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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Basta am Balkan.

dem Lande geschlagen hat. Vor allem muß der Hader der Parteien ver¬
stummen, der die Entwicklung des Volkes so oft gehemmt und zum Rückgange
gebracht hat. Man will den König für die Niederlage verantwortlich machen.
Gerechter wäre es, sich selbst anzuklagen, da Milan nur dem Drängen der
nationalen Selbstüberhebung nachgab, als er seine Kriegserklärung erließ.
Unter dem Jubel der nicht bloß sehr lauten, sondern auch starken Kriegspartei
unterschrieb er den Befehl zur Mobilisirung der Armee. Vorzüglich durch
Volkskundgebungen aller Art wurde er genötigt, durch den Dragomanpaß in
das Nachbarland einzurücken. Nicht so sehr die Kabinetspolitik des Königs
als das, was man als Nationalpolitik pries und empfahl, führte die serbischen
Truppen auf die Schlachtfelder von Slivnitza und Pirol. Was den Serben
jetzt not thut, ist nicht neue Rüstung zur Auswetzung der Scharten, welche der
Krieg ihrem Ehrenschilde beigebracht hat, sondern Abkühlung, hellerer Blick und
Selbsterkenntnis. Die ohnehin nicht starke Regierungsgewalt muß vor weiterer
Schwächung und Erschütterung bewahrt werden. Die Gefahren, welche Serbien
bedrohen, liegen viel weniger in einem Großbnlgarien, das mit der Zeit aus
der Union hervorgehen könnte, als in dem Mißbräuche der eignen, zu liberalen
Verfassung. Mehr Beschränkung, mehr Bescheidenheit, mehr politische Disziplin
werden Serbien im Innern heben und stärken und es zugleich mehr zur Er¬
füllung seiner Pflichten nach außen befähigen. Europa hat den Serben soeben
erst einen sehr deutlichen Beweis von Wohlwollen und hilfreicher Gesinnung
gegeben, und es wird diese Gesinnung sicher auch bei einem endgiltigen Friedens¬
schlüsse bethätigen, wenn Serbien seine Ansprüche mäßigt. Die Serben sollten
sich endlich klar darüber geworden sein, wie sehr sie und alle die kleinen Balkan¬
völker von der Gunst der Mächte abhängen, und daß sie, wenn diese unter sich
einig sind, nicht das mindeste gegen deren Willen vermögen. Sind die Mächte
entschlossen, alle Spekulationen aus die oder jene Meinnngs- und Interessen-
Verschiedenheit abzuschneiden, achten sie den europäischen Frieden als ihr höchstes
Interesse, wie dies jetzt der Fall ist, so ist jede positive Entscheidung einzig
und allein in ihren Händen; denn dann spricht nicht Rußland, Österreich oder
England in dem betreffenden Falle sein Gebot oder sein Urteil, sondern es ist
die Stimme Europas, die sich vernehmen läßt. Dies ist jetzt eingetreten.
Europa stand den Ereignissen in Bulgarien eine Zeit lang geteilt gegenüber,
jetzt ist dies vermittelt und ausgeglichen. Nicht mir ist man einmütig ent¬
schlossen, dem serbisch-bulgarischen Streite rasch und gründlich ein Ende zu
machen, sondern es ist auch über die Einzelheiten der Intervention zur Herbei¬
führung und Formulirung des Friedens ein befriedigendes Einvernehmen hergestellt.
Werden die Verhandlungen über die bulgarische Unionsfrage in demselben Geiste
anftichtigen Entgegenkommens geführt, so kann ein alle Teile zufriedenstellendes
Arrangement nicht ausbleiben. Was Griechenland angeht, so hat dessen Premier
Delyannis in seinem letzten Rundschreiben behauptet, die neuesten Ereignisse auf


Basta am Balkan.

dem Lande geschlagen hat. Vor allem muß der Hader der Parteien ver¬
stummen, der die Entwicklung des Volkes so oft gehemmt und zum Rückgange
gebracht hat. Man will den König für die Niederlage verantwortlich machen.
Gerechter wäre es, sich selbst anzuklagen, da Milan nur dem Drängen der
nationalen Selbstüberhebung nachgab, als er seine Kriegserklärung erließ.
Unter dem Jubel der nicht bloß sehr lauten, sondern auch starken Kriegspartei
unterschrieb er den Befehl zur Mobilisirung der Armee. Vorzüglich durch
Volkskundgebungen aller Art wurde er genötigt, durch den Dragomanpaß in
das Nachbarland einzurücken. Nicht so sehr die Kabinetspolitik des Königs
als das, was man als Nationalpolitik pries und empfahl, führte die serbischen
Truppen auf die Schlachtfelder von Slivnitza und Pirol. Was den Serben
jetzt not thut, ist nicht neue Rüstung zur Auswetzung der Scharten, welche der
Krieg ihrem Ehrenschilde beigebracht hat, sondern Abkühlung, hellerer Blick und
Selbsterkenntnis. Die ohnehin nicht starke Regierungsgewalt muß vor weiterer
Schwächung und Erschütterung bewahrt werden. Die Gefahren, welche Serbien
bedrohen, liegen viel weniger in einem Großbnlgarien, das mit der Zeit aus
der Union hervorgehen könnte, als in dem Mißbräuche der eignen, zu liberalen
Verfassung. Mehr Beschränkung, mehr Bescheidenheit, mehr politische Disziplin
werden Serbien im Innern heben und stärken und es zugleich mehr zur Er¬
füllung seiner Pflichten nach außen befähigen. Europa hat den Serben soeben
erst einen sehr deutlichen Beweis von Wohlwollen und hilfreicher Gesinnung
gegeben, und es wird diese Gesinnung sicher auch bei einem endgiltigen Friedens¬
schlüsse bethätigen, wenn Serbien seine Ansprüche mäßigt. Die Serben sollten
sich endlich klar darüber geworden sein, wie sehr sie und alle die kleinen Balkan¬
völker von der Gunst der Mächte abhängen, und daß sie, wenn diese unter sich
einig sind, nicht das mindeste gegen deren Willen vermögen. Sind die Mächte
entschlossen, alle Spekulationen aus die oder jene Meinnngs- und Interessen-
Verschiedenheit abzuschneiden, achten sie den europäischen Frieden als ihr höchstes
Interesse, wie dies jetzt der Fall ist, so ist jede positive Entscheidung einzig
und allein in ihren Händen; denn dann spricht nicht Rußland, Österreich oder
England in dem betreffenden Falle sein Gebot oder sein Urteil, sondern es ist
die Stimme Europas, die sich vernehmen läßt. Dies ist jetzt eingetreten.
Europa stand den Ereignissen in Bulgarien eine Zeit lang geteilt gegenüber,
jetzt ist dies vermittelt und ausgeglichen. Nicht mir ist man einmütig ent¬
schlossen, dem serbisch-bulgarischen Streite rasch und gründlich ein Ende zu
machen, sondern es ist auch über die Einzelheiten der Intervention zur Herbei¬
führung und Formulirung des Friedens ein befriedigendes Einvernehmen hergestellt.
Werden die Verhandlungen über die bulgarische Unionsfrage in demselben Geiste
anftichtigen Entgegenkommens geführt, so kann ein alle Teile zufriedenstellendes
Arrangement nicht ausbleiben. Was Griechenland angeht, so hat dessen Premier
Delyannis in seinem letzten Rundschreiben behauptet, die neuesten Ereignisse auf


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[0157] Basta am Balkan. dem Lande geschlagen hat. Vor allem muß der Hader der Parteien ver¬ stummen, der die Entwicklung des Volkes so oft gehemmt und zum Rückgange gebracht hat. Man will den König für die Niederlage verantwortlich machen. Gerechter wäre es, sich selbst anzuklagen, da Milan nur dem Drängen der nationalen Selbstüberhebung nachgab, als er seine Kriegserklärung erließ. Unter dem Jubel der nicht bloß sehr lauten, sondern auch starken Kriegspartei unterschrieb er den Befehl zur Mobilisirung der Armee. Vorzüglich durch Volkskundgebungen aller Art wurde er genötigt, durch den Dragomanpaß in das Nachbarland einzurücken. Nicht so sehr die Kabinetspolitik des Königs als das, was man als Nationalpolitik pries und empfahl, führte die serbischen Truppen auf die Schlachtfelder von Slivnitza und Pirol. Was den Serben jetzt not thut, ist nicht neue Rüstung zur Auswetzung der Scharten, welche der Krieg ihrem Ehrenschilde beigebracht hat, sondern Abkühlung, hellerer Blick und Selbsterkenntnis. Die ohnehin nicht starke Regierungsgewalt muß vor weiterer Schwächung und Erschütterung bewahrt werden. Die Gefahren, welche Serbien bedrohen, liegen viel weniger in einem Großbnlgarien, das mit der Zeit aus der Union hervorgehen könnte, als in dem Mißbräuche der eignen, zu liberalen Verfassung. Mehr Beschränkung, mehr Bescheidenheit, mehr politische Disziplin werden Serbien im Innern heben und stärken und es zugleich mehr zur Er¬ füllung seiner Pflichten nach außen befähigen. Europa hat den Serben soeben erst einen sehr deutlichen Beweis von Wohlwollen und hilfreicher Gesinnung gegeben, und es wird diese Gesinnung sicher auch bei einem endgiltigen Friedens¬ schlüsse bethätigen, wenn Serbien seine Ansprüche mäßigt. Die Serben sollten sich endlich klar darüber geworden sein, wie sehr sie und alle die kleinen Balkan¬ völker von der Gunst der Mächte abhängen, und daß sie, wenn diese unter sich einig sind, nicht das mindeste gegen deren Willen vermögen. Sind die Mächte entschlossen, alle Spekulationen aus die oder jene Meinnngs- und Interessen- Verschiedenheit abzuschneiden, achten sie den europäischen Frieden als ihr höchstes Interesse, wie dies jetzt der Fall ist, so ist jede positive Entscheidung einzig und allein in ihren Händen; denn dann spricht nicht Rußland, Österreich oder England in dem betreffenden Falle sein Gebot oder sein Urteil, sondern es ist die Stimme Europas, die sich vernehmen läßt. Dies ist jetzt eingetreten. Europa stand den Ereignissen in Bulgarien eine Zeit lang geteilt gegenüber, jetzt ist dies vermittelt und ausgeglichen. Nicht mir ist man einmütig ent¬ schlossen, dem serbisch-bulgarischen Streite rasch und gründlich ein Ende zu machen, sondern es ist auch über die Einzelheiten der Intervention zur Herbei¬ führung und Formulirung des Friedens ein befriedigendes Einvernehmen hergestellt. Werden die Verhandlungen über die bulgarische Unionsfrage in demselben Geiste anftichtigen Entgegenkommens geführt, so kann ein alle Teile zufriedenstellendes Arrangement nicht ausbleiben. Was Griechenland angeht, so hat dessen Premier Delyannis in seinem letzten Rundschreiben behauptet, die neuesten Ereignisse auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/157>, abgerufen am 05.02.2025.