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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Im wahren Sinne schöpferisch kann der historische Roman nur selten sein.
Die Vergangenheit, welche der Dichter aufsucht, ist kein unmittelbares Bild,
sondern schon ein zurechtgemachtes, ein von vielen, vielen Mitarbeitern ge¬
schaffenes; der Dichter sieht, wenn er nicht gleich dem Historiker Archive
durchstöbert, um die Vergangenheit zu konstruiren, immer durch fremde Augen
und wiederholt nur das, was ihn die Wissenschaft gelehrt hat. Der wahrhaft
schöpferische Geist aber kann sich diesen Zwang nicht auferlegen, er will Original
sein, und darum hält er sich an seine Gegenwart oder gar an ein erdichtetes
Phautasieland, und indem er mit Augen nicht des Alltagsmenschen um sich
schaut, schafft er selbst Geschichte, da er daS Leben der Nation bereichert. Indes
seine künstlerische Berechtigung hat der historische Roman immer, eben unter
der Voraussetzung, daß die Geschichte nicht mit den Augen des nüchternen, nur
Wissenschaft vermittelnden Kulturhistorikers, sondern mit denen des fühlenden
Dichters angesehen werde. Denn wie alles in der Welt, ist auch die Geschichte
Gegenstand dichterischer Anschauung; wie alles, was auf diese einwirkt, die
Färbung eines bewegten Gemütes annimmt, so erhält auch jede Epoche der
Geschichte eine verschiedne Färbung, Stimmung, und es ist nicht gleichgültig,
ob wir ins "heitere" Griechenland oder ins "strenge" Rom, in das "finstere"
Mittelalter oder in die "helle" Renaissance, an den frivolen Hof von Versailles
oder an den patriarchalisch schlichten der Brandenburger geführt werden. In
dieser einzig poetische" Weise haben nur wenig Dichter die Geschichte verwendet;
nur etwa bei Kommt Ferdinand Meyer und Haus Hoffmann wird mit freier
künstlerischer Wahl die Historie als stimmungsvoller und wahlverwandter
Hintergrund für ein novellistisches Motiv gewählt; bei jenen Schriftstellern
über, die sich speziell des kulturhistorischen Romans bemächtigt haben, ist es
beim rein stofflichen Interesse am Kostüm der Vergangenheit geblieben, und
darum haben sie eine wvhlberechtigte Opposition erfahren. Darum hat man
mich mit Recht den Ruf nach vaterländischen Stoffen erhoben, denn wenn diese
sonst keine andre poetische Wirkung gewinnen, so ist es doch wenigstens die,
daß sie uns, weil sie von unsern eignen Voreltern handeln, menschlich tiefer
interessiren als die ägyptischen oder römischen Kostümbilder. Wenn also einmal
historische Romane geschrieben werden sollen, so bleibe man wenigstens im
eignen Lande.

Dies ist nun das gemeinsame und ausgezeichnete Merkmal der beiden histo¬
rischen Romane von Imsen und Hobrecht, so wenig Gemeinsames sie auch im
übrigen haben: sie führen uns in die eigne deutsche Vergangenheit zurück, jeder
in eine, wie es nun einmal der Charakter unsrer Geschichte ist, trübselige Epoche
des national-politischen Lebens. Hobrecht zeigt uns in einer Zeit, wo das ganze
deutsche Leben verwildert und erdrückt war dnrch einen dreißig Jahre lang
dauernden Krieg, die mühselige Arbeit des großen Kurfürsten, seine zerstückelten
Ländereien zu einem einheitlichen Staate zu organisiren, aus Besitztümern, in


Im wahren Sinne schöpferisch kann der historische Roman nur selten sein.
Die Vergangenheit, welche der Dichter aufsucht, ist kein unmittelbares Bild,
sondern schon ein zurechtgemachtes, ein von vielen, vielen Mitarbeitern ge¬
schaffenes; der Dichter sieht, wenn er nicht gleich dem Historiker Archive
durchstöbert, um die Vergangenheit zu konstruiren, immer durch fremde Augen
und wiederholt nur das, was ihn die Wissenschaft gelehrt hat. Der wahrhaft
schöpferische Geist aber kann sich diesen Zwang nicht auferlegen, er will Original
sein, und darum hält er sich an seine Gegenwart oder gar an ein erdichtetes
Phautasieland, und indem er mit Augen nicht des Alltagsmenschen um sich
schaut, schafft er selbst Geschichte, da er daS Leben der Nation bereichert. Indes
seine künstlerische Berechtigung hat der historische Roman immer, eben unter
der Voraussetzung, daß die Geschichte nicht mit den Augen des nüchternen, nur
Wissenschaft vermittelnden Kulturhistorikers, sondern mit denen des fühlenden
Dichters angesehen werde. Denn wie alles in der Welt, ist auch die Geschichte
Gegenstand dichterischer Anschauung; wie alles, was auf diese einwirkt, die
Färbung eines bewegten Gemütes annimmt, so erhält auch jede Epoche der
Geschichte eine verschiedne Färbung, Stimmung, und es ist nicht gleichgültig,
ob wir ins „heitere" Griechenland oder ins „strenge" Rom, in das „finstere"
Mittelalter oder in die „helle" Renaissance, an den frivolen Hof von Versailles
oder an den patriarchalisch schlichten der Brandenburger geführt werden. In
dieser einzig poetische» Weise haben nur wenig Dichter die Geschichte verwendet;
nur etwa bei Kommt Ferdinand Meyer und Haus Hoffmann wird mit freier
künstlerischer Wahl die Historie als stimmungsvoller und wahlverwandter
Hintergrund für ein novellistisches Motiv gewählt; bei jenen Schriftstellern
über, die sich speziell des kulturhistorischen Romans bemächtigt haben, ist es
beim rein stofflichen Interesse am Kostüm der Vergangenheit geblieben, und
darum haben sie eine wvhlberechtigte Opposition erfahren. Darum hat man
mich mit Recht den Ruf nach vaterländischen Stoffen erhoben, denn wenn diese
sonst keine andre poetische Wirkung gewinnen, so ist es doch wenigstens die,
daß sie uns, weil sie von unsern eignen Voreltern handeln, menschlich tiefer
interessiren als die ägyptischen oder römischen Kostümbilder. Wenn also einmal
historische Romane geschrieben werden sollen, so bleibe man wenigstens im
eignen Lande.

