Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Levin Schiickings Lebenserinnerungen. bis zu einem gewissen Punkte die Freiheit, seinen innern Eingebungen zu Bei dieser Wendung der "Lebenserinnerungen" läßt sich freilich eine Be¬ Levin Schiickings Lebenserinnerungen. bis zu einem gewissen Punkte die Freiheit, seinen innern Eingebungen zu Bei dieser Wendung der „Lebenserinnerungen" läßt sich freilich eine Be¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0280" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197704"/> <fw type="header" place="top"> Levin Schiickings Lebenserinnerungen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_823" prev="#ID_822"> bis zu einem gewissen Punkte die Freiheit, seinen innern Eingebungen zu<lb/> folgen.</p><lb/> <p xml:id="ID_824" next="#ID_825"> Bei dieser Wendung der „Lebenserinnerungen" läßt sich freilich eine Be¬<lb/> merkung nicht unterdrücken. Es ist richtig, daß sich alle Heroen unsrer großen<lb/> Literaturepoche, Lessing und Schiller allen voran, dem Dienste der Notwendigkeit<lb/> bequemt und vieles geschrieben haben, bei dem sie zunächst nur den Erwerb im<lb/> Auge hatten. Aber den modernen Schriftstellern steht die Berufung darauf<lb/> aus doppeltem Grunde übel an. Einmal weil jene Männer vergangner Zeit<lb/> die Kraft besaßen, bei dieser Unterordnung unter die Not des Lebens die Grenze<lb/> des Bedürfnisses, und eines sehr bescheidnen Bedürfnisses, nicht zu überschreiten,<lb/> dann und hauptsächlich weil sie es verstanden, ihr unabhängiges und eigenstes<lb/> Schaffen völlig frei von den Einwirkungen der Brvtschriftstellerei zu erhalten,<lb/> viel freier als die Modernen, welche in verhängnisvoller Weise zwischen den<lb/> klaren Anforderungen der Kunst und den mannichfaltig unklaren des Buch¬<lb/> handels, der Presse und des Publikums stehe» und stecke» bleiben. Levin<lb/> Schücking ist trotz des Glückes, welches seine änßere literarische Entwicklung<lb/> begleitet hat, in diesem Hauptpunkte nicht besser gefahren; ein talentvoller, mit<lb/> Hellem Blick für das Leben begabter, von eigentümlichen Lebenseindrncken be¬<lb/> günstigter Schriftsteller, wie er war, hat er es doch zu keinem bleibende» Werke<lb/> wie Immermann mit den „Epigonen" und „Münchhausen" oder Wilibald Alexis<lb/> mit den „Hosen des Herrn von Bredow" und „Isegrim" gebracht, obschon seine<lb/> Romane „Der Bauernfürst," „Luther in Rom" und „Die Heiligen und die<lb/> Ritter" den Ansatz und Anlauf dazu aufweise». Immerhin war nichts in seinein<lb/> liternrischcn Leben und Streben, dessen eine vornehme Natur (und das blieb er<lb/> unter allen Umständen) sich zu schämen gehabt hätte. Die „Lebenserinnerungen"<lb/> zeichnen sich daher auch in ihren spätern Kapiteln durch einen reinen Blick für<lb/> die Zustände und Verhältnisse, durch ungetrübte Freude am Guten des Lebens,<lb/> durch fortgesetzten Anteil eines ernsten und tüchtigen Geistes an idealen Interessen<lb/> aus. In den Kapiteln, welche der Charakteristik hervorragender Menschen<lb/> gelten, mit denen Schücking in näherm Verkehr gestanden hat, verdienen die beiden<lb/> über „Karl Gutzkow" (mit Briefen Gutzkvws an Schücking) und über „Christian<lb/> von Stramberg," den „Rheinischen Antiquarius," besondre Hervorhebung.<lb/> Schücking hat der problematischen Erscheinung Gutzkow Zeit seines Lebens<lb/> pietätvolle Teilnahme bewahrt und tritt für ihn ein, soweit dies nur immer<lb/> möglich ist. Aber auch er muß zu dem Urteil gelangen, das sich aus allen<lb/> Kämpfen und Kontroversen mehr und mehr feststellen wird: „Gutzkow wurde<lb/> nicht von der Menge getragen, und während ihn dies ohne Rückhalt und Reserve<lb/> ließ, zog er selbst in seine kritischen Fehden hinaus, ohne das »of trixlvx virvÄ<lb/> xövws, ohne die Rüstung, die jeder Kämpfer haben muß. Er hatte die verletzliche<lb/> Epidermis eines jungen Mädchens. Jeder Nadelstich schmerzte ihn. Und dann<lb/> kam noch etwas hinzu, um ihn zu dem innerlich unglücklichsten Menschen von</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0280]
Levin Schiickings Lebenserinnerungen.
