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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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"Lainoens.

Mensch die Abgründe nicht erkennt, die ihn vom Menschen scheiden, entschlug
ich mich nie! Ich weiß nicht, ob Naben und Sperber dem Schicksal grollen,
nicht Falken und Aare zu sein, aber wenigstens ward ihnen der Trieb nicht
in die Brust gelegt, sich mit Adlerweibchen zu paaren und sich in ewig unstill¬
barer Sehnsucht zu verzehren. Bei fünfundzwanzig Jahren fliegen unsre
Wallungen und Wünsche weit über die Mauer" hinweg, an denen man sich
das Hirn zerschmettern soll. Mit mir war es nicht anders, und da ich das
Flügelpferd ritt, dünkte mich jedes Hindernis vollends ein Spott, und ich wähnte
eigens deshalb im Königsschloß Aufnahme gefunden zu haben, um das Herz
der schönen Ccitarinn mit meinen Sonetten zu bestürmen. Das war Jugend-
wahn -- Jugendcitelkeit, doch meine ich noch heute, Gott müsse die Kraft, die
er meinen stammelnden Worten und Reimen versagte, in meine Augen gelegt
haben, den" die Holdselige neigte sich mir zu und wußte mir, obschon von
tausend lauernden Blicken umspäht, dennoch zu zeigen, daß sie meiner Sehnsucht,
meiner stumm beredten Huldigung nicht zürne. Ihr wißt, wie ungestüm junge
Herzen schlagen, wenn sie nur durch Pflicht und Zwang getrennt sind, und Ihr
erläßt mir die Erzählung, wie wir selbst im Palast von Belem uns fanden,
als wären seine Prachtgäctcn freie Fluren. Mein Mund hat in beglückter
Stunde auf Catariuas Munde geruht, mein Herz an ihrem Herzen ge¬
schlagen -- mehr nicht, mehr nicht, Senhor Manuel, und schon das war zuviel!
Wohl hat mich die Erinnerung an jene Stunden aufrecht erhalten, als ich in
der Verbannung zu Macao, in weltferner Öde und bittrer Armut mich fragte,
warum mir edles Blut, hochstrcbcnder Sinn und die Glut der Dichtung ver¬
liehen worden seien? Ach, in tausend Nächten, in deuen ich versucht war, Hand
an mich zu legen oder Gottes dunkeln Ratschluß zu lästern, trat Catarinas
Bild in all seiner Reinheit und Schöne vor mich und mahnte mich, daß ihre
Liebe mir mehr gegeben habe, als ich je verdient. Ich hielt mich an der
Erinnerung aufrecht, die mir kein schlimmes Geschick entreißen konnte, doch fragte
ich mich stets zugleich, ob es nicht besser gewesen wäre, daß Catarina mich niemals
erblickt hätte. Was uns für immer trennte, sah alltäglich genug aus: unsre
Neigung wurde verraten, oder wir verrieten sie selbst. Eine kurze Haft für
mich -- nur vierundzwanzig Stunden, Manuel! -- ein Befehl des erzürnten
Königs, der mich nach Santarem wies, eine zweimonatliche Einschließung Ccitarinas
in das adliche Kloster Senora de Nceessidades, ein königlicher Rat, mich dem
nächsten Sccznge gegen Marokko anzuschließen, wenn ich je wieder die Gunst
des Herrschers erlangen wolle, dann ein strenges Gebot, mich jedes Versuchs zu
enthalten, das edle Fräulein de Atayde zu sehen oder ihr eine Botschaft zu
senden -- dies reichte hin, uns für immer zu trennen! Als ich aus dem
Hospital zurückkehrte, wo ich nach dem Seetreffen von Ceuta monatelang an
jener Wunde darnieder gelegen hatte, die mich ein Ange kostete, da war Catarina
auf ein einsames Landgut ihrer Familie in den Bergen von Beira geschickt.


«Lainoens.

Mensch die Abgründe nicht erkennt, die ihn vom Menschen scheiden, entschlug
ich mich nie! Ich weiß nicht, ob Naben und Sperber dem Schicksal grollen,
nicht Falken und Aare zu sein, aber wenigstens ward ihnen der Trieb nicht
in die Brust gelegt, sich mit Adlerweibchen zu paaren und sich in ewig unstill¬
barer Sehnsucht zu verzehren. Bei fünfundzwanzig Jahren fliegen unsre
Wallungen und Wünsche weit über die Mauer» hinweg, an denen man sich
das Hirn zerschmettern soll. Mit mir war es nicht anders, und da ich das
Flügelpferd ritt, dünkte mich jedes Hindernis vollends ein Spott, und ich wähnte
eigens deshalb im Königsschloß Aufnahme gefunden zu haben, um das Herz
der schönen Ccitarinn mit meinen Sonetten zu bestürmen. Das war Jugend-
wahn — Jugendcitelkeit, doch meine ich noch heute, Gott müsse die Kraft, die
er meinen stammelnden Worten und Reimen versagte, in meine Augen gelegt
haben, den» die Holdselige neigte sich mir zu und wußte mir, obschon von
tausend lauernden Blicken umspäht, dennoch zu zeigen, daß sie meiner Sehnsucht,
meiner stumm beredten Huldigung nicht zürne. Ihr wißt, wie ungestüm junge
Herzen schlagen, wenn sie nur durch Pflicht und Zwang getrennt sind, und Ihr
erläßt mir die Erzählung, wie wir selbst im Palast von Belem uns fanden,
als wären seine Prachtgäctcn freie Fluren. Mein Mund hat in beglückter
Stunde auf Catariuas Munde geruht, mein Herz an ihrem Herzen ge¬
schlagen — mehr nicht, mehr nicht, Senhor Manuel, und schon das war zuviel!
Wohl hat mich die Erinnerung an jene Stunden aufrecht erhalten, als ich in
der Verbannung zu Macao, in weltferner Öde und bittrer Armut mich fragte,
warum mir edles Blut, hochstrcbcnder Sinn und die Glut der Dichtung ver¬
liehen worden seien? Ach, in tausend Nächten, in deuen ich versucht war, Hand
an mich zu legen oder Gottes dunkeln Ratschluß zu lästern, trat Catarinas
Bild in all seiner Reinheit und Schöne vor mich und mahnte mich, daß ihre
Liebe mir mehr gegeben habe, als ich je verdient. Ich hielt mich an der
Erinnerung aufrecht, die mir kein schlimmes Geschick entreißen konnte, doch fragte
ich mich stets zugleich, ob es nicht besser gewesen wäre, daß Catarina mich niemals
erblickt hätte. Was uns für immer trennte, sah alltäglich genug aus: unsre
Neigung wurde verraten, oder wir verrieten sie selbst. Eine kurze Haft für
mich — nur vierundzwanzig Stunden, Manuel! — ein Befehl des erzürnten
Königs, der mich nach Santarem wies, eine zweimonatliche Einschließung Ccitarinas
in das adliche Kloster Senora de Nceessidades, ein königlicher Rat, mich dem
nächsten Sccznge gegen Marokko anzuschließen, wenn ich je wieder die Gunst
des Herrschers erlangen wolle, dann ein strenges Gebot, mich jedes Versuchs zu
enthalten, das edle Fräulein de Atayde zu sehen oder ihr eine Botschaft zu
senden — dies reichte hin, uns für immer zu trennen! Als ich aus dem
Hospital zurückkehrte, wo ich nach dem Seetreffen von Ceuta monatelang an
jener Wunde darnieder gelegen hatte, die mich ein Ange kostete, da war Catarina
auf ein einsames Landgut ihrer Familie in den Bergen von Beira geschickt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/191>, abgerufen am 05.02.2025.