Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Steinthal über den Sozialismus. sein Projekt für viel harmloser zu erachten. Dies letztere geht besonders aus Er sagt zunächst, kein sittlicher Bestand in der gegenwärtigen wirtschaft¬ Sein Schlußwort erhebt sich zu schöner Wärme. Er sagt: "Für heute Steinthal über den Sozialismus. sein Projekt für viel harmloser zu erachten. Dies letztere geht besonders aus Er sagt zunächst, kein sittlicher Bestand in der gegenwärtigen wirtschaft¬ Sein Schlußwort erhebt sich zu schöner Wärme. Er sagt: „Für heute <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0212" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197636"/> <fw type="header" place="top"> Steinthal über den Sozialismus.</fw><lb/> <p xml:id="ID_636" prev="#ID_635"> sein Projekt für viel harmloser zu erachten. Dies letztere geht besonders aus<lb/> den sonderbaren Grundsätzen hervor, die er bei der Einführung des idealen<lb/> Sozialismus beachtet wissen will. Hier zeigt sich aufs deutlichste, daß der Ver¬<lb/> fasser von Bebel und Konsorten nicht anerkannt, sondern nur als Kuriosität<lb/> angesehen werden kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_637"> Er sagt zunächst, kein sittlicher Bestand in der gegenwärtigen wirtschaft¬<lb/> lichen Welt dürfe absichtlich vernichtet werden, das Unsittliche aber dürfe man<lb/> nur gewähren lassen, weil es sich ja selbst zerstöre. So werde mau mit Ruhe,<lb/> Stille und Allmählichkeit, aber unaufhaltsam und ohne Rückschläge, zum Sozici-<lb/> lismns kommen. Der Sozialismus werde überhaupt nicht gemacht, er werde<lb/> von der Gesellschaft geboren und, wenn sie sich weise verhalte, ohne besondre<lb/> Geburtsschmerzen. Nicht bloß die Einstimmigkeit der Bürger, sondern mehr<lb/> noch: die Übereinstimmung der sämtlichen Kulturvölker müsse dem Eintritte des<lb/> idealen Sozialismus vorausgehen, ja auch eine vollständige Statistik der Be-<lb/> dürfuisgüter müsse erst ermöglicht werden. Ein zweiter Grundsatz ist, daß nicht<lb/> der Staat, sondern die Gesellschaft den Sozialismus der Zukunft leiten müsse.<lb/> Staatssozialismus sei ein Widerspruch in sich, die völlige Verkehrung des so¬<lb/> zialistischen Gedankens. Der sozialistische Staat ist Steinthal ebensosehr Un¬<lb/> natur, wie Aufhebung aller Humanität. Er will also von einem Mostschen<lb/> oder Bebelschm Staate nichts wissen. Der Grund dafür liegt in seiner Auf¬<lb/> fassung des Rechtsstaates, worüber wir noch zu reden haben werden. Ein<lb/> dritter Grundsatz warnt vor Selbsttäuschung. Wenn auch der beabsichtigte<lb/> Umschwung der größte sei, den die Weltgeschichte bisher gesehen habe, so müsse<lb/> mau doch an das Gute der Gegenwart anknüpfen, den Baum unsers Lebens<lb/> nicht umhauen. Jede sittliche That stärke schon jetzt das Gute und entziehe<lb/> dem Bösen Saft und Kraft. Insbesondre sei es eine Illusion, wenn man meine,<lb/> man werde künftig weniger zu arbeiten brauchen. „Es wird gewiß einen<lb/> Normalarbeitstag geben, aber berechnet für opferwillige Arbeiter." Ob der ge¬<lb/> wünschte ideale Sozialismus die Menschen glücklicher machen werde, kümmert<lb/> Steinthal nicht, aber er glaubt es nicht. Der Sozialismus werde jedoch<lb/> „kommen, wenn und weil der Mensch aus sittlichem Triebe durch sittliche That<lb/> ihn herbeiführen werde."</p><lb/> <p xml:id="ID_638" next="#ID_639"> Sein Schlußwort erhebt sich zu schöner Wärme. Er sagt: „Für heute<lb/> ist die Losung: Innerlich frei sein, Nichtigkeiten verachten und die Not bekämpfen,<lb/> so sehr man kann; wo aber die Kraft versagt, sie ertragen. Auch im soziali¬<lb/> stischen Leben wird es Not und Schmerz geben, wovor keine menschliche Sorge,<lb/> keine Weisheit und Güte schützen kann. Die Kraft zum Ertragen dürfen wir<lb/> nicht erschlaffen lassen, jede Verweichlichung ist der Selbstverleugnung feind,<lb/> und ohne Selbstverleugnung kein Sozialismus. Je eindringlicher die Predigt<lb/> der Selbstverleugnung erschallen wird, je kräftiger, je opferfreudiger dieselbe sich<lb/> bethätigen wird, umso eher wird ein erwünschtes Ziel erreicht werden, ohne</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0212]
Steinthal über den Sozialismus.
