Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Historische Romane. das in einem fort an den Steuersäckel eines verarmten Volkes die größten An¬ Historische Romane. das in einem fort an den Steuersäckel eines verarmten Volkes die größten An¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0236" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197660"/> <fw type="header" place="top"> Historische Romane.</fw><lb/> <p xml:id="ID_694" prev="#ID_693" next="#ID_695"> das in einem fort an den Steuersäckel eines verarmten Volkes die größten An¬<lb/> forderungen stellte. Immerhin aber war dem Volke, den handeltreibenden<lb/> Städtern die teure und strenge Ordnung des Kurfürsten lieber als die Anarchie<lb/> der adlichen Herren nach polnischem Muster, und diese bürgerlichen Elemente<lb/> waren es, welche vorzüglich zum Erfolge des Brandenburgers beitrugen. Natürlich<lb/> ging es nicht ohne furchtbare und wohl auch rücksichtslose Kämpfe ab: es gab<lb/> einen Konflikt zwischen einer (im höhern Sinne most auch berechtigten) Macht<lb/> und dem Rechte, auf welches sich die echt ostpreußisch hartnäckigen Adlichen steifem.<lb/> An dem Obersten Grafen Kalkstein, der glänzendsten Erscheinung jener altpreußi¬<lb/> schen souveränen Ritterschaft, wollte der Kurfürst ein Exempel statuiren. Sein<lb/> Prozeß wurde mit allen erlaubten und unerlaubten Mittel» des politischen<lb/> Machthabers gegen den unbotmäßigen Vasallen geführt. Der energische An¬<lb/> geklagte wehrte sich mit allen Mitteln der Rechtsordnung, bis ihn das Schicksal<lb/> selbst verwirrte und in eine nicht mehr mit dem Rechte zu vereinigende Position<lb/> gegen den Kurfürsten brachte. Die kurfürstlichen Beamten verfuhren auch uicht<lb/> glimpflich gegen den Obersten, bis er schließlich als ein Opfer der Staatsrnisvn<lb/> hingerichtet wurde. Dies ist der Hauptinhalt des breit angelegten Romans,<lb/> zu dem der ganze erste Band (etwa 400 Seiten Grvßoktav) die Expositon<lb/> bietet. Der Titelheld Fritz Kanuacher steht damit in ziemlich äußerm Zusammen¬<lb/> hange, er ist mehr Zuschauer, wenn er auch häufig, aber unwesentlich in die<lb/> Handlung eingreift. Ein junger Leutnant des Kurfürsten, diesem mit aller Be¬<lb/> geisterung der Jugend für ihren Helden ergeben, von Herkunft gleichfalls ein<lb/> Ostprcuße, dient er dazu, den Mittelpunkt für die beiden großen Gruppen<lb/> des Romans abzugeben: die des Brandenburgers und die der Ostpreußen. Mit<lb/> Fritz Kauuacher führt uns die Handlung über die kleine Provinz hinaus auf die<lb/> ganze europäische Bühne, die durch die Türkenkriege im Südosten und die nieder-<lb/> ländischen Kämpfe im Nordwesten bewegt war. Mit Fritz Kannachcr kehrt man von<lb/> diesen Ausflügen wieder nach Ostpreußen zurück, wo er endlich in den Besitz des<lb/> gesuchten väterlichen Erbgutes kommt. Leider ist dieser Held des Romans zwar<lb/> eine brave Seele, aber eine poetische Mittelmäßigkeit, und dies ist der Krebs¬<lb/> schaden des Werkes. Hobrecht hat sonst eine Reihe ausgezeichneter Charaktere<lb/> geschaffen, vor allem in dem wahrhaft ritterlichen Oberst Kalkstein, in seinem<lb/> verräterischen Bruder Christian, in dem Advokaten Crusius und dessen be¬<lb/> freundeten Gegner im Staatsprozeß, dem Kronanwalt Doktor Lau, und vielen<lb/> andern Gestalten aus dem Bürgertum und der Umgebung des Kurfürsten; auch<lb/> der Kurfürst selbst ist sehr ansprechend gezeichnet. Bei alledem leidet aber der<lb/> Roman sehr an der breiten, sich oft wiederholenden Darstellung. Wie oft wird<lb/> der Grundgedanke desselben, der tragische Konflikt zwischen Staatsraison und<lb/> Privatrecht, dialektisch in den Reden der Juristen dargelegt! Und wie es<lb/> archäologische oder religionsgeschichtliche (George Taylors) Romane giebt, so<lb/> kann man „Fritz Kannacher" als eine große dialogisirte, rechtshistorische Ab-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0236]
Historische Romane.
