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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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historische Romane.

innern Halt genommen hat. Beim Ausbruche der Unruhen geht Wcndemar
nach Paris, und es gelingt ihm, sich vom Straßenkehrer zum höhern Offizier
in der republikanischen Armee emporzuschwingen. Inzwischen kommt Verena
nach manchem Abenteuer an den Schwetzinger Hof des Kurfürsten. Pamela
Genlis, auch ein natürliches Kind, eine Tochter des Herzogs von Orleans, hat
mit der lebensüberdrüssigen Verena, welche sie zufällig trifft, Mitleid; sie nimmt
sie zu sich als Kammerjungfer, bald jedoch, da sich die eidlichen Eigenschaften
des von der Straße aufgelesenen Mädchens unbewußt und rasch entwickeln,
avcmeirt Verena zur Freundin und Vertrauten Pcimelas. Auch dieses wunder¬
lich romantische Schicksal der beiden Mittelfiguren der Erzählung, Verenas und
Wendemars, paßt Wohl in den ganzen Geist jener Epoche, welche die Blütezeit
aller Abenteurer war und thatsächlich reich ist an ähnlichen wunderbar aus der
Tiefe in die Höhe und wieder zurück in die Dunkelheit führenden Lebensläufen.
Als Freund der sinnigen Pamela wird der edle Koadjutor Dalberg eingeführt,
ein liebevoll ausgeführtes historisches Porträt, aber im Zusammenhange der
Handlung ohne rechten Zweck; denn die Handlung wird einzig dnrch die ero¬
tischen Gelüsten des Kurfürsten getrieben. Pamela ist gegen ihren Willen mit
dem langweiligen irischen Revolutionär Lord Fitzgerald ans politischen Rück¬
sichten verlobt worden. Um sie in ihrem Unglück zu trösten, weiß Karl Theodor
die Vermählung beider ans den bloßen kirchlichen Trnuungsalt zu beschränken.
Lord Fitzgcrald ist einzig von der Leidenschaft besessen, Irland zu befreien, und
verkauft die ihm angetraute Pamela dem Kurfürsten für die Geldunterstützung
zu seinem politischen Zwecke. Des letztern Versuch jedoch, Pamela zu gewinnen,
mißglückt trotz aller Künste, sie entflieht, um aus ganz abstrakter Pflichttreue
ihren Gatten im Gefängnis des Londoner Tower zu trösten. Es gelingt ihr,
den Kalten zu erwärmen -- da jagt sie sein Geständnis von ihrem Verkaufe
wieder weg. Indes setzt der Kurfürst, trotz aller mahnenden politischen Gefahren,
seine Art zu leben fort. Es gelüstet ihn nach der keuschen Psyche Verena, und
nur durch (übrigens recht romcuitische) Zufälle wird das Ungeheuerliche ver¬
hindert und beim Rendezvous der Kurfürst als Vater der von ihm selbst be¬
drohten Unschuld entlarvt. Darauf flüchtet Verena heim, nach dein wieder
einmal belagerten und bombardirten Philippsburg, wo sie mit dem Jugendfreunde
Wendemar zusammentrifft, den sie überredet, lieber als gemeiner Soldat im
Dienste des Vaterlandes, als in den Reihen der Feinde als General zu kämpfen.
Mit der flüchtigen Andeutung der Freiheitskämpfe und des letzten Krieges gegen
Frankreich vom Jahre 1870 schließt das Werk.

Das bedeutendste an ihm ist, wie gesagt, die vornehme Auffassung der Epoche.
Imsen ergreift nicht im geringsten Partei für die Revolutionäre; aber er führt uns
in die Motive jener furchtbaren Umwälzung ein, indem er die Verderbnis der
regierenden Klassen darstellt. In dem schönen Kapitel, welches das Hoffest in
Schwetzingen mit prächtigen Farben schildert, bringt er eine Heldin der Revolution


historische Romane.

innern Halt genommen hat. Beim Ausbruche der Unruhen geht Wcndemar
nach Paris, und es gelingt ihm, sich vom Straßenkehrer zum höhern Offizier
in der republikanischen Armee emporzuschwingen. Inzwischen kommt Verena
nach manchem Abenteuer an den Schwetzinger Hof des Kurfürsten. Pamela
Genlis, auch ein natürliches Kind, eine Tochter des Herzogs von Orleans, hat
mit der lebensüberdrüssigen Verena, welche sie zufällig trifft, Mitleid; sie nimmt
sie zu sich als Kammerjungfer, bald jedoch, da sich die eidlichen Eigenschaften
des von der Straße aufgelesenen Mädchens unbewußt und rasch entwickeln,
avcmeirt Verena zur Freundin und Vertrauten Pcimelas. Auch dieses wunder¬
lich romantische Schicksal der beiden Mittelfiguren der Erzählung, Verenas und
Wendemars, paßt Wohl in den ganzen Geist jener Epoche, welche die Blütezeit
aller Abenteurer war und thatsächlich reich ist an ähnlichen wunderbar aus der
Tiefe in die Höhe und wieder zurück in die Dunkelheit führenden Lebensläufen.
Als Freund der sinnigen Pamela wird der edle Koadjutor Dalberg eingeführt,
ein liebevoll ausgeführtes historisches Porträt, aber im Zusammenhange der
Handlung ohne rechten Zweck; denn die Handlung wird einzig dnrch die ero¬
tischen Gelüsten des Kurfürsten getrieben. Pamela ist gegen ihren Willen mit
dem langweiligen irischen Revolutionär Lord Fitzgerald ans politischen Rück¬
sichten verlobt worden. Um sie in ihrem Unglück zu trösten, weiß Karl Theodor
die Vermählung beider ans den bloßen kirchlichen Trnuungsalt zu beschränken.
Lord Fitzgcrald ist einzig von der Leidenschaft besessen, Irland zu befreien, und
verkauft die ihm angetraute Pamela dem Kurfürsten für die Geldunterstützung
zu seinem politischen Zwecke. Des letztern Versuch jedoch, Pamela zu gewinnen,
mißglückt trotz aller Künste, sie entflieht, um aus ganz abstrakter Pflichttreue
ihren Gatten im Gefängnis des Londoner Tower zu trösten. Es gelingt ihr,
den Kalten zu erwärmen — da jagt sie sein Geständnis von ihrem Verkaufe
wieder weg. Indes setzt der Kurfürst, trotz aller mahnenden politischen Gefahren,
seine Art zu leben fort. Es gelüstet ihn nach der keuschen Psyche Verena, und
nur durch (übrigens recht romcuitische) Zufälle wird das Ungeheuerliche ver¬
hindert und beim Rendezvous der Kurfürst als Vater der von ihm selbst be¬
drohten Unschuld entlarvt. Darauf flüchtet Verena heim, nach dein wieder
einmal belagerten und bombardirten Philippsburg, wo sie mit dem Jugendfreunde
Wendemar zusammentrifft, den sie überredet, lieber als gemeiner Soldat im
Dienste des Vaterlandes, als in den Reihen der Feinde als General zu kämpfen.
Mit der flüchtigen Andeutung der Freiheitskämpfe und des letzten Krieges gegen
Frankreich vom Jahre 1870 schließt das Werk.

