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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Heinrich Steinhausen.

Stellungen, gegen den ganzen Apparat der öffentlichen Kunstpflege; jeder
Verständige muß an den humorvollen "Erleichterungen" des einsamen Kunst¬
freundes seine wahre Freude haben. Was die Jonrnalpvesie anlangt, so kommt
er, nachdem er sie gründlich durchgenossen hat, zu folgendem Entschlüsse: "Alle
Welt wohnt jetzt in Tapetenstnben; soll ich meinen Gästen und mir ihrer nicht
auch gönnen? Schon sind sämtliche Wände unterklebt. Die Journale von
großem Format haben sich besonders bewährt. Schneide nie ein so brauchbares
Blatt auf!" Am meisten hat er gegen die moderne Art, die Kunst zu pflegen,
und gegen den Kultus, der mit ihr getrieben wird, auf dem Herzen. Er führt
uus in die Kunstauöstclluugeu und zeigt das gedankenlose Anschauen der Menge,
das hochmütige Absprechen und dünkelhafte Auftreten der Kunstreferenten, die
absolute Nutzlosigkeit solcher massenhaften Bildermärkte für die meisten Künstler.
"Was nützen sie dem Publikum? Gerade seine Übeln Gewohnheiten gegenüber
den Erzengnissen der Kunst und seine verkehrten Vorstellungen von ihr be¬
fördern sie. Wer verfügt über so viel Ausdauer und Genußfähigkeit, auch nur
einen Teil der vielen hundert in Gegenstand und Behandlung verschiedenartigsten
Kunstwerke in Muße zu betrachten und auf sich würdig wirken zu lassen, die
da dicht nebeneinander zu sehen sind! Also ist's der flüchtige Sinnenreiz, das
Bedürfnis nach Abwechslung und Beschäftigung der Unterhaltung, das reflek-
tirende Herüber- lind Hinüberverglcichen, im besten Falle eine Erregung des
Gemüts um nichts, ohne Weihe und Möglichkeit der Nachwirkung, was da
gesucht und geboten wird." Und die Folge dieser Ausstellungen? Es ist die,
daß die Kunst, um die Aufmerksamkeit der Menge ans sich zu lenken, zu der
Darstellung der trivialsten Vorgänge greift, welche dieser am nächsten liegen:
" die Wirklichkeit aber, unsre geselligen Zustände naiv, mit reiner Hingabe und
ohne Einmischung eigner Reflexion aufzufassen, dazu sind moderne Maler ebenso
wenig und ebenso selten imstande wie -- moderne Dichter." Überhaupt er¬
warte mau heutzutage vou der Kunst eiuen Ersatz sür die verloren ge¬
gangen Welt der Ideale und spreche ihr eine Kulturaufgabe zu, für die sie
garnicht befähigt sei. Das Umgekehrte sei wahr: wenn Ideale schon existiren,
so erzeugen sie selbst eine Blüte der Kunst. "Statt die Künste für sich
großziehen zu wollen, um dann als mit einem schaltenden und schmückenden
Kranze die Stirn der Nation damit zu zieren, wär's nicht besser, umgekehrt
das allen Menschen ursprünglich innewohnende Bedürfnis nach Kunst und ihre
Empfänglichkeit für sie in der Nation zu wecken und zu pflegen, und dafür zu
sorgen, daß auf dem Acker des Herzens die Drnchensaat ungebändigter Lüste
weniger in Samen schießt, und statt dessen das reinigende, leuchtende und wär¬
mende Feuer edler Begeisterung auf den leider so vielfach umgestürzten Altären
in deu Gemütern wieder anzublasen? Ist nur erst das Leben da für die Kunst,
dann wird's auch an der Kunst fürs Leben nicht fehlen." In der Antike und
im Mittelalter "wußte man nichts von Prachtbauten für die Kunst; mau kannte


Heinrich Steinhausen.

