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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Dio Arisis am Balkan und in England.

erwerben möchten. Die Verpflegung der Truppen ist mangelhaft, und so blieben
Tausende der zu den Waffen einberufenen fast eine Woche lang ohne Nahrung,
ohne Mäntel und ohne Obdach. Von genügender Einübung der Leute ist kaum
bei der Hälfte derselben die Rede. An Offizieren herrscht größter Mangel, dem
man dadurch abzuhelfen versuchte, daß man zahlreiche Invaliden heranzog. Ein
auch nur einigermaßen tüchtiger Oberfeldherr ist nicht vorhanden, und dem ge¬
samten Offizierkorps wird in allen seinen Graden von kompetenten Bericht¬
erstattern jede höhere Begabung und jede Schneidigkeit abgesprochen. Die Flotte
ist besser als die Armee, aber sehr klein: sie zählt eine Panzerkorvette, zwei
hölzerne, ein gepanzertes und zwölf andre Kanonenboote, endlich dreiundzwanzig
Torpedoboote -- eine Seemacht, mit welcher der türkischen gegenüber nicht viel
anzufangen ist. Zu dieser militärischen und maritimen Schwäche kommt aber
noch die klägliche finanzielle Lage der Griechen, um ihr hochstrcbendes und
trotziges Auftreten komisch erscheinen zu lassen. Die Nachrichten hierüber, welche
die letzte Woche brachte, lauteten sehr traurig. Abgesehen davon, daß nnter
dem Drucke der bisherigen Staatsschuld von 600 Millionen Franken das
kleine Land schon mehr zu leiden hatte, als es naturgemäß tragen konnte, ge¬
sellte sich dazu uoch das Steigen des Agios, welches für Griechenland zu allen
Zeiten große Bedeutung hatte. Zur Bestreitung der Kosten, welche die jetzigen
Rüstungen erforderten, wurden rasch nacheinander drei Anleihen aufgenommen,
eine erste, die sogenannte freiwillige, von 23, eine zweite, vou mehreren grie¬
chischen Banken gewährt, von 30 und vor kurzem eine letzte von 100 Millionen
Franken. Die letztere ist bis jetzt noch nicht eingezahlt und wird vermutlich
auch nicht realisirt werden, wenigstens hat die Regierung nur geringe Aussicht
darauf, und einige Minister bezweifeln sogar die Möglichkeit einer Erlangung
dieses Geldes. Die wirtschaftliche Lage Griechenlands ist infolge dessen sehr
unerfreulich. Das Agio hat die Höhe vou 22 Prozent erreicht und drückt
nicht nur auf den Geschäftsmann, sondern auch auf die breiten Schichten des
Volkes. Verdruß und Unzufriedenheit sind daher fast allgemein, besonders in
den Kreisen der Beamten, denen von ihrem Gehalte ein Drittel wegen der
Mobilisirung und der schlechten Lage der Finanzen des Landes abgezogen wird,
während ihnen beinahe ein zweites Drittel durch Agioverlnst entgeht. In dieser
Hinsicht sind die Verhältnisse gegenwärtig nicht viel besser als in der Türkei,
und sie drohen noch schlechter zu werden. Kurz, es ist der Frosch der Fabel,
der sich mit aller Gewalt aufgeblasen hat und nächstens platzen wird, wenn
er nicht aufhört, seiner Haut zu große Dehnbarkeit zuzumuten.

Die Griechen sagen, sie könnten nicht abrüsten, ohne sich lächerlich zu
machen, aber sie sind es schon längst und können darin kaum noch steigen. Übrigens
vermögen wir nichts lächerliches in einer Umkehr von Thorheiten zu erblicken,
die von den Großmächten gefordert wird. Rascher Gehorsam würde vielmehr
Lob verdienen. Man würde Selbsterkenntnis zeigen. Man würde keinen Nach-


Dio Arisis am Balkan und in England.

erwerben möchten. Die Verpflegung der Truppen ist mangelhaft, und so blieben
Tausende der zu den Waffen einberufenen fast eine Woche lang ohne Nahrung,
ohne Mäntel und ohne Obdach. Von genügender Einübung der Leute ist kaum
bei der Hälfte derselben die Rede. An Offizieren herrscht größter Mangel, dem
man dadurch abzuhelfen versuchte, daß man zahlreiche Invaliden heranzog. Ein
auch nur einigermaßen tüchtiger Oberfeldherr ist nicht vorhanden, und dem ge¬
samten Offizierkorps wird in allen seinen Graden von kompetenten Bericht¬
erstattern jede höhere Begabung und jede Schneidigkeit abgesprochen. Die Flotte
ist besser als die Armee, aber sehr klein: sie zählt eine Panzerkorvette, zwei
hölzerne, ein gepanzertes und zwölf andre Kanonenboote, endlich dreiundzwanzig
Torpedoboote — eine Seemacht, mit welcher der türkischen gegenüber nicht viel
anzufangen ist. Zu dieser militärischen und maritimen Schwäche kommt aber
noch die klägliche finanzielle Lage der Griechen, um ihr hochstrcbendes und
trotziges Auftreten komisch erscheinen zu lassen. Die Nachrichten hierüber, welche
die letzte Woche brachte, lauteten sehr traurig. Abgesehen davon, daß nnter
dem Drucke der bisherigen Staatsschuld von 600 Millionen Franken das
kleine Land schon mehr zu leiden hatte, als es naturgemäß tragen konnte, ge¬
sellte sich dazu uoch das Steigen des Agios, welches für Griechenland zu allen
Zeiten große Bedeutung hatte. Zur Bestreitung der Kosten, welche die jetzigen
Rüstungen erforderten, wurden rasch nacheinander drei Anleihen aufgenommen,
eine erste, die sogenannte freiwillige, von 23, eine zweite, vou mehreren grie¬
chischen Banken gewährt, von 30 und vor kurzem eine letzte von 100 Millionen
Franken. Die letztere ist bis jetzt noch nicht eingezahlt und wird vermutlich
auch nicht realisirt werden, wenigstens hat die Regierung nur geringe Aussicht
darauf, und einige Minister bezweifeln sogar die Möglichkeit einer Erlangung
dieses Geldes. Die wirtschaftliche Lage Griechenlands ist infolge dessen sehr
unerfreulich. Das Agio hat die Höhe vou 22 Prozent erreicht und drückt
nicht nur auf den Geschäftsmann, sondern auch auf die breiten Schichten des
Volkes. Verdruß und Unzufriedenheit sind daher fast allgemein, besonders in
den Kreisen der Beamten, denen von ihrem Gehalte ein Drittel wegen der
Mobilisirung und der schlechten Lage der Finanzen des Landes abgezogen wird,
während ihnen beinahe ein zweites Drittel durch Agioverlnst entgeht. In dieser
Hinsicht sind die Verhältnisse gegenwärtig nicht viel besser als in der Türkei,
und sie drohen noch schlechter zu werden. Kurz, es ist der Frosch der Fabel,
der sich mit aller Gewalt aufgeblasen hat und nächstens platzen wird, wenn
er nicht aufhört, seiner Haut zu große Dehnbarkeit zuzumuten.

Die Griechen sagen, sie könnten nicht abrüsten, ohne sich lächerlich zu
machen, aber sie sind es schon längst und können darin kaum noch steigen. Übrigens
vermögen wir nichts lächerliches in einer Umkehr von Thorheiten zu erblicken,
die von den Großmächten gefordert wird. Rascher Gehorsam würde vielmehr
Lob verdienen. Man würde Selbsterkenntnis zeigen. Man würde keinen Nach-


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[0332] Dio Arisis am Balkan und in England. erwerben möchten. Die Verpflegung der Truppen ist mangelhaft, und so blieben Tausende der zu den Waffen einberufenen fast eine Woche lang ohne Nahrung, ohne Mäntel und ohne Obdach. Von genügender Einübung der Leute ist kaum bei der Hälfte derselben die Rede. An Offizieren herrscht größter Mangel, dem man dadurch abzuhelfen versuchte, daß man zahlreiche Invaliden heranzog. Ein auch nur einigermaßen tüchtiger Oberfeldherr ist nicht vorhanden, und dem ge¬ samten Offizierkorps wird in allen seinen Graden von kompetenten Bericht¬ erstattern jede höhere Begabung und jede Schneidigkeit abgesprochen. Die Flotte ist besser als die Armee, aber sehr klein: sie zählt eine Panzerkorvette, zwei hölzerne, ein gepanzertes und zwölf andre Kanonenboote, endlich dreiundzwanzig Torpedoboote — eine Seemacht, mit welcher der türkischen gegenüber nicht viel anzufangen ist. Zu dieser militärischen und maritimen Schwäche kommt aber noch die klägliche finanzielle Lage der Griechen, um ihr hochstrcbendes und trotziges Auftreten komisch erscheinen zu lassen. Die Nachrichten hierüber, welche die letzte Woche brachte, lauteten sehr traurig. Abgesehen davon, daß nnter dem Drucke der bisherigen Staatsschuld von 600 Millionen Franken das kleine Land schon mehr zu leiden hatte, als es naturgemäß tragen konnte, ge¬ sellte sich dazu uoch das Steigen des Agios, welches für Griechenland zu allen Zeiten große Bedeutung hatte. Zur Bestreitung der Kosten, welche die jetzigen Rüstungen erforderten, wurden rasch nacheinander drei Anleihen aufgenommen, eine erste, die sogenannte freiwillige, von 23, eine zweite, vou mehreren grie¬ chischen Banken gewährt, von 30 und vor kurzem eine letzte von 100 Millionen Franken. Die letztere ist bis jetzt noch nicht eingezahlt und wird vermutlich auch nicht realisirt werden, wenigstens hat die Regierung nur geringe Aussicht darauf, und einige Minister bezweifeln sogar die Möglichkeit einer Erlangung dieses Geldes. Die wirtschaftliche Lage Griechenlands ist infolge dessen sehr unerfreulich. Das Agio hat die Höhe vou 22 Prozent erreicht und drückt nicht nur auf den Geschäftsmann, sondern auch auf die breiten Schichten des Volkes. Verdruß und Unzufriedenheit sind daher fast allgemein, besonders in den Kreisen der Beamten, denen von ihrem Gehalte ein Drittel wegen der Mobilisirung und der schlechten Lage der Finanzen des Landes abgezogen wird, während ihnen beinahe ein zweites Drittel durch Agioverlnst entgeht. In dieser Hinsicht sind die Verhältnisse gegenwärtig nicht viel besser als in der Türkei, und sie drohen noch schlechter zu werden. Kurz, es ist der Frosch der Fabel, der sich mit aller Gewalt aufgeblasen hat und nächstens platzen wird, wenn er nicht aufhört, seiner Haut zu große Dehnbarkeit zuzumuten. Die Griechen sagen, sie könnten nicht abrüsten, ohne sich lächerlich zu machen, aber sie sind es schon längst und können darin kaum noch steigen. Übrigens vermögen wir nichts lächerliches in einer Umkehr von Thorheiten zu erblicken, die von den Großmächten gefordert wird. Rascher Gehorsam würde vielmehr Lob verdienen. Man würde Selbsterkenntnis zeigen. Man würde keinen Nach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/332>, abgerufen am 05.02.2025.