Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Notiz. Reform der Universitäten in Frankreich. Am 28. Dezember vorigen Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Lcipzin. Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig. Notiz. Reform der Universitäten in Frankreich. Am 28. Dezember vorigen Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Lcipzin. Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0248" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197672"/> </div> </div> <div n="1"> <head> Notiz.</head><lb/> <p xml:id="ID_747"> Reform der Universitäten in Frankreich. Am 28. Dezember vorigen<lb/> Jahres hat der französische Unterrichtsminister ein Dekret des Präsidenten der<lb/> Republik veröffentlicht, durch welches ein seit zwei Jahren viel erwähntes Univcrsitäts-<lb/> projekt ins Leben tritt. Die Franzosen haben keine Universitäten im Sinne<lb/> Englands, wo sie als alte Korporationen sehr selbständig geschlossen wirken und<lb/> dem Staate nur eine geringe Einwirkung verstatten. Auch die viel geringere<lb/> Selbständigkeit und Geschlossenheit der deutschen Universitäten ist den Franzosen<lb/> fremd. Unter Universität wurde seit Napoleon I. (1808) der „lehrende Staat"<lb/> verstanden, wie er durch Elementarschule, Sekundärschule (Gymnasien, Colleges) und<lb/> Fakultäten (ensvignowent snnvrigur), also in drei Stufen, die Bildung erstrebt und<lb/> durch Examen sicher stellt. Diese Stufen waren, straff geordnet, der Staat griff<lb/> überall durch, die Fakultäten waren nicht räumlich zusammen und hatten auch keine<lb/> innere Verbindung. Die Bibliotheken waren zahlreich, aber meist dürftig, zum Teil<lb/> den Studenten nicht zugänglich. Nun haben seit zwei Jahren Kommissionen unter¬<lb/> sucht, ob man nicht auch in Frankreich deutsche Universitätseinrichtungen, die ja<lb/> eigentlich einst von dem Pariser Vorbilde herübergenommen worden find, soweit<lb/> es sich mit den gegenwärtigen Begriffen des französischen Bürgers verträgt, nach¬<lb/> ahmen solle. Der französische Unterrichtsminister hat sehr maßvoll entschieden, daß<lb/> die Gesetzgebung durch die Kammern lieber noch nicht mit der Reformangelegen¬<lb/> heit zu befassen sei. Vielmehr sei die Reform nur soweit vorläufig ins Leben zu<lb/> rufen, als die gesetzlichen Befugnisse der Verwaltung es schon jetzt möglich machten.<lb/> Eigentliche Universitäten als Korporationen entstehen also gegenwärtig in Frankreich<lb/> noch nicht, schon weil das Wort Universität einen ganz andern Sinn bereits aus¬<lb/> drückt; aber auch aus andern Gründen will der Minister diesen Schritt nicht thun,<lb/> er scheut sich, dein Staate etwas in seiner Einwirknng auf deu höhern Unterricht<lb/> zu entziehen. Manche Wünsche will er aber doch befriedigen. So sollen die<lb/> Fakultäten in den Mittelpunkten gewisse Dinge pädagogischer, finanzieller, ver¬<lb/> waltungsrechtlicher und disziplinarischer Natur gemeinsam beraten, ungefähr wie<lb/> unsre Uinversitätsscnate. Auch soll jede Fakultät einen Rat (oonssil) aus den<lb/> stabilen Elementen der Lehrerschaft und eine Versammlung (ussvwblöö) aller Pro¬<lb/> fessoren bekommen, die unter einem Dekan ziemlich viele Dinge erledigen foll, die<lb/> sonst uur den Organen der Universität in politischem Sinne (dem rsotsur n. s. w.)<lb/> übertragen waren. Der Staat behält natürlich überall eine geordnete Mitwirkung;<lb/> auch die Korporntionsrechte (Besitz und Erwerb u. s. w.), die den Fakultäten be¬<lb/> willigt sind, die Konzentration der Bibliotheken, bessere Verwendung der Fonds,<lb/> Abschaffung der fast privaten Vertretung der ältern Professoren, Pensionsordnung<lb/> und manches andre werden heilsam auf die Entwicklung der Fakultäten wirken. Es<lb/> läßt sich erwarten, daß, wenn das Experiment gelingt, unter irgendeinem Namen<lb/> der akademische Unterricht in Frankreich noch mehr Einheitlichkeit gewinnen wird,<lb/> ohne die Verbindung mit den Mittelschule» zu verlieren. Von theologischen<lb/> Fakultäten ist in der Verfügung nicht die Rede, da diese Gebiete durch kirchliche<lb/> Seminare versorgt werden. Wir sind in Deutschland der alten Praxis treu ge¬<lb/> blieben, «ach der die Theologie die erste und vornehmste Fakultät war. Die<lb/> Seminarien können daneben uoch wichtige praktische Zwecke verfolgen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <note type="byline"> Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Lcipzin.<lb/> Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0248]
Notiz.
