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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die Färbung der Marmorskulptnren,

Agitation des Dresdner Archäologen getragen hat. In der gemütvollen Be¬
leuchtung von Künstlerateliers nehmen sich die Versuche, Gipsabgüsse antiker
Statuen mit Wachsfarben zu bemalen, äußerst lehrreich und interessant aus.
Mau kann sich kein besseres Objekt denken, um Studenten der Archäologie die
ersten Begriffe von der antiken Polychromie beizubringen. Welchen Wert haben
aber solche Experimente für die praktische Kunst? Wer in seinen Wohnräumen
Gipsabgüsse zum Studium aufstellt, der laßt sich die Schärfe der Form nicht durch
einen mehr oder minder dicken Farbenauftrag verkümmern. Ein wirklicher Kunst¬
kenner läßt nicht einmal die Nähte der Gußform entfernen. Wer Gipsabgüsse zur
Dekoration oder zum rein ästhetischen Kunstgenusse verwerten will, der kauft sich
solche, die gelb oder rötlich getönt sind, damit das farbige "Ensemble" seines
Zimmers nicht gestört wird. Bemalte Gipsabgüsse, wie sie einige Künstler ge¬
liefert haben, sind weiter nichts als Unterrichtsmittel im höhern Sinne. Eine
praktische Bedeutung haben sie nicht, weil nur bemalte Marmvrbildwerke uns
über die Frage schlüssig machen können, ob wir "unsre Statuen bemalen" sollen
oder nicht.

Es muß nun konstatirt werden -- und daraus ist der unbefriedigende Aus-
gang der Berliner Ausstellung zum Teil zu erklären --, daß nur zwei Künstler
farbige und leicht getönte Marmorarbeiten -- Reliefs und Büsten -- ausge¬
stellt hatten. Es siud junge Bildhauer, die gern und eifrig jedem von höherer
Stelle ausgehenden Aufruf nachkommen, und deshalb wollen wir ihre Arbeiten
keiner nähern Kritik unterziehen. Wir dürfen aber nicht verschweigen, daß die
durch den Dresdner Archäologen angeregten Versuche, Marmorreliefs und
Marmorbüsten zu bemalen, so überaus klüglich ausgefallen sind, daß der große
Strom einer gesunden Kunstentwicklung die kleinen Blasen und Strudel, die
aus der Tiefe antiquarischen Wissens emporsteigen, mit Leichtigkeit beseitigen
wird. Bildhauer von gefestigter und gereifter Kunstanschauung haben sich denn
auch begnügt, um Gipsabgüssen unschuldige Experimente zu machen, während sie
sich bei Marmorwerken klüglich ans eine leichte, ins Gelbliche spielende Tönung
beschränkt haben. Die von andern Künstlern ausgestellten Arbeiten in glasirter
und unglasirter Terracotta können bei der Besprechung dieser Frage nicht in
Betracht kommen, da der zu plastische!? Zwecken verwendete Thon stets gefärbt
oder getönt worden ist, die Ausstellung nach dieser Richtung also nichts
neues bot.

Wenn sich schon ans einer Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung der
Bildhauerkunst sehr starke Bedenken gegen eine Rückkehr zu der antiken Pvlh-
chromie von Marmorwerken ergeben, so werden dieselben noch vermehrt, sobald
mau die rein technische Seite ins Auge saßt. Professor Springer hat schon
vor zwei Jahren an diesen Punkt gedacht und den Grundsatz aufgestellt, daß
die "Bemalung nicht nachträglich zu dem fertigen plastischen Werke" hinzutreten
dürfe, sondern daß "ans sie schon bei der Anlage des letztern Bedacht genommen"


Die Färbung der Marmorskulptnren,

Agitation des Dresdner Archäologen getragen hat. In der gemütvollen Be¬
leuchtung von Künstlerateliers nehmen sich die Versuche, Gipsabgüsse antiker
Statuen mit Wachsfarben zu bemalen, äußerst lehrreich und interessant aus.
Mau kann sich kein besseres Objekt denken, um Studenten der Archäologie die
ersten Begriffe von der antiken Polychromie beizubringen. Welchen Wert haben
aber solche Experimente für die praktische Kunst? Wer in seinen Wohnräumen
Gipsabgüsse zum Studium aufstellt, der laßt sich die Schärfe der Form nicht durch
einen mehr oder minder dicken Farbenauftrag verkümmern. Ein wirklicher Kunst¬
kenner läßt nicht einmal die Nähte der Gußform entfernen. Wer Gipsabgüsse zur
Dekoration oder zum rein ästhetischen Kunstgenusse verwerten will, der kauft sich
solche, die gelb oder rötlich getönt sind, damit das farbige „Ensemble" seines
Zimmers nicht gestört wird. Bemalte Gipsabgüsse, wie sie einige Künstler ge¬
liefert haben, sind weiter nichts als Unterrichtsmittel im höhern Sinne. Eine
praktische Bedeutung haben sie nicht, weil nur bemalte Marmvrbildwerke uns
über die Frage schlüssig machen können, ob wir „unsre Statuen bemalen" sollen
oder nicht.

Es muß nun konstatirt werden — und daraus ist der unbefriedigende Aus-
gang der Berliner Ausstellung zum Teil zu erklären —, daß nur zwei Künstler
farbige und leicht getönte Marmorarbeiten — Reliefs und Büsten — ausge¬
stellt hatten. Es siud junge Bildhauer, die gern und eifrig jedem von höherer
Stelle ausgehenden Aufruf nachkommen, und deshalb wollen wir ihre Arbeiten
keiner nähern Kritik unterziehen. Wir dürfen aber nicht verschweigen, daß die
durch den Dresdner Archäologen angeregten Versuche, Marmorreliefs und
Marmorbüsten zu bemalen, so überaus klüglich ausgefallen sind, daß der große
Strom einer gesunden Kunstentwicklung die kleinen Blasen und Strudel, die
aus der Tiefe antiquarischen Wissens emporsteigen, mit Leichtigkeit beseitigen
wird. Bildhauer von gefestigter und gereifter Kunstanschauung haben sich denn
auch begnügt, um Gipsabgüssen unschuldige Experimente zu machen, während sie
sich bei Marmorwerken klüglich ans eine leichte, ins Gelbliche spielende Tönung
beschränkt haben. Die von andern Künstlern ausgestellten Arbeiten in glasirter
und unglasirter Terracotta können bei der Besprechung dieser Frage nicht in
Betracht kommen, da der zu plastische!? Zwecken verwendete Thon stets gefärbt
oder getönt worden ist, die Ausstellung nach dieser Richtung also nichts
neues bot.

Wenn sich schon ans einer Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung der
Bildhauerkunst sehr starke Bedenken gegen eine Rückkehr zu der antiken Pvlh-
chromie von Marmorwerken ergeben, so werden dieselben noch vermehrt, sobald
mau die rein technische Seite ins Auge saßt. Professor Springer hat schon
vor zwei Jahren an diesen Punkt gedacht und den Grundsatz aufgestellt, daß
die „Bemalung nicht nachträglich zu dem fertigen plastischen Werke" hinzutreten
dürfe, sondern daß „ans sie schon bei der Anlage des letztern Bedacht genommen"


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[0286] Die Färbung der Marmorskulptnren, Agitation des Dresdner Archäologen getragen hat. In der gemütvollen Be¬ leuchtung von Künstlerateliers nehmen sich die Versuche, Gipsabgüsse antiker Statuen mit Wachsfarben zu bemalen, äußerst lehrreich und interessant aus. Mau kann sich kein besseres Objekt denken, um Studenten der Archäologie die ersten Begriffe von der antiken Polychromie beizubringen. Welchen Wert haben aber solche Experimente für die praktische Kunst? Wer in seinen Wohnräumen Gipsabgüsse zum Studium aufstellt, der laßt sich die Schärfe der Form nicht durch einen mehr oder minder dicken Farbenauftrag verkümmern. Ein wirklicher Kunst¬ kenner läßt nicht einmal die Nähte der Gußform entfernen. Wer Gipsabgüsse zur Dekoration oder zum rein ästhetischen Kunstgenusse verwerten will, der kauft sich solche, die gelb oder rötlich getönt sind, damit das farbige „Ensemble" seines Zimmers nicht gestört wird. Bemalte Gipsabgüsse, wie sie einige Künstler ge¬ liefert haben, sind weiter nichts als Unterrichtsmittel im höhern Sinne. Eine praktische Bedeutung haben sie nicht, weil nur bemalte Marmvrbildwerke uns über die Frage schlüssig machen können, ob wir „unsre Statuen bemalen" sollen oder nicht. Es muß nun konstatirt werden — und daraus ist der unbefriedigende Aus- gang der Berliner Ausstellung zum Teil zu erklären —, daß nur zwei Künstler farbige und leicht getönte Marmorarbeiten — Reliefs und Büsten — ausge¬ stellt hatten. Es siud junge Bildhauer, die gern und eifrig jedem von höherer Stelle ausgehenden Aufruf nachkommen, und deshalb wollen wir ihre Arbeiten keiner nähern Kritik unterziehen. Wir dürfen aber nicht verschweigen, daß die durch den Dresdner Archäologen angeregten Versuche, Marmorreliefs und Marmorbüsten zu bemalen, so überaus klüglich ausgefallen sind, daß der große Strom einer gesunden Kunstentwicklung die kleinen Blasen und Strudel, die aus der Tiefe antiquarischen Wissens emporsteigen, mit Leichtigkeit beseitigen wird. Bildhauer von gefestigter und gereifter Kunstanschauung haben sich denn auch begnügt, um Gipsabgüssen unschuldige Experimente zu machen, während sie sich bei Marmorwerken klüglich ans eine leichte, ins Gelbliche spielende Tönung beschränkt haben. Die von andern Künstlern ausgestellten Arbeiten in glasirter und unglasirter Terracotta können bei der Besprechung dieser Frage nicht in Betracht kommen, da der zu plastische!? Zwecken verwendete Thon stets gefärbt oder getönt worden ist, die Ausstellung nach dieser Richtung also nichts neues bot. Wenn sich schon ans einer Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung der Bildhauerkunst sehr starke Bedenken gegen eine Rückkehr zu der antiken Pvlh- chromie von Marmorwerken ergeben, so werden dieselben noch vermehrt, sobald mau die rein technische Seite ins Auge saßt. Professor Springer hat schon vor zwei Jahren an diesen Punkt gedacht und den Grundsatz aufgestellt, daß die „Bemalung nicht nachträglich zu dem fertigen plastischen Werke" hinzutreten dürfe, sondern daß „ans sie schon bei der Anlage des letztern Bedacht genommen"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/286>, abgerufen am 05.02.2025.