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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Wort Antisemitismus der Kürze halber gebraucht für die Überzeugung, daß
dem Überwuchern des Judentums Halt geboten werden müsse.

Und um das Judentum handelt es sich eigentlich in der ganzen Frage,
das werden die grimmigsten Redner wohl unter sich uicht leugnen. Herr Nickert
trat sür seine jüdischen Wähler ein, Herr Bcnnberger für seine Landsleute und
Glaubensgenossen, Denn er ist doch wohl derselbe Herr Bamberger, der 1859 in
einer Flugschrift: "Juchhe, nach Italien!" diejenigen verhöhnte, die es für ein
deutsches Interesse hielten, das Übergewicht des Bonapartismus brechen zu
helfen? schwärmte er damals für die Nationalität zu Gunsten Italiens,
wird er sie doch jetzt nicht verleugnen auf Kosten Deutschlands und aus Sen¬
timentalität für die edeln Polen. Aber er kennt leider seine Landsleute in
Galizie" zu wenig. Hat mau doch den Mut gehabt, bei dieser Frage an die
französische Einwanderung uuter dem Großen Kurfürsten zu erinnern! Müssen
wir Österreicher die Preußen daran erinnern, daß Brandenburg, ein armes,
durch die laugen Kriege verwüstetes Land, in den Hugenotten gebildete, gewcrbs-
fleißige, meistens wohlhabende Mitbürger gewann, welche sich schnell ratio-
nalisirten und den Schutz reichlich vergüteten? Sie waren kein handeltreibender
Stamm, der vielleicht die Sprache des Landes, in welchem er lebt, annimmt,
aber sich (Ausnahmen abgerechnet) stets als Angehöriger seines über den ganzen
Erdboden zerstreuten und zur Herrschaft über denselben berufenen Volkes fühlt!
Das ist der Unterschied. Alle Achtung vor den Eigenschaften, welche dem jü¬
dischen Volke eine solche Macht verleihen. Aber man wird es den Deutschen
wohl nicht verargen können, daß sie so wenig von Juden wie von Tschechen,
Polen und Slowenen beherrscht sein, daß sie ihre Art so weit rein erhalten
wollen, als das heutzutage überhaupt möglich ist.

Und noch eins könnten die Herren bei uns lernen, Sie stellen sich an,
als ob vou Maßregeln wie den preußischen Ausweisungen der Haß herrühre,
mit welchem der Deutsche fast vou allen seinen Nachbarn beehrt wird. Als ob
der Haß etwas neues wäre! Hierzulande ist der Deutsche dort gehaßt, wo er
gebildeter, fleißiger, sparsamer ist als der Einheimische, Es ist nicht angenehm,
aber wir haben nur eine Wahl: entweder als eine wehrlose, zum Dienen, Last¬
tragen und -- Düngen des Bodens geschaffene Nation verachtet oder als kräf¬
tige gehaßt zu werden. Wir sind einmal weder Italiener noch Franzosen noch
Polen,

Fürst Bismarck ist gewiß uicht unfehlbar. Er hat ja auch einmal geglaubt,
vou Herrn Bamberger guten Rat empfangen zu können. Manchmal beschleicht
einen aber doch die Befürchtung, er habe sich auch geirrt, als er sprach: "Setzen
wir Deutschland in den Sattel, reiten wird es schon können!"




Wort Antisemitismus der Kürze halber gebraucht für die Überzeugung, daß
dem Überwuchern des Judentums Halt geboten werden müsse.

Und um das Judentum handelt es sich eigentlich in der ganzen Frage,
das werden die grimmigsten Redner wohl unter sich uicht leugnen. Herr Nickert
trat sür seine jüdischen Wähler ein, Herr Bcnnberger für seine Landsleute und
Glaubensgenossen, Denn er ist doch wohl derselbe Herr Bamberger, der 1859 in
einer Flugschrift: „Juchhe, nach Italien!" diejenigen verhöhnte, die es für ein
deutsches Interesse hielten, das Übergewicht des Bonapartismus brechen zu
helfen? schwärmte er damals für die Nationalität zu Gunsten Italiens,
wird er sie doch jetzt nicht verleugnen auf Kosten Deutschlands und aus Sen¬
timentalität für die edeln Polen. Aber er kennt leider seine Landsleute in
Galizie» zu wenig. Hat mau doch den Mut gehabt, bei dieser Frage an die
französische Einwanderung uuter dem Großen Kurfürsten zu erinnern! Müssen
wir Österreicher die Preußen daran erinnern, daß Brandenburg, ein armes,
durch die laugen Kriege verwüstetes Land, in den Hugenotten gebildete, gewcrbs-
fleißige, meistens wohlhabende Mitbürger gewann, welche sich schnell ratio-
nalisirten und den Schutz reichlich vergüteten? Sie waren kein handeltreibender
Stamm, der vielleicht die Sprache des Landes, in welchem er lebt, annimmt,
aber sich (Ausnahmen abgerechnet) stets als Angehöriger seines über den ganzen
Erdboden zerstreuten und zur Herrschaft über denselben berufenen Volkes fühlt!
Das ist der Unterschied. Alle Achtung vor den Eigenschaften, welche dem jü¬
dischen Volke eine solche Macht verleihen. Aber man wird es den Deutschen
wohl nicht verargen können, daß sie so wenig von Juden wie von Tschechen,
Polen und Slowenen beherrscht sein, daß sie ihre Art so weit rein erhalten
wollen, als das heutzutage überhaupt möglich ist.

Und noch eins könnten die Herren bei uns lernen, Sie stellen sich an,
als ob vou Maßregeln wie den preußischen Ausweisungen der Haß herrühre,
mit welchem der Deutsche fast vou allen seinen Nachbarn beehrt wird. Als ob
der Haß etwas neues wäre! Hierzulande ist der Deutsche dort gehaßt, wo er
gebildeter, fleißiger, sparsamer ist als der Einheimische, Es ist nicht angenehm,
aber wir haben nur eine Wahl: entweder als eine wehrlose, zum Dienen, Last¬
tragen und — Düngen des Bodens geschaffene Nation verachtet oder als kräf¬
tige gehaßt zu werden. Wir sind einmal weder Italiener noch Franzosen noch
Polen,

Fürst Bismarck ist gewiß uicht unfehlbar. Er hat ja auch einmal geglaubt,
vou Herrn Bamberger guten Rat empfangen zu können. Manchmal beschleicht
einen aber doch die Befürchtung, er habe sich auch geirrt, als er sprach: „Setzen
wir Deutschland in den Sattel, reiten wird es schon können!"




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/239>, abgerufen am 05.02.2025.