Das bedeutendste an ihm ist, wie gesagt, die vornehme Auffassung der Epoche.
Imsen ergreift nicht im geringsten Partei für die Revolutionäre; aber er führt uns
in die Motive jener furchtbaren Umwälzung ein, indem er die Verderbnis der
regierenden Klassen darstellt. In dem schönen Kapitel, welches das Hoffest in
Schwetzingen mit prächtigen Farben schildert, bringt er eine Heldin der Revolution


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[0234] historische Romane. innern Halt genommen hat. Beim Ausbruche der Unruhen geht Wcndemar nach Paris, und es gelingt ihm, sich vom Straßenkehrer zum höhern Offizier in der republikanischen Armee emporzuschwingen. Inzwischen kommt Verena nach manchem Abenteuer an den Schwetzinger Hof des Kurfürsten. Pamela Genlis, auch ein natürliches Kind, eine Tochter des Herzogs von Orleans, hat mit der lebensüberdrüssigen Verena, welche sie zufällig trifft, Mitleid; sie nimmt sie zu sich als Kammerjungfer, bald jedoch, da sich die eidlichen Eigenschaften des von der Straße aufgelesenen Mädchens unbewußt und rasch entwickeln, avcmeirt Verena zur Freundin und Vertrauten Pcimelas. Auch dieses wunder¬ lich romantische Schicksal der beiden Mittelfiguren der Erzählung, Verenas und Wendemars, paßt Wohl in den ganzen Geist jener Epoche, welche die Blütezeit aller Abenteurer war und thatsächlich reich ist an ähnlichen wunderbar aus der Tiefe in die Höhe und wieder zurück in die Dunkelheit führenden Lebensläufen. Als Freund der sinnigen Pamela wird der edle Koadjutor Dalberg eingeführt, ein liebevoll ausgeführtes historisches Porträt, aber im Zusammenhange der Handlung ohne rechten Zweck; denn die Handlung wird einzig dnrch die ero¬ tischen Gelüsten des Kurfürsten getrieben. Pamela ist gegen ihren Willen mit dem langweiligen irischen Revolutionär Lord Fitzgerald ans politischen Rück¬ sichten verlobt worden. Um sie in ihrem Unglück zu trösten, weiß Karl Theodor die Vermählung beider ans den bloßen kirchlichen Trnuungsalt zu beschränken. Lord Fitzgcrald ist einzig von der Leidenschaft besessen, Irland zu befreien, und verkauft die ihm angetraute Pamela dem Kurfürsten für die Geldunterstützung zu seinem politischen Zwecke. Des letztern Versuch jedoch, Pamela zu gewinnen, mißglückt trotz aller Künste, sie entflieht, um aus ganz abstrakter Pflichttreue ihren Gatten im Gefängnis des Londoner Tower zu trösten. Es gelingt ihr, den Kalten zu erwärmen — da jagt sie sein Geständnis von ihrem Verkaufe wieder weg. Indes setzt der Kurfürst, trotz aller mahnenden politischen Gefahren, seine Art zu leben fort. Es gelüstet ihn nach der keuschen Psyche Verena, und nur durch (übrigens recht romcuitische) Zufälle wird das Ungeheuerliche ver¬ hindert und beim Rendezvous der Kurfürst als Vater der von ihm selbst be¬ drohten Unschuld entlarvt. Darauf flüchtet Verena heim, nach dein wieder einmal belagerten und bombardirten Philippsburg, wo sie mit dem Jugendfreunde Wendemar zusammentrifft, den sie überredet, lieber als gemeiner Soldat im Dienste des Vaterlandes, als in den Reihen der Feinde als General zu kämpfen. Mit der flüchtigen Andeutung der Freiheitskämpfe und des letzten Krieges gegen Frankreich vom Jahre 1870 schließt das Werk. Das bedeutendste an ihm ist, wie gesagt, die vornehme Auffassung der Epoche. Imsen ergreift nicht im geringsten Partei für die Revolutionäre; aber er führt uns in die Motive jener furchtbaren Umwälzung ein, indem er die Verderbnis der regierenden Klassen darstellt. In dem schönen Kapitel, welches das Hoffest in Schwetzingen mit prächtigen Farben schildert, bringt er eine Heldin der Revolution

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/234>, abgerufen am 05.02.2025.