Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Basta am Balkan,

der Balkanhalbinsel hätten "höchst wichtige Rassen- und Gleichgewichtsfragcn"
aufs Tapet gebracht und auch jenseits der Grenzen des Staates, in welchem
sie sich begeben, ernsten Einfluß geübt. Die hellenische Regierung würde den
Verdacht erwecken, daß sie nicht aufrichtig die Erhaltung des Friedens wünsche,
wenn sie den Mächten nicht "offen und ohne Rückhalt" die Lage an den
Grenzen, besonders im Norden, darstellte, welche "voll von Gefahren" sei. Der
Berliner Kongreß habe dieser Lage einige Aufmerksamkeit geschenkt, und da aller
Grund vorliege, zu vermuten, daß die Mächte sehr bald die Regelung der An¬
gelegenheiten in den Balkanländern in die Hand nehmen würden, so hoffe man
in Griechenland, daß "sie im Interesse eines dauerhaften Friedens sich nicht
darauf beschränken würden, eine offne Wunde zu schließen, sondern darauf
Bedacht nehmen würden, verborgne Wunden zu heilen, die sich gleichfalls zu
öffnen drohten." So würden die Schwierigkeiten erleichtert werden, welche die
griechische Regierung hindern könnten, an dem Werke der Pazifikation mitzuar¬
beiten, mit dem sich die Mächte beschäftigten. Das Züknlnr schließt mit den
Worten: "Die Möchte wissen, wie sehr die Frage wegen unsrer Nordgrenzen
die Lebensinteressen unsers Königreiches berührt, und wie eng sie mit den
politischen Interessen verknüpft ist, die neulich durch die Ereignisse in den
Vordergrund gerückt worden sind, deren Schauplatz die Balkanhalbinsel war.
Gerade die Dankbarkeit, mit welcher die bisher von den Großmächten kund¬
gegebne Fürsorge für Griechenland unsre Herzen erfüllt hat, verpflichtet uns,
ihnen die Lage in ihrem wahren Lichte darzustellen." Das sind schöne Redens¬
arten, hinter denen sich der unschöne Wunsch versteckt: wir möchten ein Stück
Land jenseits unsrer Nordgrenze haben, und die Gelegenheit scheint günstig.
Sprecht ihr uns dieses türkische Besitztum nicht zu, so nehmen wirs uns. Die
Griechen sind feine Köpfe, und so sollten sie wissen, daß man die europäischen
Kabinette mit so durchsichtigen Phrasen nicht täuscht. Sie sind ferner vor¬
wiegend Geschäftsleute, und so sollten sie bemerkt haben, daß eine derartige
Politik zum Bankerotte führen muß. Es ist Thorheit, Kredit auf eine zukünf¬
tige Erbschaft hin zu suchen, die vielleicht niemals ausgezahlt wird. In Mace-
donien stehen jetzt 150000 Mann Türken bereit, diese sogenannte Erbschaft
gegen die Habgier und Großmannssucht der Griechen zu verteidigen, und obwohl
Europa den letztern wiederholt viel Wohlwollen erwiesen hat, hat das Wohl¬
wollen, wie alle guten Dinge, seine ganz bestimmten Grenzen. Es sieht sehr
darnach aus, als ob Griechenland, wenn es auf seinem Verlangen bestünde,
nichts gewinnen, sondern Strafe zu zahlen haben würde. Wir leben in einer
unvollkommnen Welt, und die Politik ist bisweilen unmoralisch. Aber trotzdem
klingt es unverschämt, wenn jemand hier von Rechten auf Land redet, das
andrer Leute Eigentum ist. Ist der, der so spricht, der stärkere, so kann er sich
das, was er begehrt, kraft des Faustrechts nehmen, das vielen Rechten und
Ansprüchen in dieser besten aller möglichen Welten zu Grunde liegt. Wenn er


Basta am Balkan,

der Balkanhalbinsel hätten „höchst wichtige Rassen- und Gleichgewichtsfragcn"
aufs Tapet gebracht und auch jenseits der Grenzen des Staates, in welchem
sie sich begeben, ernsten Einfluß geübt. Die hellenische Regierung würde den
Verdacht erwecken, daß sie nicht aufrichtig die Erhaltung des Friedens wünsche,
wenn sie den Mächten nicht „offen und ohne Rückhalt" die Lage an den
Grenzen, besonders im Norden, darstellte, welche „voll von Gefahren" sei. Der
Berliner Kongreß habe dieser Lage einige Aufmerksamkeit geschenkt, und da aller
Grund vorliege, zu vermuten, daß die Mächte sehr bald die Regelung der An¬
gelegenheiten in den Balkanländern in die Hand nehmen würden, so hoffe man
in Griechenland, daß „sie im Interesse eines dauerhaften Friedens sich nicht
darauf beschränken würden, eine offne Wunde zu schließen, sondern darauf
Bedacht nehmen würden, verborgne Wunden zu heilen, die sich gleichfalls zu
öffnen drohten." So würden die Schwierigkeiten erleichtert werden, welche die
griechische Regierung hindern könnten, an dem Werke der Pazifikation mitzuar¬
beiten, mit dem sich die Mächte beschäftigten. Das Züknlnr schließt mit den
Worten: „Die Möchte wissen, wie sehr die Frage wegen unsrer Nordgrenzen
die Lebensinteressen unsers Königreiches berührt, und wie eng sie mit den
politischen Interessen verknüpft ist, die neulich durch die Ereignisse in den
Vordergrund gerückt worden sind, deren Schauplatz die Balkanhalbinsel war.
Gerade die Dankbarkeit, mit welcher die bisher von den Großmächten kund¬
gegebne Fürsorge für Griechenland unsre Herzen erfüllt hat, verpflichtet uns,
ihnen die Lage in ihrem wahren Lichte darzustellen." Das sind schöne Redens¬
arten, hinter denen sich der unschöne Wunsch versteckt: wir möchten ein Stück
Land jenseits unsrer Nordgrenze haben, und die Gelegenheit scheint günstig.
Sprecht ihr uns dieses türkische Besitztum nicht zu, so nehmen wirs uns. Die
Griechen sind feine Köpfe, und so sollten sie wissen, daß man die europäischen
Kabinette mit so durchsichtigen Phrasen nicht täuscht. Sie sind ferner vor¬
wiegend Geschäftsleute, und so sollten sie bemerkt haben, daß eine derartige
Politik zum Bankerotte führen muß. Es ist Thorheit, Kredit auf eine zukünf¬
tige Erbschaft hin zu suchen, die vielleicht niemals ausgezahlt wird. In Mace-
donien stehen jetzt 150000 Mann Türken bereit, diese sogenannte Erbschaft
gegen die Habgier und Großmannssucht der Griechen zu verteidigen, und obwohl
Europa den letztern wiederholt viel Wohlwollen erwiesen hat, hat das Wohl¬
wollen, wie alle guten Dinge, seine ganz bestimmten Grenzen. Es sieht sehr
darnach aus, als ob Griechenland, wenn es auf seinem Verlangen bestünde,
nichts gewinnen, sondern Strafe zu zahlen haben würde. Wir leben in einer
unvollkommnen Welt, und die Politik ist bisweilen unmoralisch. Aber trotzdem
klingt es unverschämt, wenn jemand hier von Rechten auf Land redet, das
andrer Leute Eigentum ist. Ist der, der so spricht, der stärkere, so kann er sich
das, was er begehrt, kraft des Faustrechts nehmen, das vielen Rechten und
Ansprüchen in dieser besten aller möglichen Welten zu Grunde liegt. Wenn er


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0158" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197582"/>
          <fw type="header" place="top"> Basta am Balkan,</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_465" prev="#ID_464" next="#ID_466"> der Balkanhalbinsel hätten &#x201E;höchst wichtige Rassen- und Gleichgewichtsfragcn"<lb/>
aufs Tapet gebracht und auch jenseits der Grenzen des Staates, in welchem<lb/>
sie sich begeben, ernsten Einfluß geübt. Die hellenische Regierung würde den<lb/>
Verdacht erwecken, daß sie nicht aufrichtig die Erhaltung des Friedens wünsche,<lb/>
wenn sie den Mächten nicht &#x201E;offen und ohne Rückhalt" die Lage an den<lb/>
Grenzen, besonders im Norden, darstellte, welche &#x201E;voll von Gefahren" sei. Der<lb/>
Berliner Kongreß habe dieser Lage einige Aufmerksamkeit geschenkt, und da aller<lb/>
Grund vorliege, zu vermuten, daß die Mächte sehr bald die Regelung der An¬<lb/>
gelegenheiten in den Balkanländern in die Hand nehmen würden, so hoffe man<lb/>
in Griechenland, daß &#x201E;sie im Interesse eines dauerhaften Friedens sich nicht<lb/>
darauf beschränken würden, eine offne Wunde zu schließen, sondern darauf<lb/>
Bedacht nehmen würden, verborgne Wunden zu heilen, die sich gleichfalls zu<lb/>
öffnen drohten." So würden die Schwierigkeiten erleichtert werden, welche die<lb/>
griechische Regierung hindern könnten, an dem Werke der Pazifikation mitzuar¬<lb/>
beiten, mit dem sich die Mächte beschäftigten. Das Züknlnr schließt mit den<lb/>
Worten: &#x201E;Die Möchte wissen, wie sehr die Frage wegen unsrer Nordgrenzen<lb/>
die Lebensinteressen unsers Königreiches berührt, und wie eng sie mit den<lb/>
politischen Interessen verknüpft ist, die neulich durch die Ereignisse in den<lb/>
Vordergrund gerückt worden sind, deren Schauplatz die Balkanhalbinsel war.<lb/>
Gerade die Dankbarkeit, mit welcher die bisher von den Großmächten kund¬<lb/>
gegebne Fürsorge für Griechenland unsre Herzen erfüllt hat, verpflichtet uns,<lb/>
ihnen die Lage in ihrem wahren Lichte darzustellen." Das sind schöne Redens¬<lb/>
arten, hinter denen sich der unschöne Wunsch versteckt: wir möchten ein Stück<lb/>
Land jenseits unsrer Nordgrenze haben, und die Gelegenheit scheint günstig.<lb/>
Sprecht ihr uns dieses türkische Besitztum nicht zu, so nehmen wirs uns. Die<lb/>
Griechen sind feine Köpfe, und so sollten sie wissen, daß man die europäischen<lb/>
Kabinette mit so durchsichtigen Phrasen nicht täuscht. Sie sind ferner vor¬<lb/>
wiegend Geschäftsleute, und so sollten sie bemerkt haben, daß eine derartige<lb/>
Politik zum Bankerotte führen muß. Es ist Thorheit, Kredit auf eine zukünf¬<lb/>
tige Erbschaft hin zu suchen, die vielleicht niemals ausgezahlt wird. In Mace-<lb/>
donien stehen jetzt 150000 Mann Türken bereit, diese sogenannte Erbschaft<lb/>
gegen die Habgier und Großmannssucht der Griechen zu verteidigen, und obwohl<lb/>
Europa den letztern wiederholt viel Wohlwollen erwiesen hat, hat das Wohl¬<lb/>
wollen, wie alle guten Dinge, seine ganz bestimmten Grenzen. Es sieht sehr<lb/>
darnach aus, als ob Griechenland, wenn es auf seinem Verlangen bestünde,<lb/>
nichts gewinnen, sondern Strafe zu zahlen haben würde. Wir leben in einer<lb/>
unvollkommnen Welt, und die Politik ist bisweilen unmoralisch. Aber trotzdem<lb/>
klingt es unverschämt, wenn jemand hier von Rechten auf Land redet, das<lb/>
andrer Leute Eigentum ist. Ist der, der so spricht, der stärkere, so kann er sich<lb/>
das, was er begehrt, kraft des Faustrechts nehmen, das vielen Rechten und<lb/>
Ansprüchen in dieser besten aller möglichen Welten zu Grunde liegt. Wenn er</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0158] Basta am Balkan, der Balkanhalbinsel hätten „höchst wichtige Rassen- und Gleichgewichtsfragcn" aufs Tapet gebracht und auch jenseits der Grenzen des Staates, in welchem sie sich begeben, ernsten Einfluß geübt. Die hellenische Regierung würde den Verdacht erwecken, daß sie nicht aufrichtig die Erhaltung des Friedens wünsche, wenn sie den Mächten nicht „offen und ohne Rückhalt" die Lage an den Grenzen, besonders im Norden, darstellte, welche „voll von Gefahren" sei. Der Berliner Kongreß habe dieser Lage einige Aufmerksamkeit geschenkt, und da aller Grund vorliege, zu vermuten, daß die Mächte sehr bald die Regelung der An¬ gelegenheiten in den Balkanländern in die Hand nehmen würden, so hoffe man in Griechenland, daß „sie im Interesse eines dauerhaften Friedens sich nicht darauf beschränken würden, eine offne Wunde zu schließen, sondern darauf Bedacht nehmen würden, verborgne Wunden zu heilen, die sich gleichfalls zu öffnen drohten." So würden die Schwierigkeiten erleichtert werden, welche die griechische Regierung hindern könnten, an dem Werke der Pazifikation mitzuar¬ beiten, mit dem sich die Mächte beschäftigten. Das Züknlnr schließt mit den Worten: „Die Möchte wissen, wie sehr die Frage wegen unsrer Nordgrenzen die Lebensinteressen unsers Königreiches berührt, und wie eng sie mit den politischen Interessen verknüpft ist, die neulich durch die Ereignisse in den Vordergrund gerückt worden sind, deren Schauplatz die Balkanhalbinsel war. Gerade die Dankbarkeit, mit welcher die bisher von den Großmächten kund¬ gegebne Fürsorge für Griechenland unsre Herzen erfüllt hat, verpflichtet uns, ihnen die Lage in ihrem wahren Lichte darzustellen." Das sind schöne Redens¬ arten, hinter denen sich der unschöne Wunsch versteckt: wir möchten ein Stück Land jenseits unsrer Nordgrenze haben, und die Gelegenheit scheint günstig. Sprecht ihr uns dieses türkische Besitztum nicht zu, so nehmen wirs uns. Die Griechen sind feine Köpfe, und so sollten sie wissen, daß man die europäischen Kabinette mit so durchsichtigen Phrasen nicht täuscht. Sie sind ferner vor¬ wiegend Geschäftsleute, und so sollten sie bemerkt haben, daß eine derartige Politik zum Bankerotte führen muß. Es ist Thorheit, Kredit auf eine zukünf¬ tige Erbschaft hin zu suchen, die vielleicht niemals ausgezahlt wird. In Mace- donien stehen jetzt 150000 Mann Türken bereit, diese sogenannte Erbschaft gegen die Habgier und Großmannssucht der Griechen zu verteidigen, und obwohl Europa den letztern wiederholt viel Wohlwollen erwiesen hat, hat das Wohl¬ wollen, wie alle guten Dinge, seine ganz bestimmten Grenzen. Es sieht sehr darnach aus, als ob Griechenland, wenn es auf seinem Verlangen bestünde, nichts gewinnen, sondern Strafe zu zahlen haben würde. Wir leben in einer unvollkommnen Welt, und die Politik ist bisweilen unmoralisch. Aber trotzdem klingt es unverschämt, wenn jemand hier von Rechten auf Land redet, das andrer Leute Eigentum ist. Ist der, der so spricht, der stärkere, so kann er sich das, was er begehrt, kraft des Faustrechts nehmen, das vielen Rechten und Ansprüchen in dieser besten aller möglichen Welten zu Grunde liegt. Wenn er

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/158
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/158>, abgerufen am 05.02.2025.