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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Die hannoversche Gesellschaft.

verschiednen Gerichts! als Verwaltungsbeamte, und auch in der Armee,
selbst unter den Generalen, befand sich zu allen Zeiten eine große Zahl bürgerlicher
Offiziere. Ein Bürgerlicher führte als Brigadier die beiden hannoverschen Re¬
gimenter nach Ostindien, und dem Obersten von Estorff machte es zu einer Zeit,
wo in den preußischen Infanterie- und Kavallerieregimentern nur Adliche zu finden
waren, keine Schwierigkeit, die Versetzung des Fähndrichs Scharnhorst von der
Artillerie in sein Dragonerregiment zu erlangen.

In Wahrheit regierten jene bürgerlichen Beamten das Land. Wie sich
aber der Adel gegen sie abschloß, so schlössen sie sich gegen die andern bürger¬
lichen Familien ab und suchten das Eindringen neuer Elemente in ihren Kreis
möglichst zu erschweren. So entstand ein bürgerliches Patriziat, zu dem
vor allem die sogenannten schöne" Familien gehörten, aus deren Mitte im
Laufe des vorigen und des jetzigen Jahrhunderts einige vom Kaiser und den
beiden letzten Königen des welfischen Hauses in den Adelsstand erhoben wurden.
Sie bildeten den jungen Adel, der bis zum letzten Augenblicke vom alten Adel
nie als gleichberechtigt anerkannt worden ist. Seine Söhne saßen z. B. im
Oberappellationsgerichte bis 1848 mit den bürgerlichen Räten auf der gelehrten
Bank, teilten auch mit diesen das Geschick, nicht Generalmajorsrang, wie die
Räte der adlichen Bank, sondern nur Brigadiersrang zu besitzen. Seine Töchter
wurden nur in bestimmten Klöstern aufgenommen, und wenn in einem der
Calemberger Klöster die Wahl einer Äbtissin bevorstand und zufällig keine alt-
adliche Dame an demselben vorhanden war, so mußte man sich sein Haupt
aus einem der andern Klöster wählen, wie dies noch unter Ernst August im
Kloster Mariensee geschah.

Der junge Adel suchte diesen Unterschied mehr und mehr zu verwischen.
Mit Vorliebe näherte er sich durch Heirat dem alten Adel und entfernte sich
auf diese Weise von den Kreisen, aus welchen er hervorgegangen war. Aber
auch diese konnten den starren Bann nicht aufrecht erhalten, welchen sie um sich
zu ziehen suchten. Zu verschiednen Zeiten drangen eine Menge novi Kom,in"Z8
in ihre Reihen, das einemal veranlaßt durch die napoleonischen Kriege, nach
deren Beendigung eine Menge Hannoveraner, die als Unteroffiziere oder Ge¬
meine in den englischen Dienst getreten waren, als Offiziere die Heimat wieder¬
sahen, das andremal 1848 und in den folgenden Jahren, während deren eine
Menge städtischer und Patrimvnialbeamten in den Staatsdienst aufgenommen
wurden. Exzellenz Windthorst gehört zu dieser Kategorie.

Der Adel, die Beamten und die Offiziere bildeten vereint in jeder han¬
noverschen Stadt die sogenannte erste Gesellschaft. Eine Ausnahme von dieser
Regel bestand nur in der Haupt- und Residenzstadt Hannover. In ihr war
der Adel stark genug vertreten, um sich von den andern Ständen abschließen
zu können. Er betrachtete das Recht, die sogenannte Hofgesellschaft zu bilden,
als sein ausschließliches Privilegium, und die Etikette kam ihm darin entgegen.


Die hannoversche Gesellschaft.

verschiednen Gerichts! als Verwaltungsbeamte, und auch in der Armee,
selbst unter den Generalen, befand sich zu allen Zeiten eine große Zahl bürgerlicher
Offiziere. Ein Bürgerlicher führte als Brigadier die beiden hannoverschen Re¬
gimenter nach Ostindien, und dem Obersten von Estorff machte es zu einer Zeit,
wo in den preußischen Infanterie- und Kavallerieregimentern nur Adliche zu finden
waren, keine Schwierigkeit, die Versetzung des Fähndrichs Scharnhorst von der
Artillerie in sein Dragonerregiment zu erlangen.

In Wahrheit regierten jene bürgerlichen Beamten das Land. Wie sich
aber der Adel gegen sie abschloß, so schlössen sie sich gegen die andern bürger¬
lichen Familien ab und suchten das Eindringen neuer Elemente in ihren Kreis
möglichst zu erschweren. So entstand ein bürgerliches Patriziat, zu dem
vor allem die sogenannten schöne» Familien gehörten, aus deren Mitte im
Laufe des vorigen und des jetzigen Jahrhunderts einige vom Kaiser und den
beiden letzten Königen des welfischen Hauses in den Adelsstand erhoben wurden.
Sie bildeten den jungen Adel, der bis zum letzten Augenblicke vom alten Adel
nie als gleichberechtigt anerkannt worden ist. Seine Söhne saßen z. B. im
Oberappellationsgerichte bis 1848 mit den bürgerlichen Räten auf der gelehrten
Bank, teilten auch mit diesen das Geschick, nicht Generalmajorsrang, wie die
Räte der adlichen Bank, sondern nur Brigadiersrang zu besitzen. Seine Töchter
wurden nur in bestimmten Klöstern aufgenommen, und wenn in einem der
Calemberger Klöster die Wahl einer Äbtissin bevorstand und zufällig keine alt-
adliche Dame an demselben vorhanden war, so mußte man sich sein Haupt
aus einem der andern Klöster wählen, wie dies noch unter Ernst August im
Kloster Mariensee geschah.

Der junge Adel suchte diesen Unterschied mehr und mehr zu verwischen.
Mit Vorliebe näherte er sich durch Heirat dem alten Adel und entfernte sich
auf diese Weise von den Kreisen, aus welchen er hervorgegangen war. Aber
auch diese konnten den starren Bann nicht aufrecht erhalten, welchen sie um sich
zu ziehen suchten. Zu verschiednen Zeiten drangen eine Menge novi Kom,in«Z8
in ihre Reihen, das einemal veranlaßt durch die napoleonischen Kriege, nach
deren Beendigung eine Menge Hannoveraner, die als Unteroffiziere oder Ge¬
meine in den englischen Dienst getreten waren, als Offiziere die Heimat wieder¬
sahen, das andremal 1848 und in den folgenden Jahren, während deren eine
Menge städtischer und Patrimvnialbeamten in den Staatsdienst aufgenommen
wurden. Exzellenz Windthorst gehört zu dieser Kategorie.

Der Adel, die Beamten und die Offiziere bildeten vereint in jeder han¬
noverschen Stadt die sogenannte erste Gesellschaft. Eine Ausnahme von dieser
Regel bestand nur in der Haupt- und Residenzstadt Hannover. In ihr war
der Adel stark genug vertreten, um sich von den andern Ständen abschließen
zu können. Er betrachtete das Recht, die sogenannte Hofgesellschaft zu bilden,
als sein ausschließliches Privilegium, und die Etikette kam ihm darin entgegen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/16>, abgerufen am 05.02.2025.