Dies ist nun das gemeinsame und ausgezeichnete Merkmal der beiden histo¬
rischen Romane von Imsen und Hobrecht, so wenig Gemeinsames sie auch im
übrigen haben: sie führen uns in die eigne deutsche Vergangenheit zurück, jeder
in eine, wie es nun einmal der Charakter unsrer Geschichte ist, trübselige Epoche
des national-politischen Lebens. Hobrecht zeigt uns in einer Zeit, wo das ganze
deutsche Leben verwildert und erdrückt war dnrch einen dreißig Jahre lang
dauernden Krieg, die mühselige Arbeit des großen Kurfürsten, seine zerstückelten
Ländereien zu einem einheitlichen Staate zu organisiren, aus Besitztümern, in


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[0229] Im wahren Sinne schöpferisch kann der historische Roman nur selten sein. Die Vergangenheit, welche der Dichter aufsucht, ist kein unmittelbares Bild, sondern schon ein zurechtgemachtes, ein von vielen, vielen Mitarbeitern ge¬ schaffenes; der Dichter sieht, wenn er nicht gleich dem Historiker Archive durchstöbert, um die Vergangenheit zu konstruiren, immer durch fremde Augen und wiederholt nur das, was ihn die Wissenschaft gelehrt hat. Der wahrhaft schöpferische Geist aber kann sich diesen Zwang nicht auferlegen, er will Original sein, und darum hält er sich an seine Gegenwart oder gar an ein erdichtetes Phautasieland, und indem er mit Augen nicht des Alltagsmenschen um sich schaut, schafft er selbst Geschichte, da er daS Leben der Nation bereichert. Indes seine künstlerische Berechtigung hat der historische Roman immer, eben unter der Voraussetzung, daß die Geschichte nicht mit den Augen des nüchternen, nur Wissenschaft vermittelnden Kulturhistorikers, sondern mit denen des fühlenden Dichters angesehen werde. Denn wie alles in der Welt, ist auch die Geschichte Gegenstand dichterischer Anschauung; wie alles, was auf diese einwirkt, die Färbung eines bewegten Gemütes annimmt, so erhält auch jede Epoche der Geschichte eine verschiedne Färbung, Stimmung, und es ist nicht gleichgültig, ob wir ins „heitere" Griechenland oder ins „strenge" Rom, in das „finstere" Mittelalter oder in die „helle" Renaissance, an den frivolen Hof von Versailles oder an den patriarchalisch schlichten der Brandenburger geführt werden. In dieser einzig poetische» Weise haben nur wenig Dichter die Geschichte verwendet; nur etwa bei Kommt Ferdinand Meyer und Haus Hoffmann wird mit freier künstlerischer Wahl die Historie als stimmungsvoller und wahlverwandter Hintergrund für ein novellistisches Motiv gewählt; bei jenen Schriftstellern über, die sich speziell des kulturhistorischen Romans bemächtigt haben, ist es beim rein stofflichen Interesse am Kostüm der Vergangenheit geblieben, und darum haben sie eine wvhlberechtigte Opposition erfahren. Darum hat man mich mit Recht den Ruf nach vaterländischen Stoffen erhoben, denn wenn diese sonst keine andre poetische Wirkung gewinnen, so ist es doch wenigstens die, daß sie uns, weil sie von unsern eignen Voreltern handeln, menschlich tiefer interessiren als die ägyptischen oder römischen Kostümbilder. Wenn also einmal historische Romane geschrieben werden sollen, so bleibe man wenigstens im eignen Lande. Dies ist nun das gemeinsame und ausgezeichnete Merkmal der beiden histo¬ rischen Romane von Imsen und Hobrecht, so wenig Gemeinsames sie auch im übrigen haben: sie führen uns in die eigne deutsche Vergangenheit zurück, jeder in eine, wie es nun einmal der Charakter unsrer Geschichte ist, trübselige Epoche des national-politischen Lebens. Hobrecht zeigt uns in einer Zeit, wo das ganze deutsche Leben verwildert und erdrückt war dnrch einen dreißig Jahre lang dauernden Krieg, die mühselige Arbeit des großen Kurfürsten, seine zerstückelten Ländereien zu einem einheitlichen Staate zu organisiren, aus Besitztümern, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/229>, abgerufen am 05.02.2025.