verneigte. Catarina lächelte ihm dankend zu und sagte leiser als vorher: Nicht als ob wir Frauen mindern Anteil am Ruhme unsrer Väter nähmen! Aber Eure Dichtung enthält gewiß anch Seiten, uns denen Stürme und Kämpfe schweigen! Gewiß, Herrin, entgegnete Camoens. Ihr wißt freilich noch nicht, und ich wünschte, Ihr erführe es nie anders als aus der Dichtung, daß die brennendsten Wunden nicht in Schlachten geschlagen werden! Während Camoens sich mit hoher Genugthuung anschickte, der Aufforderung Dom Sebastians und Catarinas zu folgen, entschlüpften Manuel Barretv die Worte: Sie brauen alle an dem Tränke, der ihn taumeln machen wird! Da der halblaute Ausruf für seinen nächsten Nachbar völlig unverständlich blieb und vou den übrigen keiner auf ihn achtete, so gewann der wackere Evelmann Zeit, sich wieder zu fassen und sei» Mißbehagen unter der ruhig teilnehmenden Miene zu verbergen, die hier von den meisten zur Schan getragen ward. Camoens hatte inzwischen seinen Sitz dem Könige und der junge» Gräfin Catarina gegenüber wieder eingenommen und begann, nachdem Dom Sebastian das Zeichen zum allgemeinen Schweigen gegeben, einen der Gesänge seines großen Gedichtes zu lesen, in welchen er die Schicksale jener holden Ines de Castro feierte und beklagte, die zum Opfer ihrer Leidenschaft für den Prinzen Pedro ward. Eine eigentümliche Bewegung ging durch die Versammlung, sobald der Name Ines von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/341>, abgerufen am 05.02.2025.