Reform der Universitäten in Frankreich. Am 28. Dezember vorigen
Jahres hat der französische Unterrichtsminister ein Dekret des Präsidenten der
Republik veröffentlicht, durch welches ein seit zwei Jahren viel erwähntes Univcrsitäts-
projekt ins Leben tritt. Die Franzosen haben keine Universitäten im Sinne
Englands, wo sie als alte Korporationen sehr selbständig geschlossen wirken und
dem Staate nur eine geringe Einwirkung verstatten. Auch die viel geringere
Selbständigkeit und Geschlossenheit der deutschen Universitäten ist den Franzosen
fremd. Unter Universität wurde seit Napoleon I. (1808) der „lehrende Staat"
verstanden, wie er durch Elementarschule, Sekundärschule (Gymnasien, Colleges) und
Fakultäten (ensvignowent snnvrigur), also in drei Stufen, die Bildung erstrebt und
durch Examen sicher stellt. Diese Stufen waren, straff geordnet, der Staat griff
überall durch, die Fakultäten waren nicht räumlich zusammen und hatten auch keine
innere Verbindung. Die Bibliotheken waren zahlreich, aber meist dürftig, zum Teil
den Studenten nicht zugänglich. Nun haben seit zwei Jahren Kommissionen unter¬
sucht, ob man nicht auch in Frankreich deutsche Universitätseinrichtungen, die ja
eigentlich einst von dem Pariser Vorbilde herübergenommen worden find, soweit
es sich mit den gegenwärtigen Begriffen des französischen Bürgers verträgt, nach¬
ahmen solle. Der französische Unterrichtsminister hat sehr maßvoll entschieden, daß
die Gesetzgebung durch die Kammern lieber noch nicht mit der Reformangelegen¬
heit zu befassen sei. Vielmehr sei die Reform nur soweit vorläufig ins Leben zu
rufen, als die gesetzlichen Befugnisse der Verwaltung es schon jetzt möglich machten.
Eigentliche Universitäten als Korporationen entstehen also gegenwärtig in Frankreich
noch nicht, schon weil das Wort Universität einen ganz andern Sinn bereits aus¬
drückt; aber auch aus andern Gründen will der Minister diesen Schritt nicht thun,
er scheut sich, dein Staate etwas in seiner Einwirknng auf deu höhern Unterricht
zu entziehen. Manche Wünsche will er aber doch befriedigen. So sollen die
Fakultäten in den Mittelpunkten gewisse Dinge pädagogischer, finanzieller, ver¬
waltungsrechtlicher und disziplinarischer Natur gemeinsam beraten, ungefähr wie
unsre Uinversitätsscnate. Auch soll jede Fakultät einen Rat (oonssil) aus den
stabilen Elementen der Lehrerschaft und eine Versammlung (ussvwblöö) aller Pro¬
fessoren bekommen, die unter einem Dekan ziemlich viele Dinge erledigen foll, die
sonst uur den Organen der Universität in politischem Sinne (dem rsotsur n. s. w.)
übertragen waren. Der Staat behält natürlich überall eine geordnete Mitwirkung;
auch die Korporntionsrechte (Besitz und Erwerb u. s. w.), die den Fakultäten be¬
willigt sind, die Konzentration der Bibliotheken, bessere Verwendung der Fonds,
Abschaffung der fast privaten Vertretung der ältern Professoren, Pensionsordnung
und manches andre werden heilsam auf die Entwicklung der Fakultäten wirken. Es
läßt sich erwarten, daß, wenn das Experiment gelingt, unter irgendeinem Namen
der akademische Unterricht in Frankreich noch mehr Einheitlichkeit gewinnen wird,
ohne die Verbindung mit den Mittelschule» zu verlieren. Von theologischen
Fakultäten ist in der Verfügung nicht die Rede, da diese Gebiete durch kirchliche
Seminare versorgt werden. Wir sind in Deutschland der alten Praxis treu ge¬
blieben, «ach der die Theologie die erste und vornehmste Fakultät war. Die
Seminarien können daneben uoch wichtige praktische Zwecke verfolgen.
Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Lcipzin.
Verlag von Fr. Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig.
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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
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