das in einem fort an den Steuersäckel eines verarmten Volkes die größten An¬
forderungen stellte. Immerhin aber war dem Volke, den handeltreibenden
Städtern die teure und strenge Ordnung des Kurfürsten lieber als die Anarchie
der adlichen Herren nach polnischem Muster, und diese bürgerlichen Elemente
waren es, welche vorzüglich zum Erfolge des Brandenburgers beitrugen. Natürlich
ging es nicht ohne furchtbare und wohl auch rücksichtslose Kämpfe ab: es gab
einen Konflikt zwischen einer (im höhern Sinne most auch berechtigten) Macht
und dem Rechte, auf welches sich die echt ostpreußisch hartnäckigen Adlichen steifem.
An dem Obersten Grafen Kalkstein, der glänzendsten Erscheinung jener altpreußi¬
schen souveränen Ritterschaft, wollte der Kurfürst ein Exempel statuiren. Sein
Prozeß wurde mit allen erlaubten und unerlaubten Mittel» des politischen
Machthabers gegen den unbotmäßigen Vasallen geführt. Der energische An¬
geklagte wehrte sich mit allen Mitteln der Rechtsordnung, bis ihn das Schicksal
selbst verwirrte und in eine nicht mehr mit dem Rechte zu vereinigende Position
gegen den Kurfürsten brachte. Die kurfürstlichen Beamten verfuhren auch uicht
glimpflich gegen den Obersten, bis er schließlich als ein Opfer der Staatsrnisvn
hingerichtet wurde. Dies ist der Hauptinhalt des breit angelegten Romans,
zu dem der ganze erste Band (etwa 400 Seiten Grvßoktav) die Expositon
bietet. Der Titelheld Fritz Kanuacher steht damit in ziemlich äußerm Zusammen¬
hange, er ist mehr Zuschauer, wenn er auch häufig, aber unwesentlich in die
Handlung eingreift. Ein junger Leutnant des Kurfürsten, diesem mit aller Be¬
geisterung der Jugend für ihren Helden ergeben, von Herkunft gleichfalls ein
Ostprcuße, dient er dazu, den Mittelpunkt für die beiden großen Gruppen
des Romans abzugeben: die des Brandenburgers und die der Ostpreußen. Mit
Fritz Kauuacher führt uns die Handlung über die kleine Provinz hinaus auf die
ganze europäische Bühne, die durch die Türkenkriege im Südosten und die nieder-
ländischen Kämpfe im Nordwesten bewegt war. Mit Fritz Kannachcr kehrt man von
diesen Ausflügen wieder nach Ostpreußen zurück, wo er endlich in den Besitz des
gesuchten väterlichen Erbgutes kommt. Leider ist dieser Held des Romans zwar
eine brave Seele, aber eine poetische Mittelmäßigkeit, und dies ist der Krebs¬
schaden des Werkes. Hobrecht hat sonst eine Reihe ausgezeichneter Charaktere
geschaffen, vor allem in dem wahrhaft ritterlichen Oberst Kalkstein, in seinem
verräterischen Bruder Christian, in dem Advokaten Crusius und dessen be¬
freundeten Gegner im Staatsprozeß, dem Kronanwalt Doktor Lau, und vielen
andern Gestalten aus dem Bürgertum und der Umgebung des Kurfürsten; auch
der Kurfürst selbst ist sehr ansprechend gezeichnet. Bei alledem leidet aber der
Roman sehr an der breiten, sich oft wiederholenden Darstellung. Wie oft wird
der Grundgedanke desselben, der tragische Konflikt zwischen Staatsraison und
Privatrecht, dialektisch in den Reden der Juristen dargelegt! Und wie es
archäologische oder religionsgeschichtliche (George Taylors) Romane giebt, so
kann man „Fritz Kannacher" als eine große dialogisirte, rechtshistorische Ab-
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