Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Zweimal in der Woche wird gegen Abend auf dem Konstitutionsplatze Die Neustadt (Neapolis) nimmt den größern Bezirk der Stadt Hadrians Zweimal in der Woche wird gegen Abend auf dem Konstitutionsplatze Die Neustadt (Neapolis) nimmt den größern Bezirk der Stadt Hadrians <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0322" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197746"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_946"> Zweimal in der Woche wird gegen Abend auf dem Konstitutionsplatze<lb/> konzertirt, es versammelt sich da die elegante Welt, und über die breite<lb/> Stadionstraße bis zum Eintrachtsplatze bewegt sich eine Art von Korso, denn<lb/> das herrliche Klima dieses Landes erlaubt auch im Winter, sich an den<lb/> Sonnenstrahlen im Freien zu erwärmen, Athen hat an Reichtum und Luxus<lb/> außerordentlich zugenommen. Man begegnet vielen Equipagen und zumal<lb/> schönen Pferden meist arabischer Rasse, Die Griechen sind kühne Reiter,<lb/> auch die Amazonen können sich sehen lassen. Man liebt mit Leidenschaft den<lb/> Sport, und die Nennen sind ein Nationalfest. Wären nur die Straßen weniger<lb/> hart und besser gepflegt, denn jetzt geht es über Stock und Stein, und mit<lb/> unsern Mietgänlen müßte man fürchten, Hals und Beine zu breche». Zu<lb/> Alexanders Zeiten war Mazedonien die Neuville des Altertums, die Kavallerie<lb/> seiner Phalanx der Schrecken aller Feinde, Auch in Thessalien, dem Vaterlande<lb/> der Centauren, ließen sich vorzügliche Pferde züchten und eine reiche Quelle<lb/> des allgemeinen Wohlstandes eröffnen. Aber es geschieht nichts, es ist kein<lb/> Gestüt, kein genügendes Weideland vorhanden, Griechenland ganz und zum<lb/> großen Teile die Türkei kaufen ihren Militärbedarf von Ungarn und der<lb/> Ukraine; nur die eigentlichen Bcrgpferde sind einheimisch, aber untauglich für<lb/> den Felddienst,</p><lb/> <p xml:id="ID_947"> Die Neustadt (Neapolis) nimmt den größern Bezirk der Stadt Hadrians<lb/> ein und dehnt sich nordöstlich nach dem Kephissos ans. Die alte theseifche Stadt<lb/> lag südlich um die Akropolis herum lind hinaus gegen die Häfen, Obgleich<lb/> hier turmhoher Schutt aufgeschichtet liegt, so lassen sich doch auf dem Fels¬<lb/> plateau des Museumberges, der Agora und bei dem erst neuerdings frei¬<lb/> gelegten Dipylvn (Doppelthor) die Fundamente alter Häuser erkennen. Man<lb/> möchte sagen: Häuschen im vollsten Sinne des Diminutivums, noch weit<lb/> kleiner als in Pompeji, Alles Große, Edle und Schöne der griechischen<lb/> Architektur konzentrirte sich auf die öffentlichen Gebäude; die Privatwohnungen<lb/> waren armselig und ohne Bedeutung. Die Alten verbrachten den größten Teil<lb/> des Tages unter freiem Himmel, hier hielten sie ihre Volksversammlungen, ihre<lb/> Gerichte, ihre Theater, ihre Spiele, ihre philosophische,: Dialoge. Die Nach¬<lb/> kommen haben die Sitte in mancher Weise beibehalten. Ans den Straßen vor<lb/> den zahllosen Kaffeehäusern bewegt sich das öffentliche Leben. Der Handwerker<lb/> sitzt mit seiner Arbeit vor der Thür, der Geldwechsler hat seine ambulante<lb/> Bude auf dem Pflaster, die Thüre» stehen angelweit auf, und überall wird unter<lb/> lebhaften Gesten und in überlauter Stimme politisire. Politische Kcmnegießerci<lb/> ist nun einmal das Lebenselement der Athener geblieben, und ein zweiter<lb/> Aristophanes würde reichen Lustspielstoff finden. Besonders die Advokaten,<lb/> deren es Legion giebt, sind die heutigen Sykophanten, und überall begegnet<lb/> man Gruppen, in denen sie das Wort führen; die Debatten der Deputirten-<lb/> kammer werden auf der Straße fortgesetzt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0322]
Zweimal in der Woche wird gegen Abend auf dem Konstitutionsplatze
konzertirt, es versammelt sich da die elegante Welt, und über die breite
Stadionstraße bis zum Eintrachtsplatze bewegt sich eine Art von Korso, denn
das herrliche Klima dieses Landes erlaubt auch im Winter, sich an den
Sonnenstrahlen im Freien zu erwärmen, Athen hat an Reichtum und Luxus
außerordentlich zugenommen. Man begegnet vielen Equipagen und zumal
schönen Pferden meist arabischer Rasse, Die Griechen sind kühne Reiter,
auch die Amazonen können sich sehen lassen. Man liebt mit Leidenschaft den
Sport, und die Nennen sind ein Nationalfest. Wären nur die Straßen weniger
hart und besser gepflegt, denn jetzt geht es über Stock und Stein, und mit
unsern Mietgänlen müßte man fürchten, Hals und Beine zu breche». Zu
Alexanders Zeiten war Mazedonien die Neuville des Altertums, die Kavallerie
seiner Phalanx der Schrecken aller Feinde, Auch in Thessalien, dem Vaterlande
der Centauren, ließen sich vorzügliche Pferde züchten und eine reiche Quelle
des allgemeinen Wohlstandes eröffnen. Aber es geschieht nichts, es ist kein
Gestüt, kein genügendes Weideland vorhanden, Griechenland ganz und zum
großen Teile die Türkei kaufen ihren Militärbedarf von Ungarn und der
Ukraine; nur die eigentlichen Bcrgpferde sind einheimisch, aber untauglich für
den Felddienst,
Die Neustadt (Neapolis) nimmt den größern Bezirk der Stadt Hadrians
ein und dehnt sich nordöstlich nach dem Kephissos ans. Die alte theseifche Stadt
lag südlich um die Akropolis herum lind hinaus gegen die Häfen, Obgleich
hier turmhoher Schutt aufgeschichtet liegt, so lassen sich doch auf dem Fels¬
plateau des Museumberges, der Agora und bei dem erst neuerdings frei¬
gelegten Dipylvn (Doppelthor) die Fundamente alter Häuser erkennen. Man
möchte sagen: Häuschen im vollsten Sinne des Diminutivums, noch weit
kleiner als in Pompeji, Alles Große, Edle und Schöne der griechischen
Architektur konzentrirte sich auf die öffentlichen Gebäude; die Privatwohnungen
waren armselig und ohne Bedeutung. Die Alten verbrachten den größten Teil
des Tages unter freiem Himmel, hier hielten sie ihre Volksversammlungen, ihre
Gerichte, ihre Theater, ihre Spiele, ihre philosophische,: Dialoge. Die Nach¬
kommen haben die Sitte in mancher Weise beibehalten. Ans den Straßen vor
den zahllosen Kaffeehäusern bewegt sich das öffentliche Leben. Der Handwerker
sitzt mit seiner Arbeit vor der Thür, der Geldwechsler hat seine ambulante
Bude auf dem Pflaster, die Thüre» stehen angelweit auf, und überall wird unter
lebhaften Gesten und in überlauter Stimme politisire. Politische Kcmnegießerci
ist nun einmal das Lebenselement der Athener geblieben, und ein zweiter
Aristophanes würde reichen Lustspielstoff finden. Besonders die Advokaten,
deren es Legion giebt, sind die heutigen Sykophanten, und überall begegnet
man Gruppen, in denen sie das Wort führen; die Debatten der Deputirten-
kammer werden auf der Straße fortgesetzt.
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