Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Historische Romane. Träume sich zur Zeit nicht mehr in die Gestalt französischer "Protektion" Auf diesem düstern Hintergrunde entfaltet Imsen sein Zeit- und Charakter¬ In scharf umrissenen Gestalten hat Imsen die einzelnen Elemente verkörpert, Historische Romane. Träume sich zur Zeit nicht mehr in die Gestalt französischer »Protektion« Auf diesem düstern Hintergrunde entfaltet Imsen sein Zeit- und Charakter¬ In scharf umrissenen Gestalten hat Imsen die einzelnen Elemente verkörpert, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0232" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197656"/> <fw type="header" place="top"> Historische Romane.</fw><lb/> <p xml:id="ID_683" prev="#ID_682"> Träume sich zur Zeit nicht mehr in die Gestalt französischer »Protektion«<lb/> kleidete. Das machten sich die Festungswerke PhilippsburgS zu Nutzen und<lb/> zerfielen. Die vielbestürmten Mauern zerbröckelten, und hohes Gras und Ge¬<lb/> traut wuchs in den ausgetrockneten Gräben. ... So lag im Jahre 1790<lb/> Philippslnirg als ein naturgemäßes Ergebnis, Produkt oder Facit seiner Ver¬<lb/> gangenheit da. Es war zwar insoweit von seinem zweihundertjährigen Branche<lb/> abgewichen, als es gegenwärtig dem Auge keine rauchende Brandstätte und dem<lb/> Ohr kein Jammergeschrei darbot, aber es hatte getreulich an der alten Ge¬<lb/> wohnheit festgehalten, auf dem versumpftesten, trostlosesten Erdeufleckc des<lb/> deutschen Reiches den verfallensten Häuserhaufen weltvergessener, armseligster<lb/> Bevölkerung zu bilden."</p><lb/> <p xml:id="ID_684"> Auf diesem düstern Hintergrunde entfaltet Imsen sein Zeit- und Charakter¬<lb/> gemälde vom „Ausgange des Reiches." Er hat den Moment gewählt, wo die<lb/> Revolution in Frankreich schon ausgebrochen ist, aber noch bevor der Schrecken<lb/> die Oberhemd gewonnen hat. In Schwärmen flüchtet sich der Pariser Adel<lb/> über den Rhein und überschwemmt alle deutschen Höfe. Kurfürst Karl Theodor<lb/> von Pfalzbaiern empfängt die Emigranten mit königlicher Gastfreundschaft.<lb/> Auf seinem mit dem üppigsten Luxus ausgestatteten Lustschlosse Schwetzingen,<lb/> das Versailles nicht bloß nachahmt, sondern womöglich zu übertreffen strebt,<lb/> giebt er große Feste zu Ehren der Franzosen. Er treibt einen förmlichen Kultus<lb/> mit ihnen! Sind sie ihm doch die Vertreter jener Bildung, die ihm, wie fast<lb/> allen seinen europäischen Standesgenossen, als das wertvollste Lebensideal er¬<lb/> scheint. Das Wesen dieser einseitig ästhetischen Bildung darzustellen, ihre Glanz-<lb/> und ihre Schattenseiten, ihren sprühenden Esprit und aristokratischen Hochmut,<lb/> die Konsequenzen derselben für das soziale und politische Leben des Volkes,<lb/> wofür ihr jedes Verständnis absolut fehlt, ist die künstlerische Tendenz des<lb/> Romans. Hinter diese Charakteristik tritt das landläufige RonmnInteresse zurück,<lb/> und diese meisterlich gelungene Darstellung macht das Werk Wilhelm Zeusens<lb/> zu einem über die gewöhnliche Romanwaare weit hinausragenden.</p><lb/> <p xml:id="ID_685" next="#ID_686"> In scharf umrissenen Gestalten hat Imsen die einzelnen Elemente verkörpert,<lb/> welche für den Geist jeuer Epoche des sich auflösende» heiligen römischen Reiches<lb/> deutscher Nation bezeichnend sind. In dem Kurfürsten Karl Theodor den kleinen<lb/> roi solvit. Er ist ein Mann von ungewöhnlicher geistiger Begabung; dnrch<lb/> seinen Esprit entzückt er alle, die persönlich mit ihm Verkehren zu dürfen das<lb/> Glück haben: selbst die hochmütigen Emigranten, die auch noch beim Gnaden¬<lb/> brote des deutschen Gastfreundes den gallischem Dünkel nicht verwinden können.<lb/> Aber alles Wissen, alle ästhetische Bildung dient dem Kurfürsten nnr dazu, sich<lb/> dem feinsten, raffinirtesten Lebensgenusse hingeben zu können. So bezaubernd<lb/> liebenswürdig und zuweilen wahrhaft königlich gütig er ist, ein so maßloser<lb/> Egoist ist er doch. Von den Pflichten der Regierung befreit er sich so rasch<lb/> als er nur kann; ihnen gegenüber ist er von einer unglaublichen Trägheit.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0232]
Historische Romane.
Träume sich zur Zeit nicht mehr in die Gestalt französischer »Protektion«
kleidete. Das machten sich die Festungswerke PhilippsburgS zu Nutzen und
zerfielen. Die vielbestürmten Mauern zerbröckelten, und hohes Gras und Ge¬
traut wuchs in den ausgetrockneten Gräben. ... So lag im Jahre 1790
Philippslnirg als ein naturgemäßes Ergebnis, Produkt oder Facit seiner Ver¬
gangenheit da. Es war zwar insoweit von seinem zweihundertjährigen Branche
abgewichen, als es gegenwärtig dem Auge keine rauchende Brandstätte und dem
Ohr kein Jammergeschrei darbot, aber es hatte getreulich an der alten Ge¬
wohnheit festgehalten, auf dem versumpftesten, trostlosesten Erdeufleckc des
deutschen Reiches den verfallensten Häuserhaufen weltvergessener, armseligster
Bevölkerung zu bilden."
Auf diesem düstern Hintergrunde entfaltet Imsen sein Zeit- und Charakter¬
gemälde vom „Ausgange des Reiches." Er hat den Moment gewählt, wo die
Revolution in Frankreich schon ausgebrochen ist, aber noch bevor der Schrecken
die Oberhemd gewonnen hat. In Schwärmen flüchtet sich der Pariser Adel
über den Rhein und überschwemmt alle deutschen Höfe. Kurfürst Karl Theodor
von Pfalzbaiern empfängt die Emigranten mit königlicher Gastfreundschaft.
Auf seinem mit dem üppigsten Luxus ausgestatteten Lustschlosse Schwetzingen,
das Versailles nicht bloß nachahmt, sondern womöglich zu übertreffen strebt,
giebt er große Feste zu Ehren der Franzosen. Er treibt einen förmlichen Kultus
mit ihnen! Sind sie ihm doch die Vertreter jener Bildung, die ihm, wie fast
allen seinen europäischen Standesgenossen, als das wertvollste Lebensideal er¬
scheint. Das Wesen dieser einseitig ästhetischen Bildung darzustellen, ihre Glanz-
und ihre Schattenseiten, ihren sprühenden Esprit und aristokratischen Hochmut,
die Konsequenzen derselben für das soziale und politische Leben des Volkes,
wofür ihr jedes Verständnis absolut fehlt, ist die künstlerische Tendenz des
Romans. Hinter diese Charakteristik tritt das landläufige RonmnInteresse zurück,
und diese meisterlich gelungene Darstellung macht das Werk Wilhelm Zeusens
zu einem über die gewöhnliche Romanwaare weit hinausragenden.
In scharf umrissenen Gestalten hat Imsen die einzelnen Elemente verkörpert,
welche für den Geist jeuer Epoche des sich auflösende» heiligen römischen Reiches
deutscher Nation bezeichnend sind. In dem Kurfürsten Karl Theodor den kleinen
roi solvit. Er ist ein Mann von ungewöhnlicher geistiger Begabung; dnrch
seinen Esprit entzückt er alle, die persönlich mit ihm Verkehren zu dürfen das
Glück haben: selbst die hochmütigen Emigranten, die auch noch beim Gnaden¬
brote des deutschen Gastfreundes den gallischem Dünkel nicht verwinden können.
Aber alles Wissen, alle ästhetische Bildung dient dem Kurfürsten nnr dazu, sich
dem feinsten, raffinirtesten Lebensgenusse hingeben zu können. So bezaubernd
liebenswürdig und zuweilen wahrhaft königlich gütig er ist, ein so maßloser
Egoist ist er doch. Von den Pflichten der Regierung befreit er sich so rasch
als er nur kann; ihnen gegenüber ist er von einer unglaublichen Trägheit.
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