bis zu einem gewissen Punkte die Freiheit, seinen innern Eingebungen zu
folgen.
Bei dieser Wendung der „Lebenserinnerungen" läßt sich freilich eine Be¬
merkung nicht unterdrücken. Es ist richtig, daß sich alle Heroen unsrer großen
Literaturepoche, Lessing und Schiller allen voran, dem Dienste der Notwendigkeit
bequemt und vieles geschrieben haben, bei dem sie zunächst nur den Erwerb im
Auge hatten. Aber den modernen Schriftstellern steht die Berufung darauf
aus doppeltem Grunde übel an. Einmal weil jene Männer vergangner Zeit
die Kraft besaßen, bei dieser Unterordnung unter die Not des Lebens die Grenze
des Bedürfnisses, und eines sehr bescheidnen Bedürfnisses, nicht zu überschreiten,
dann und hauptsächlich weil sie es verstanden, ihr unabhängiges und eigenstes
Schaffen völlig frei von den Einwirkungen der Brvtschriftstellerei zu erhalten,
viel freier als die Modernen, welche in verhängnisvoller Weise zwischen den
klaren Anforderungen der Kunst und den mannichfaltig unklaren des Buch¬
handels, der Presse und des Publikums stehe» und stecke» bleiben. Levin
Schücking ist trotz des Glückes, welches seine änßere literarische Entwicklung
begleitet hat, in diesem Hauptpunkte nicht besser gefahren; ein talentvoller, mit
Hellem Blick für das Leben begabter, von eigentümlichen Lebenseindrncken be¬
günstigter Schriftsteller, wie er war, hat er es doch zu keinem bleibende» Werke
wie Immermann mit den „Epigonen" und „Münchhausen" oder Wilibald Alexis
mit den „Hosen des Herrn von Bredow" und „Isegrim" gebracht, obschon seine
Romane „Der Bauernfürst," „Luther in Rom" und „Die Heiligen und die
Ritter" den Ansatz und Anlauf dazu aufweise». Immerhin war nichts in seinein
liternrischcn Leben und Streben, dessen eine vornehme Natur (und das blieb er
unter allen Umständen) sich zu schämen gehabt hätte. Die „Lebenserinnerungen"
zeichnen sich daher auch in ihren spätern Kapiteln durch einen reinen Blick für
die Zustände und Verhältnisse, durch ungetrübte Freude am Guten des Lebens,
durch fortgesetzten Anteil eines ernsten und tüchtigen Geistes an idealen Interessen
aus. In den Kapiteln, welche der Charakteristik hervorragender Menschen
gelten, mit denen Schücking in näherm Verkehr gestanden hat, verdienen die beiden
über „Karl Gutzkow" (mit Briefen Gutzkvws an Schücking) und über „Christian
von Stramberg," den „Rheinischen Antiquarius," besondre Hervorhebung.
Schücking hat der problematischen Erscheinung Gutzkow Zeit seines Lebens
pietätvolle Teilnahme bewahrt und tritt für ihn ein, soweit dies nur immer
möglich ist. Aber auch er muß zu dem Urteil gelangen, das sich aus allen
Kämpfen und Kontroversen mehr und mehr feststellen wird: „Gutzkow wurde
nicht von der Menge getragen, und während ihn dies ohne Rückhalt und Reserve
ließ, zog er selbst in seine kritischen Fehden hinaus, ohne das »of trixlvx virvÄ
xövws, ohne die Rüstung, die jeder Kämpfer haben muß. Er hatte die verletzliche
Epidermis eines jungen Mädchens. Jeder Nadelstich schmerzte ihn. Und dann
kam noch etwas hinzu, um ihn zu dem innerlich unglücklichsten Menschen von
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |