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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die Krisis am Balkan und in England.

in der öffentlichen Meinung nicht als Kämpfer für die von der Koalition Glad¬
stones mit den Homerulern bedrohte Reichseinheit unterliegen. Das Collingssche
Amendement war ein gutes Mittel, dies zu verhüten, es konnte dem Kabinette
einen tötlichen Hieb versetzen nicht wegen seiner Absichten gegen die schleichende
Rebellion der Jrländer in der Landfrage und gegen deren sezessionistischen Plan
mit einem Dubliner Parlamente, sondern wegen seiner Vernachlässigung der
Interessen einer zahlreichen Klasse der Bevölkerung, welche die jüngste Gesetz¬
gebung zu Wählern erhoben hatte. Die Negierung hatte ähnliche Absichten
ohne Zweifel geahnt. Man hatte aus van^ dem Organ der Partei
Gladstones, wo Salisburys griechische Politik heftig getadelt wurde, gesehen,
wo der Führer der Liberalen hinauswollte. Man hatte infolgedessen daran
gedacht, die irische Frage, in der man mit Ehren und guten Aussichten auf eine
baldige Auferstehung fallen konnte, so rasch als möglich aufs Tapet zu bringen,
und so hatte man sofort im Unterhause Maßregeln zur Unterdrückung der irischen
Nationalliga angekündigt. Die Negierung ließ, als der Collingssche Antrag
gestellt wurde, die Erklärung abgeben, daß es sich damit nicht um die agrarische,
sondern indirekt um die irische Frage handle. Aber diese Wendung blieb ohne
Erfolg, die feste Fügung der feindlichen Parteiorganisation widerstand der patrio¬
tischen Ansprache, die Anhänger Gladstones waren mehr Liberale als Freunde
der Reichseinheit, wie sich beiläufig unsre Liberalen, soweit sie zur Fortschritts¬
partei gehören, in der polnischen Frage 1863 und jetzt wieder zeigten und vermut¬
lich als konsequente Leute auch in Zukunft zeigen werden. Nur ein kleines
Häuflein der Liberalen, darunter Hartington und Goschen, besaß soviel National¬
gefühl, daß es dem Triebe des Parteigeistes Schweigen auferlegen konnte, und
so unterlagen die Träger einer vernünftigen Politik, die im Innern Gutes
wenigstens gewollt, nach außen hin Gutes geleistet hatte.

Die Folgen dieses Ereignisses sind in diesem Augenblicke noch nicht gemein
zu berechnen. Wahrscheinlich wird Gladstone in der nächsten Zukunft, gewitzigt
durch die lange Reihe von Mißerfolgen, die seine Amtsführung in auswärtigen An¬
gelegenheiten erlebte, sich größerer Vorsicht als früher befleißigen, wo dieser Poli¬
tiker mit der gottseliger Pastormiene ein Friedensstörer aus Grundsatz war. Er
wußte, daß die Türkei den Weltfrieden bedeutet, und deshalb versuchte er sie nach
Kräften mit allen Mitteln zu schwächen. Je schwächer sie ist, desto leichter können
sich auf ihrem Gebiete Stürme bilden und entwickeln, welche ihre Nachbarn ge¬
fährden und deren gute Beziehungen stören. Gladstone sähe es gern, wenn die
Völker des europäischen Festlandes einander um die Erbschaft der Pforte be¬
kriegten, damit die Engländer keine Furcht zu haben brauchten, daß Rußland
weitere Fortschritte auf seinem Wege zur Eroberung Britisch-Indiens machte.
Er haßt die Türken, weil sie nicht Christen und weil sie Beherrscher christlicher
Völker sind. Er haßt Österreich-Ungarn und er haßt das deutsche Reich und
möchte beiden einen Krieg mit Rußland aufladen, der nach seiner Meinung wie


Die Krisis am Balkan und in England.

in der öffentlichen Meinung nicht als Kämpfer für die von der Koalition Glad¬
stones mit den Homerulern bedrohte Reichseinheit unterliegen. Das Collingssche
Amendement war ein gutes Mittel, dies zu verhüten, es konnte dem Kabinette
einen tötlichen Hieb versetzen nicht wegen seiner Absichten gegen die schleichende
Rebellion der Jrländer in der Landfrage und gegen deren sezessionistischen Plan
mit einem Dubliner Parlamente, sondern wegen seiner Vernachlässigung der
Interessen einer zahlreichen Klasse der Bevölkerung, welche die jüngste Gesetz¬
gebung zu Wählern erhoben hatte. Die Negierung hatte ähnliche Absichten
ohne Zweifel geahnt. Man hatte aus van^ dem Organ der Partei
Gladstones, wo Salisburys griechische Politik heftig getadelt wurde, gesehen,
wo der Führer der Liberalen hinauswollte. Man hatte infolgedessen daran
gedacht, die irische Frage, in der man mit Ehren und guten Aussichten auf eine
baldige Auferstehung fallen konnte, so rasch als möglich aufs Tapet zu bringen,
und so hatte man sofort im Unterhause Maßregeln zur Unterdrückung der irischen
Nationalliga angekündigt. Die Negierung ließ, als der Collingssche Antrag
gestellt wurde, die Erklärung abgeben, daß es sich damit nicht um die agrarische,
sondern indirekt um die irische Frage handle. Aber diese Wendung blieb ohne
Erfolg, die feste Fügung der feindlichen Parteiorganisation widerstand der patrio¬
tischen Ansprache, die Anhänger Gladstones waren mehr Liberale als Freunde
der Reichseinheit, wie sich beiläufig unsre Liberalen, soweit sie zur Fortschritts¬
partei gehören, in der polnischen Frage 1863 und jetzt wieder zeigten und vermut¬
lich als konsequente Leute auch in Zukunft zeigen werden. Nur ein kleines
Häuflein der Liberalen, darunter Hartington und Goschen, besaß soviel National¬
gefühl, daß es dem Triebe des Parteigeistes Schweigen auferlegen konnte, und
so unterlagen die Träger einer vernünftigen Politik, die im Innern Gutes
wenigstens gewollt, nach außen hin Gutes geleistet hatte.

Die Folgen dieses Ereignisses sind in diesem Augenblicke noch nicht gemein
zu berechnen. Wahrscheinlich wird Gladstone in der nächsten Zukunft, gewitzigt
durch die lange Reihe von Mißerfolgen, die seine Amtsführung in auswärtigen An¬
gelegenheiten erlebte, sich größerer Vorsicht als früher befleißigen, wo dieser Poli¬
tiker mit der gottseliger Pastormiene ein Friedensstörer aus Grundsatz war. Er
wußte, daß die Türkei den Weltfrieden bedeutet, und deshalb versuchte er sie nach
Kräften mit allen Mitteln zu schwächen. Je schwächer sie ist, desto leichter können
sich auf ihrem Gebiete Stürme bilden und entwickeln, welche ihre Nachbarn ge¬
fährden und deren gute Beziehungen stören. Gladstone sähe es gern, wenn die
Völker des europäischen Festlandes einander um die Erbschaft der Pforte be¬
kriegten, damit die Engländer keine Furcht zu haben brauchten, daß Rußland
weitere Fortschritte auf seinem Wege zur Eroberung Britisch-Indiens machte.
Er haßt die Türken, weil sie nicht Christen und weil sie Beherrscher christlicher
Völker sind. Er haßt Österreich-Ungarn und er haßt das deutsche Reich und
möchte beiden einen Krieg mit Rußland aufladen, der nach seiner Meinung wie


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[0334] Die Krisis am Balkan und in England. in der öffentlichen Meinung nicht als Kämpfer für die von der Koalition Glad¬ stones mit den Homerulern bedrohte Reichseinheit unterliegen. Das Collingssche Amendement war ein gutes Mittel, dies zu verhüten, es konnte dem Kabinette einen tötlichen Hieb versetzen nicht wegen seiner Absichten gegen die schleichende Rebellion der Jrländer in der Landfrage und gegen deren sezessionistischen Plan mit einem Dubliner Parlamente, sondern wegen seiner Vernachlässigung der Interessen einer zahlreichen Klasse der Bevölkerung, welche die jüngste Gesetz¬ gebung zu Wählern erhoben hatte. Die Negierung hatte ähnliche Absichten ohne Zweifel geahnt. Man hatte aus van^ dem Organ der Partei Gladstones, wo Salisburys griechische Politik heftig getadelt wurde, gesehen, wo der Führer der Liberalen hinauswollte. Man hatte infolgedessen daran gedacht, die irische Frage, in der man mit Ehren und guten Aussichten auf eine baldige Auferstehung fallen konnte, so rasch als möglich aufs Tapet zu bringen, und so hatte man sofort im Unterhause Maßregeln zur Unterdrückung der irischen Nationalliga angekündigt. Die Negierung ließ, als der Collingssche Antrag gestellt wurde, die Erklärung abgeben, daß es sich damit nicht um die agrarische, sondern indirekt um die irische Frage handle. Aber diese Wendung blieb ohne Erfolg, die feste Fügung der feindlichen Parteiorganisation widerstand der patrio¬ tischen Ansprache, die Anhänger Gladstones waren mehr Liberale als Freunde der Reichseinheit, wie sich beiläufig unsre Liberalen, soweit sie zur Fortschritts¬ partei gehören, in der polnischen Frage 1863 und jetzt wieder zeigten und vermut¬ lich als konsequente Leute auch in Zukunft zeigen werden. Nur ein kleines Häuflein der Liberalen, darunter Hartington und Goschen, besaß soviel National¬ gefühl, daß es dem Triebe des Parteigeistes Schweigen auferlegen konnte, und so unterlagen die Träger einer vernünftigen Politik, die im Innern Gutes wenigstens gewollt, nach außen hin Gutes geleistet hatte. Die Folgen dieses Ereignisses sind in diesem Augenblicke noch nicht gemein zu berechnen. Wahrscheinlich wird Gladstone in der nächsten Zukunft, gewitzigt durch die lange Reihe von Mißerfolgen, die seine Amtsführung in auswärtigen An¬ gelegenheiten erlebte, sich größerer Vorsicht als früher befleißigen, wo dieser Poli¬ tiker mit der gottseliger Pastormiene ein Friedensstörer aus Grundsatz war. Er wußte, daß die Türkei den Weltfrieden bedeutet, und deshalb versuchte er sie nach Kräften mit allen Mitteln zu schwächen. Je schwächer sie ist, desto leichter können sich auf ihrem Gebiete Stürme bilden und entwickeln, welche ihre Nachbarn ge¬ fährden und deren gute Beziehungen stören. Gladstone sähe es gern, wenn die Völker des europäischen Festlandes einander um die Erbschaft der Pforte be¬ kriegten, damit die Engländer keine Furcht zu haben brauchten, daß Rußland weitere Fortschritte auf seinem Wege zur Eroberung Britisch-Indiens machte. Er haßt die Türken, weil sie nicht Christen und weil sie Beherrscher christlicher Völker sind. Er haßt Österreich-Ungarn und er haßt das deutsche Reich und möchte beiden einen Krieg mit Rußland aufladen, der nach seiner Meinung wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/334>, abgerufen am 05.02.2025.