Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Heinrich Steinhausen. haften Verkehr hat, Pastor in irgendeinem stillen, nicht unromantischen Neste Leider muß ich gleich vorweg sagen, daß dieser Kilian die schönste Gestalt Seltsam und bemerkenswert ist es jedenfalls, daß Steinhausen mit eben Grenzboten I. 1886. 4
Heinrich Steinhausen. haften Verkehr hat, Pastor in irgendeinem stillen, nicht unromantischen Neste Leider muß ich gleich vorweg sagen, daß dieser Kilian die schönste Gestalt Seltsam und bemerkenswert ist es jedenfalls, daß Steinhausen mit eben Grenzboten I. 1886. 4
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0033" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197457"/> <fw type="header" place="top"> Heinrich Steinhausen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_78" prev="#ID_77"> haften Verkehr hat, Pastor in irgendeinem stillen, nicht unromantischen Neste<lb/> des deutschen Nordens sei. Steinhausen hat ihn mit so viel Biederkeit, klugem<lb/> Sinne, schelmischem Humor und aufrichtigem Christentum auszustatten gewußt,<lb/> daß diese „Herzeuserleichterungen" uns wie ein poetisches Werk anmuten, uns<lb/> menschlich ebenso sehr für den männlich schonen Charakter, wie für seine Glossen<lb/> interessiren. Dies vor allem machte mich auf die spätern Dichtungen Stein¬<lb/> hausens neugierig.</p><lb/> <p xml:id="ID_79"> Leider muß ich gleich vorweg sagen, daß dieser Kilian die schönste Gestalt<lb/> ist, welche Steinhaufen ersonnen hat, wenn sie nicht vielmehr ein — diskretes<lb/> Selbstkouterfei ist. Seine eigentlichen Dichtungen bieten viel des interessanten,<lb/> teilweise auch wohl gelungenen. Geistreich und reich an Bildung, ein ganzer<lb/> Charakter, dessen Gedanken — was heutzutage selten ist — eine fcstgegründete,<lb/> in treuem Glauben wurzelnde Weltanschauung bekunden: das ist Steinhausen<lb/> immer und überall. Aber um als Dichter zu befriedigen, fehlt es ihm an Er¬<lb/> findungsgabe und sinnlicher Gestaltungskraft. Man kommt schwer zur An¬<lb/> schauung seiner Menschen, wenn nicht gar der Autor sich selbst durch die Maske<lb/> seiner Figur verrät.</p><lb/> <p xml:id="ID_80" next="#ID_81"> Seltsam und bemerkenswert ist es jedenfalls, daß Steinhausen mit eben<lb/> jener Dichtungsart begonnen hat, die er selbst mit so vielen treffenden Gründen<lb/> hierauf bekämpfte, nämlich mit der ganz im archaistischen Stile gehaltenen<lb/> „Jrmela, eine Geschichte aus alter Zeit" (Leipzig, Böhme, 8. Auflage 1885).<lb/> Der Cisterzienser-Mönch Diether erzählt zwei jungen Freunden seine Lebens¬<lb/> geschichte. Wie er dies thut: der schlichte, bescheidne Ton, die immer durch¬<lb/> brechende fromme Gesinnung, die in zahlreichen Wendungen der alten Zeit<lb/> (vierzehntes Jahrhundert) angepaßte Sprache, die epische Ruhe und Stetigkeit,<lb/> das ist ganz anmutig und wohlthuend. Es ist alles gedämpft und ohne Effekt¬<lb/> hascherei, sodaß der Charakter des in seine Jugend zurückblickenden Greises<lb/> wohlgewahrt bleibt. Diether ist schon als Kind dem Kloster geweiht worden.<lb/> Sein Vater hatte den Bruder der eignen Gattin erstochen, in dem Augenblicke,<lb/> als er sie jenem entführte, und diese erfuhr es zwar spät, doch früh genug, um<lb/> sich in raschem Haß von dem geliebten Manne zu trennen, den Knaben der Kirche<lb/> zu weihen und selbst ins Kloster zu gehen. Der Vater, Graf Bruno, wurde<lb/> Einsiedler. Als Diether unter der wohlwollenden Leitung seines Abtes in<lb/> Maulbronn heranwuchs, entdeckte man bald sein Talent sür die Malerkunst,<lb/> und bevor er noch die Weihen empfangen hatte, schickte ihn der Abt nach dem<lb/> nahen Speier, wo er mit Genehmigung des Bischofs neuerworbene merkwürdige<lb/> Kirchengemälde italienischer Meister kopiren sollte. Aber Diether, des Weges<lb/> unkundig, geriet in die Irre, und damit begann seine Läuternngsgeschichte,<lb/> die mit dem freiwilligen und doch schmerzvollen Entschlüsse endete, der Welt<lb/> zu entsagen und Mönch zu werden. Zuerst traf er auf den Einsiedler Brun,<lb/> der ihm gute Lehren aus die Weiterreise gab. Dann gesellten sich zwei lustige</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1886. 4</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0033]
Heinrich Steinhausen.