sein Projekt für viel harmloser zu erachten. Dies letztere geht besonders aus
den sonderbaren Grundsätzen hervor, die er bei der Einführung des idealen
Sozialismus beachtet wissen will. Hier zeigt sich aufs deutlichste, daß der Ver¬
fasser von Bebel und Konsorten nicht anerkannt, sondern nur als Kuriosität
angesehen werden kann.
Er sagt zunächst, kein sittlicher Bestand in der gegenwärtigen wirtschaft¬
lichen Welt dürfe absichtlich vernichtet werden, das Unsittliche aber dürfe man
nur gewähren lassen, weil es sich ja selbst zerstöre. So werde mau mit Ruhe,
Stille und Allmählichkeit, aber unaufhaltsam und ohne Rückschläge, zum Sozici-
lismns kommen. Der Sozialismus werde überhaupt nicht gemacht, er werde
von der Gesellschaft geboren und, wenn sie sich weise verhalte, ohne besondre
Geburtsschmerzen. Nicht bloß die Einstimmigkeit der Bürger, sondern mehr
noch: die Übereinstimmung der sämtlichen Kulturvölker müsse dem Eintritte des
idealen Sozialismus vorausgehen, ja auch eine vollständige Statistik der Be-
dürfuisgüter müsse erst ermöglicht werden. Ein zweiter Grundsatz ist, daß nicht
der Staat, sondern die Gesellschaft den Sozialismus der Zukunft leiten müsse.
Staatssozialismus sei ein Widerspruch in sich, die völlige Verkehrung des so¬
zialistischen Gedankens. Der sozialistische Staat ist Steinthal ebensosehr Un¬
natur, wie Aufhebung aller Humanität. Er will also von einem Mostschen
oder Bebelschm Staate nichts wissen. Der Grund dafür liegt in seiner Auf¬
fassung des Rechtsstaates, worüber wir noch zu reden haben werden. Ein
dritter Grundsatz warnt vor Selbsttäuschung. Wenn auch der beabsichtigte
Umschwung der größte sei, den die Weltgeschichte bisher gesehen habe, so müsse
mau doch an das Gute der Gegenwart anknüpfen, den Baum unsers Lebens
nicht umhauen. Jede sittliche That stärke schon jetzt das Gute und entziehe
dem Bösen Saft und Kraft. Insbesondre sei es eine Illusion, wenn man meine,
man werde künftig weniger zu arbeiten brauchen. „Es wird gewiß einen
Normalarbeitstag geben, aber berechnet für opferwillige Arbeiter." Ob der ge¬
wünschte ideale Sozialismus die Menschen glücklicher machen werde, kümmert
Steinthal nicht, aber er glaubt es nicht. Der Sozialismus werde jedoch
„kommen, wenn und weil der Mensch aus sittlichem Triebe durch sittliche That
ihn herbeiführen werde."
Sein Schlußwort erhebt sich zu schöner Wärme. Er sagt: „Für heute
ist die Losung: Innerlich frei sein, Nichtigkeiten verachten und die Not bekämpfen,
so sehr man kann; wo aber die Kraft versagt, sie ertragen. Auch im soziali¬
stischen Leben wird es Not und Schmerz geben, wovor keine menschliche Sorge,
keine Weisheit und Güte schützen kann. Die Kraft zum Ertragen dürfen wir
nicht erschlaffen lassen, jede Verweichlichung ist der Selbstverleugnung feind,
und ohne Selbstverleugnung kein Sozialismus. Je eindringlicher die Predigt
der Selbstverleugnung erschallen wird, je kräftiger, je opferfreudiger dieselbe sich
bethätigen wird, umso eher wird ein erwünschtes Ziel erreicht werden, ohne
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |