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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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stimmen, daß die eine Hälfte der Beamten dem Militär, die andre dem Zivil¬
stande angehören und daß der Präsident jährlich aus beiden Ständen wechseln
solle. Weil man aber jene Gleichberechtigung stets im Ange hatte, weil wenigstens
in den größer" Städten nur gebildete, formgewandte Männer Mitglieder des
Klubs waren, so ist es in Hannover nur selten zu Reibungen zwischen Militär
und Zivil gekommen.

War die Vallotage, wie gewöhnlich, zu Gunsten des Kandidaten ausgefallen,
so meldete sich schon am andern Morgen bei ihm der Klubdiencr, brachte ihm
den Aufnahmeschein und empfing das Eintrittsgeld nebst einem "Douceur."
Dann kam aber die schreckliche Folge in Gestalt der "Visiten", denn jedes Mit¬
glied des Klubs hielt sich für berechtigt, eine solche zu verlangen, zumal wenn
der Betreffende verheiratet war. Doch kam die Sitte dem Leidenden zu Hilfe.
Er nahm einen Wagen, feste sich mit Frnn und Kind hinein, den Lohndiener
mit den nötigen Visitenkarten auf den Bock, und fuhr von Hans zu Hans und
überall vorbei, während der Lohndiener die Karten abgab. Angenommen wurde
man nicht. Aber ebenso streng forderte die Sitte, daß man am nächsten Sonn¬
tage zu Hanse war, um die Gegenbesuche persönlich in Empfang zu nehmen. Es
erschien dies als so selbstverständlich, daß ein jung verheirateter oder neu ein-
getrosfener Offizier schon deswegen an dem betreffenden Sonntage von der
Parade dispensirt wurde.

Je länger diese Sitte Zeit gehabt hatte, sich auszubilden und der Ge¬
sellschaft in Fleisch und Blut überzugehen, desto strenger hielt man auf ihre
Befolgung. Einst geschah es, daß ein neu ernannter Landdrost es wagte, den
jüngern, unverheirateten Beamten und Offizieren nur seine Karte zu schicken,
aber nicht persönlich bei ihnen vorzufahren. Die Folge davon war, daß die
betreffenden Offiziere ihre Karten in ein Couvert zusammenlegten und letzteres
durch einen Diener dem Herrn überbringen ließen. Als er aber später
Einladungen zu dem ersten Ball ergehen ließ, den er zu geben beabsichtigte,
bedauerten sämtliche Offiziere und von den jüngern Beamten alle die, welche
nicht direkte Untergebene des Landdrosten waren, nicht teilnehmen zu können.
Nun war der Ball aber ganz unmöglich, wenn diese Herren fern blieben.
Da biß denn der Herr Landdrost in den sauern Apfel, setzte sich in seinen
Wagen, fuhr persönlich bei den verletzten Herren vor, erhielt am nächsten Sonntag
die vorschriftsmäßigen Gegenbesuche und gab im Laufe der darauf folgenden
Woche seinen Ball.

Selbst in einer Mittelstadt, wie Osnabrück z. V., mußten auf diese Weise
eine Menge Besuche gemacht werden. Indessen war durchaus nicht gesagt, daß' der,
welcher den Besuch machte, auch gewillt sei, mit dem, welchem der Besuch gemacht
wurde, in nähern geselligen Verkehr zu treten. Denn den unglücklichen Gedanken,
daß mit einem Besuche auch das Verlangen nach einer Einladung verbunden sei,
diesen Ruin aller Geselligkeit kannte man gottlob in Hannover nicht.


stimmen, daß die eine Hälfte der Beamten dem Militär, die andre dem Zivil¬
stande angehören und daß der Präsident jährlich aus beiden Ständen wechseln
solle. Weil man aber jene Gleichberechtigung stets im Ange hatte, weil wenigstens
in den größer» Städten nur gebildete, formgewandte Männer Mitglieder des
Klubs waren, so ist es in Hannover nur selten zu Reibungen zwischen Militär
und Zivil gekommen.

War die Vallotage, wie gewöhnlich, zu Gunsten des Kandidaten ausgefallen,
so meldete sich schon am andern Morgen bei ihm der Klubdiencr, brachte ihm
den Aufnahmeschein und empfing das Eintrittsgeld nebst einem „Douceur."
Dann kam aber die schreckliche Folge in Gestalt der „Visiten", denn jedes Mit¬
glied des Klubs hielt sich für berechtigt, eine solche zu verlangen, zumal wenn
der Betreffende verheiratet war. Doch kam die Sitte dem Leidenden zu Hilfe.
Er nahm einen Wagen, feste sich mit Frnn und Kind hinein, den Lohndiener
mit den nötigen Visitenkarten auf den Bock, und fuhr von Hans zu Hans und
überall vorbei, während der Lohndiener die Karten abgab. Angenommen wurde
man nicht. Aber ebenso streng forderte die Sitte, daß man am nächsten Sonn¬
tage zu Hanse war, um die Gegenbesuche persönlich in Empfang zu nehmen. Es
erschien dies als so selbstverständlich, daß ein jung verheirateter oder neu ein-
getrosfener Offizier schon deswegen an dem betreffenden Sonntage von der
Parade dispensirt wurde.

Je länger diese Sitte Zeit gehabt hatte, sich auszubilden und der Ge¬
sellschaft in Fleisch und Blut überzugehen, desto strenger hielt man auf ihre
Befolgung. Einst geschah es, daß ein neu ernannter Landdrost es wagte, den
jüngern, unverheirateten Beamten und Offizieren nur seine Karte zu schicken,
aber nicht persönlich bei ihnen vorzufahren. Die Folge davon war, daß die
betreffenden Offiziere ihre Karten in ein Couvert zusammenlegten und letzteres
durch einen Diener dem Herrn überbringen ließen. Als er aber später
Einladungen zu dem ersten Ball ergehen ließ, den er zu geben beabsichtigte,
bedauerten sämtliche Offiziere und von den jüngern Beamten alle die, welche
nicht direkte Untergebene des Landdrosten waren, nicht teilnehmen zu können.
Nun war der Ball aber ganz unmöglich, wenn diese Herren fern blieben.
Da biß denn der Herr Landdrost in den sauern Apfel, setzte sich in seinen
Wagen, fuhr persönlich bei den verletzten Herren vor, erhielt am nächsten Sonntag
die vorschriftsmäßigen Gegenbesuche und gab im Laufe der darauf folgenden
Woche seinen Ball.

Selbst in einer Mittelstadt, wie Osnabrück z. V., mußten auf diese Weise
eine Menge Besuche gemacht werden. Indessen war durchaus nicht gesagt, daß' der,
welcher den Besuch machte, auch gewillt sei, mit dem, welchem der Besuch gemacht
wurde, in nähern geselligen Verkehr zu treten. Denn den unglücklichen Gedanken,
daß mit einem Besuche auch das Verlangen nach einer Einladung verbunden sei,
diesen Ruin aller Geselligkeit kannte man gottlob in Hannover nicht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/20>, abgerufen am 05.02.2025.