haften Verkehr hat, Pastor in irgendeinem stillen, nicht unromantischen Neste
des deutschen Nordens sei. Steinhausen hat ihn mit so viel Biederkeit, klugem
Sinne, schelmischem Humor und aufrichtigem Christentum auszustatten gewußt,
daß diese „Herzeuserleichterungen" uns wie ein poetisches Werk anmuten, uns
menschlich ebenso sehr für den männlich schonen Charakter, wie für seine Glossen
interessiren. Dies vor allem machte mich auf die spätern Dichtungen Stein¬
hausens neugierig.
Leider muß ich gleich vorweg sagen, daß dieser Kilian die schönste Gestalt
ist, welche Steinhaufen ersonnen hat, wenn sie nicht vielmehr ein — diskretes
Selbstkouterfei ist. Seine eigentlichen Dichtungen bieten viel des interessanten,
teilweise auch wohl gelungenen. Geistreich und reich an Bildung, ein ganzer
Charakter, dessen Gedanken — was heutzutage selten ist — eine fcstgegründete,
in treuem Glauben wurzelnde Weltanschauung bekunden: das ist Steinhausen
immer und überall. Aber um als Dichter zu befriedigen, fehlt es ihm an Er¬
findungsgabe und sinnlicher Gestaltungskraft. Man kommt schwer zur An¬
schauung seiner Menschen, wenn nicht gar der Autor sich selbst durch die Maske
seiner Figur verrät.
Seltsam und bemerkenswert ist es jedenfalls, daß Steinhausen mit eben
jener Dichtungsart begonnen hat, die er selbst mit so vielen treffenden Gründen
hierauf bekämpfte, nämlich mit der ganz im archaistischen Stile gehaltenen
„Jrmela, eine Geschichte aus alter Zeit" (Leipzig, Böhme, 8. Auflage 1885).
Der Cisterzienser-Mönch Diether erzählt zwei jungen Freunden seine Lebens¬
geschichte. Wie er dies thut: der schlichte, bescheidne Ton, die immer durch¬
brechende fromme Gesinnung, die in zahlreichen Wendungen der alten Zeit
(vierzehntes Jahrhundert) angepaßte Sprache, die epische Ruhe und Stetigkeit,
das ist ganz anmutig und wohlthuend. Es ist alles gedämpft und ohne Effekt¬
hascherei, sodaß der Charakter des in seine Jugend zurückblickenden Greises
wohlgewahrt bleibt. Diether ist schon als Kind dem Kloster geweiht worden.
Sein Vater hatte den Bruder der eignen Gattin erstochen, in dem Augenblicke,
als er sie jenem entführte, und diese erfuhr es zwar spät, doch früh genug, um
sich in raschem Haß von dem geliebten Manne zu trennen, den Knaben der Kirche
zu weihen und selbst ins Kloster zu gehen. Der Vater, Graf Bruno, wurde
Einsiedler. Als Diether unter der wohlwollenden Leitung seines Abtes in
Maulbronn heranwuchs, entdeckte man bald sein Talent sür die Malerkunst,
und bevor er noch die Weihen empfangen hatte, schickte ihn der Abt nach dem
nahen Speier, wo er mit Genehmigung des Bischofs neuerworbene merkwürdige
Kirchengemälde italienischer Meister kopiren sollte. Aber Diether, des Weges
unkundig, geriet in die Irre, und damit begann seine Läuternngsgeschichte,
die mit dem freiwilligen und doch schmerzvollen Entschlüsse endete, der Welt
zu entsagen und Mönch zu werden. Zuerst traf er auf den Einsiedler Brun,
der ihm gute Lehren aus die Weiterreise gab. Dann gesellten sich zwei lustige
Grenzboten I. 1886. 4
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