Stellungen, gegen den ganzen Apparat der öffentlichen Kunstpflege; jeder
Verständige muß an den humorvollen „Erleichterungen" des einsamen Kunst¬
freundes seine wahre Freude haben. Was die Jonrnalpvesie anlangt, so kommt
er, nachdem er sie gründlich durchgenossen hat, zu folgendem Entschlüsse: „Alle
Welt wohnt jetzt in Tapetenstnben; soll ich meinen Gästen und mir ihrer nicht
auch gönnen? Schon sind sämtliche Wände unterklebt. Die Journale von
großem Format haben sich besonders bewährt. Schneide nie ein so brauchbares
Blatt auf!" Am meisten hat er gegen die moderne Art, die Kunst zu pflegen,
und gegen den Kultus, der mit ihr getrieben wird, auf dem Herzen. Er führt
uus in die Kunstauöstclluugeu und zeigt das gedankenlose Anschauen der Menge,
das hochmütige Absprechen und dünkelhafte Auftreten der Kunstreferenten, die
absolute Nutzlosigkeit solcher massenhaften Bildermärkte für die meisten Künstler.
„Was nützen sie dem Publikum? Gerade seine Übeln Gewohnheiten gegenüber
den Erzengnissen der Kunst und seine verkehrten Vorstellungen von ihr be¬
fördern sie. Wer verfügt über so viel Ausdauer und Genußfähigkeit, auch nur
einen Teil der vielen hundert in Gegenstand und Behandlung verschiedenartigsten
Kunstwerke in Muße zu betrachten und auf sich würdig wirken zu lassen, die
da dicht nebeneinander zu sehen sind! Also ist's der flüchtige Sinnenreiz, das
Bedürfnis nach Abwechslung und Beschäftigung der Unterhaltung, das reflek-
tirende Herüber- lind Hinüberverglcichen, im besten Falle eine Erregung des
Gemüts um nichts, ohne Weihe und Möglichkeit der Nachwirkung, was da
gesucht und geboten wird." Und die Folge dieser Ausstellungen? Es ist die,
daß die Kunst, um die Aufmerksamkeit der Menge ans sich zu lenken, zu der
Darstellung der trivialsten Vorgänge greift, welche dieser am nächsten liegen:
„ die Wirklichkeit aber, unsre geselligen Zustände naiv, mit reiner Hingabe und
ohne Einmischung eigner Reflexion aufzufassen, dazu sind moderne Maler ebenso
wenig und ebenso selten imstande wie — moderne Dichter." Überhaupt er¬
warte mau heutzutage vou der Kunst eiuen Ersatz sür die verloren ge¬
gangen Welt der Ideale und spreche ihr eine Kulturaufgabe zu, für die sie
garnicht befähigt sei. Das Umgekehrte sei wahr: wenn Ideale schon existiren,
so erzeugen sie selbst eine Blüte der Kunst. „Statt die Künste für sich
großziehen zu wollen, um dann als mit einem schaltenden und schmückenden
Kranze die Stirn der Nation damit zu zieren, wär's nicht besser, umgekehrt
das allen Menschen ursprünglich innewohnende Bedürfnis nach Kunst und ihre
Empfänglichkeit für sie in der Nation zu wecken und zu pflegen, und dafür zu
sorgen, daß auf dem Acker des Herzens die Drnchensaat ungebändigter Lüste
weniger in Samen schießt, und statt dessen das reinigende, leuchtende und wär¬
mende Feuer edler Begeisterung auf den leider so vielfach umgestürzten Altären
in deu Gemütern wieder anzublasen? Ist nur erst das Leben da für die Kunst,
dann wird's auch an der Kunst fürs Leben nicht fehlen." In der Antike und
im Mittelalter „wußte man nichts von Prachtbauten für die Kunst; mau kannte


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[0031] Heinrich Steinhausen. Stellungen, gegen den ganzen Apparat der öffentlichen Kunstpflege; jeder Verständige muß an den humorvollen „Erleichterungen" des einsamen Kunst¬ freundes seine wahre Freude haben. Was die Jonrnalpvesie anlangt, so kommt er, nachdem er sie gründlich durchgenossen hat, zu folgendem Entschlüsse: „Alle Welt wohnt jetzt in Tapetenstnben; soll ich meinen Gästen und mir ihrer nicht auch gönnen? Schon sind sämtliche Wände unterklebt. Die Journale von großem Format haben sich besonders bewährt. Schneide nie ein so brauchbares Blatt auf!" Am meisten hat er gegen die moderne Art, die Kunst zu pflegen, und gegen den Kultus, der mit ihr getrieben wird, auf dem Herzen. Er führt uus in die Kunstauöstclluugeu und zeigt das gedankenlose Anschauen der Menge, das hochmütige Absprechen und dünkelhafte Auftreten der Kunstreferenten, die absolute Nutzlosigkeit solcher massenhaften Bildermärkte für die meisten Künstler. „Was nützen sie dem Publikum? Gerade seine Übeln Gewohnheiten gegenüber den Erzengnissen der Kunst und seine verkehrten Vorstellungen von ihr be¬ fördern sie. Wer verfügt über so viel Ausdauer und Genußfähigkeit, auch nur einen Teil der vielen hundert in Gegenstand und Behandlung verschiedenartigsten Kunstwerke in Muße zu betrachten und auf sich würdig wirken zu lassen, die da dicht nebeneinander zu sehen sind! Also ist's der flüchtige Sinnenreiz, das Bedürfnis nach Abwechslung und Beschäftigung der Unterhaltung, das reflek- tirende Herüber- lind Hinüberverglcichen, im besten Falle eine Erregung des Gemüts um nichts, ohne Weihe und Möglichkeit der Nachwirkung, was da gesucht und geboten wird." Und die Folge dieser Ausstellungen? Es ist die, daß die Kunst, um die Aufmerksamkeit der Menge ans sich zu lenken, zu der Darstellung der trivialsten Vorgänge greift, welche dieser am nächsten liegen: „ die Wirklichkeit aber, unsre geselligen Zustände naiv, mit reiner Hingabe und ohne Einmischung eigner Reflexion aufzufassen, dazu sind moderne Maler ebenso wenig und ebenso selten imstande wie — moderne Dichter." Überhaupt er¬ warte mau heutzutage vou der Kunst eiuen Ersatz sür die verloren ge¬ gangen Welt der Ideale und spreche ihr eine Kulturaufgabe zu, für die sie garnicht befähigt sei. Das Umgekehrte sei wahr: wenn Ideale schon existiren, so erzeugen sie selbst eine Blüte der Kunst. „Statt die Künste für sich großziehen zu wollen, um dann als mit einem schaltenden und schmückenden Kranze die Stirn der Nation damit zu zieren, wär's nicht besser, umgekehrt das allen Menschen ursprünglich innewohnende Bedürfnis nach Kunst und ihre Empfänglichkeit für sie in der Nation zu wecken und zu pflegen, und dafür zu sorgen, daß auf dem Acker des Herzens die Drnchensaat ungebändigter Lüste weniger in Samen schießt, und statt dessen das reinigende, leuchtende und wär¬ mende Feuer edler Begeisterung auf den leider so vielfach umgestürzten Altären in deu Gemütern wieder anzublasen? Ist nur erst das Leben da für die Kunst, dann wird's auch an der Kunst fürs Leben nicht fehlen." In der Antike und im Mittelalter „wußte man nichts von Prachtbauten für die Kunst; mau kannte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/31>, abgerufen am 05.02.2025.