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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Lamoöns.

Ich brauche Euch nicht zu sagen, daß mich keines Königs Befehl abhalten konnte,
nach ihr zu forschen und zu suchen. In heißer Sommerglut und in allerhand
Verkleidungen durchstreifte ich das Gebirge, zog wochenlang neben gaben¬
heischenden Bettelmönchen von Hof zu Hof, fand und verlor die Spur der
Einzigen und ahnte damals nicht, daß ich mehr als einmal an der rechten
Stelle vorübergegangen war. Erst Jahre nachher, in Indien, habe ich bedacht,
daß die Familie, vielleicht auch der König, mich überwachen ließen und daß ich
mich anf jenen traurigen Wanderungen wohl Leuten anvertrauen mußte, die im
Solde des Hauses Alceste standen. Enttäuscht, gebrochen, fieberkrank kam ich
während der Herbstrcgen nach Lissabon zurück, und hier erfuhr ich, daß Catarina
nach dem Willen der Ihrigen und des Königs mit dem Grafen von Palmeirim
verlobt sei. Da überwältigte mich neben meinem heißen Schmerze das Gefühl
meiner völligen Ohnmacht, ich sah klar, daß für mich alles vorüber sei und ich
der Geliebten wenigstens den Jammer ersparen müsse, mich fernerhin auf ihrem
Lebenswege zu sehen. So befahl ich sie alleil Heiligen und mich meinem Geschick
und schiffte mich nach Goa ein. In Indien drang jahrelang keine Kunde von
der unwandelbar Geliebten zu mir -- die erste brachte mir ein junger Lands¬
mann, der frisch aus Europa kam, auf die öden Klippen von Macao -- es
war die Kunde von Catarinas Tode! Gott weiß es, Senhor Manuel, wie
tief ich um das junge Leben getrauert habe, und daß ich mein eignes Dasein
gern hingegeben hätte, um das ihre zu erhalten. Da Gottes Ratschluß sie ab¬
berufen hatte und mich leben ließ, so konnte ich nichts thun, als ihr Thränen
weihen und mein armes Leben unter den Schutz der Verklärten stellen. Denn
obschon ich nach der Vorschrift unsrer heiligen Kirche für sie betete, wollte es
mir nie in den Sinn, daß ich die Makellose, Herrliche wo anders zu suchen
hätte als unter den Seligen des Paradieses, und wenn ich an mein eignes Ende
dachte, so erfüllte mich nur mit Wehmut, daß meine Sünden mich noch lange,
lange von der Wiedervereinigung mit ihrem reinen Geiste trennen mußten! Ich
habe die Nächte nicht gezählt, Manuel, die ich der Erinnerung an Catarina
Alceste gelebt habe, ich muß nur wünschen, daß ihrer mehr gewesen wären, denn
ich habe den Odem Gottes nie lebendiger um mich gefühlt, als wenn ich ohne
Bitterkeit, ohne Groll über mein und ihr Geschick die Stunden, die ich mit ihr
verbracht -- die einzig seligen meines Daseins, Manuel! -- still wieder durch¬
lebte. Leider, leider kamen auch Tage und Nachte, in denen ich das empörte
Herz nicht bezwang und mein Schicksal verfluchte: daß es mir versagt worden,
was ich Hunderttausenden gewährt sah, daß ich mit ungestillter Sehnsucht durch
ein verworrenes Leben gehen mußte, an dem meine Seele keinen Anteil nahm.
Ich fürchte, Ihr und andre edle Genossen, die ich in Indien gefunden, habt oft
genug unter meiner finstern Laune und meinem jäh aufwallenden Blute gelitten,
Ihr wußtet nicht, was ich in mir trug und wie schwer ein Mensch sich darein
schickt, sein Erdenglück als verloren zu erachten!


Lamoöns.

Ich brauche Euch nicht zu sagen, daß mich keines Königs Befehl abhalten konnte,
nach ihr zu forschen und zu suchen. In heißer Sommerglut und in allerhand
Verkleidungen durchstreifte ich das Gebirge, zog wochenlang neben gaben¬
heischenden Bettelmönchen von Hof zu Hof, fand und verlor die Spur der
Einzigen und ahnte damals nicht, daß ich mehr als einmal an der rechten
Stelle vorübergegangen war. Erst Jahre nachher, in Indien, habe ich bedacht,
daß die Familie, vielleicht auch der König, mich überwachen ließen und daß ich
mich anf jenen traurigen Wanderungen wohl Leuten anvertrauen mußte, die im
Solde des Hauses Alceste standen. Enttäuscht, gebrochen, fieberkrank kam ich
während der Herbstrcgen nach Lissabon zurück, und hier erfuhr ich, daß Catarina
nach dem Willen der Ihrigen und des Königs mit dem Grafen von Palmeirim
verlobt sei. Da überwältigte mich neben meinem heißen Schmerze das Gefühl
meiner völligen Ohnmacht, ich sah klar, daß für mich alles vorüber sei und ich
der Geliebten wenigstens den Jammer ersparen müsse, mich fernerhin auf ihrem
Lebenswege zu sehen. So befahl ich sie alleil Heiligen und mich meinem Geschick
und schiffte mich nach Goa ein. In Indien drang jahrelang keine Kunde von
der unwandelbar Geliebten zu mir — die erste brachte mir ein junger Lands¬
mann, der frisch aus Europa kam, auf die öden Klippen von Macao — es
war die Kunde von Catarinas Tode! Gott weiß es, Senhor Manuel, wie
tief ich um das junge Leben getrauert habe, und daß ich mein eignes Dasein
gern hingegeben hätte, um das ihre zu erhalten. Da Gottes Ratschluß sie ab¬
berufen hatte und mich leben ließ, so konnte ich nichts thun, als ihr Thränen
weihen und mein armes Leben unter den Schutz der Verklärten stellen. Denn
obschon ich nach der Vorschrift unsrer heiligen Kirche für sie betete, wollte es
mir nie in den Sinn, daß ich die Makellose, Herrliche wo anders zu suchen
hätte als unter den Seligen des Paradieses, und wenn ich an mein eignes Ende
dachte, so erfüllte mich nur mit Wehmut, daß meine Sünden mich noch lange,
lange von der Wiedervereinigung mit ihrem reinen Geiste trennen mußten! Ich
habe die Nächte nicht gezählt, Manuel, die ich der Erinnerung an Catarina
Alceste gelebt habe, ich muß nur wünschen, daß ihrer mehr gewesen wären, denn
ich habe den Odem Gottes nie lebendiger um mich gefühlt, als wenn ich ohne
Bitterkeit, ohne Groll über mein und ihr Geschick die Stunden, die ich mit ihr
verbracht — die einzig seligen meines Daseins, Manuel! — still wieder durch¬
lebte. Leider, leider kamen auch Tage und Nachte, in denen ich das empörte
Herz nicht bezwang und mein Schicksal verfluchte: daß es mir versagt worden,
was ich Hunderttausenden gewährt sah, daß ich mit ungestillter Sehnsucht durch
ein verworrenes Leben gehen mußte, an dem meine Seele keinen Anteil nahm.
Ich fürchte, Ihr und andre edle Genossen, die ich in Indien gefunden, habt oft
genug unter meiner finstern Laune und meinem jäh aufwallenden Blute gelitten,
Ihr wußtet nicht, was ich in mir trug und wie schwer ein Mensch sich darein
schickt, sein Erdenglück als verloren zu erachten!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/192>, abgerufen am 05.02.2025.