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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Nein, es lag dieser Entwicklungsgang in der Luft, wie man sagt, besser in der
politisch-sozialen Bedeutung derjenigen Klassen, die in unsrer konstitutionellen
Gegenwart die erste Stelle einnehmen. Der pieve-sur gvnLiÄ, dieser Allerwclts-
mcmn, hat nicht studirt und will nicht studiren; er ist aber ein Feind aller
Privilegien und verlangt, daß ihm alle Karrieren offen stehe", im Militär- wie im
Zivildienst. In der grundlegenden Verfügung von 1859 sieht er mit Unmut, daß
die Realgymnasien nur zu denjenigen Karrieren vorbereiten, die keine Universitäts-
studien erfordern, daß also die Gymnasien Privilegien haben, die man geradezu
als Monopole bezeichnen kann. Das ist "mittelalterlich," ist nicht zu ertragen,
sagt er. Der Rcalabiturient kann, so sieht er, im Militär alles werden, Kriegs¬
minister und kommcmdircuder General, aber er kann nicht Theologie, nicht das
Recht, nicht die Medizin, nicht das höhere Lehrfach ergreifen, wie es der ge¬
wöhnlichste Gymnasialabiturient kann. Wofür ist er denn von so überwiegender
politischer Bedeutung, wenn er den veralteten Anschauungen von dem Werte
des Griechischen nicht einen energischen Widerspruch entgegensetzen sollte? Seine
Energie, seine Agitation, in der die Ncallehrer natürlich die wissenschaftliche
Leitung übernahmen, ist denn auch schon mit nicht geringen Erfolgen belohnt
worden, der Realabiturient kann schon das Lehrfach in neuern Sprachen und
in der Naturwissenschaft und Mathematik auf der Universität betreiben (in
ersterm Gebiete bezeichnenderweise mit Beschränkung auf die Anstellung bei
Rcalanstalten). Darin hat also die Behörde schon der Richtung der Zeit nach¬
gegeben. Sie wollte auch noch weiter gehen und den Nealabitnrienten das
Studium der Medizin gestatten. Da legten die Professoren der Medizin und
auch die Gesellschaften der Ärzte in der Mehrzahl ihre Stimmen dagegen in
die Wagschale. Man thut am besten, die Gründe für und gegen zu übergehen,
sofern sie sich auf die verschiedne Vorbildung zu diesem Berufe beziehen; deun
diese Gründe kommen überhaupt nicht in Betracht. Es ist bei gleichbleibender
Energie des "allgemeinen Wählers," bei dem Einfluß vou Parlament und
Abgeordnetenhaus auf die Verwaltung nur eine Frage der Zeit, daß die
Medizin den Altgriechen eröffnet wird. Die Bochnmer Generalversammlung ist
voll der besten Hoffnungen nicht bloß in diesen, nächsten Punkte, sondern über¬
haupt für die Aufhebung aller Privilegien des Gymnasiums. Auf S. 13 des Be¬
richts trägt ein Gymnasialdirektvr vor: "Ich sage, einen Realschüler, den seine Lehrer
sür reif erklärt haben, einen solchen Schüler soll man ruhig klassische Philologie
studiren lassen (also ohne daß er Griechisch getrieben hat). Ebenso halte ich
es mir für gerecht, wenn man einen Realschüler anch zum Studium der
Theologie zuläßt, überhaupt ihm völlige Gleichberechtigung mit dem Gymnasial-
schüler zuteil werden läßt." Der Vortragende hatte natürlich auch das-
Mittel bei der Hand, wodurch eine bisher unzureichende Vorbildung für diese
Studien ausreichend gemacht werden soll. Der junge Mensch, der für seine
theologischen oder klassisch-philologischen Studien noch etwas nötig hat, was er


Nein, es lag dieser Entwicklungsgang in der Luft, wie man sagt, besser in der
politisch-sozialen Bedeutung derjenigen Klassen, die in unsrer konstitutionellen
Gegenwart die erste Stelle einnehmen. Der pieve-sur gvnLiÄ, dieser Allerwclts-
mcmn, hat nicht studirt und will nicht studiren; er ist aber ein Feind aller
Privilegien und verlangt, daß ihm alle Karrieren offen stehe», im Militär- wie im
Zivildienst. In der grundlegenden Verfügung von 1859 sieht er mit Unmut, daß
die Realgymnasien nur zu denjenigen Karrieren vorbereiten, die keine Universitäts-
studien erfordern, daß also die Gymnasien Privilegien haben, die man geradezu
als Monopole bezeichnen kann. Das ist „mittelalterlich," ist nicht zu ertragen,
sagt er. Der Rcalabiturient kann, so sieht er, im Militär alles werden, Kriegs¬
minister und kommcmdircuder General, aber er kann nicht Theologie, nicht das
Recht, nicht die Medizin, nicht das höhere Lehrfach ergreifen, wie es der ge¬
wöhnlichste Gymnasialabiturient kann. Wofür ist er denn von so überwiegender
politischer Bedeutung, wenn er den veralteten Anschauungen von dem Werte
des Griechischen nicht einen energischen Widerspruch entgegensetzen sollte? Seine
Energie, seine Agitation, in der die Ncallehrer natürlich die wissenschaftliche
Leitung übernahmen, ist denn auch schon mit nicht geringen Erfolgen belohnt
worden, der Realabiturient kann schon das Lehrfach in neuern Sprachen und
in der Naturwissenschaft und Mathematik auf der Universität betreiben (in
ersterm Gebiete bezeichnenderweise mit Beschränkung auf die Anstellung bei
Rcalanstalten). Darin hat also die Behörde schon der Richtung der Zeit nach¬
gegeben. Sie wollte auch noch weiter gehen und den Nealabitnrienten das
Studium der Medizin gestatten. Da legten die Professoren der Medizin und
auch die Gesellschaften der Ärzte in der Mehrzahl ihre Stimmen dagegen in
die Wagschale. Man thut am besten, die Gründe für und gegen zu übergehen,
sofern sie sich auf die verschiedne Vorbildung zu diesem Berufe beziehen; deun
diese Gründe kommen überhaupt nicht in Betracht. Es ist bei gleichbleibender
Energie des „allgemeinen Wählers," bei dem Einfluß vou Parlament und
Abgeordnetenhaus auf die Verwaltung nur eine Frage der Zeit, daß die
Medizin den Altgriechen eröffnet wird. Die Bochnmer Generalversammlung ist
voll der besten Hoffnungen nicht bloß in diesen, nächsten Punkte, sondern über¬
haupt für die Aufhebung aller Privilegien des Gymnasiums. Auf S. 13 des Be¬
richts trägt ein Gymnasialdirektvr vor: „Ich sage, einen Realschüler, den seine Lehrer
sür reif erklärt haben, einen solchen Schüler soll man ruhig klassische Philologie
studiren lassen (also ohne daß er Griechisch getrieben hat). Ebenso halte ich
es mir für gerecht, wenn man einen Realschüler anch zum Studium der
Theologie zuläßt, überhaupt ihm völlige Gleichberechtigung mit dem Gymnasial-
schüler zuteil werden läßt." Der Vortragende hatte natürlich auch das-
Mittel bei der Hand, wodurch eine bisher unzureichende Vorbildung für diese
Studien ausreichend gemacht werden soll. Der junge Mensch, der für seine
theologischen oder klassisch-philologischen Studien noch etwas nötig hat, was er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/175>, abgerufen am 05.02.2025.