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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Basta am Balkan.

und muß, da an einen dauernden Frieden nicht zu denken ist, wenn die Be¬
stimmungen des Berliner Vertrages nicht streng und nnsnahmslvs gewahrt
werden und Bulgarien nicht genötigt wird, Bürgschaft materieller Art
zu geben, daß es sie achten werde. Wird mit Zustimmung der Psorte und
Gutheißung der Großmächte ein vergrößertes Bulgarien geschaffen, so kann
Serbien dies unmöglich zulassen (wirklich nicht, das kleine Ländchen? wenn es
nun müßte?), wofern ihm nicht eine entsprechende Erweiterung seines Gebietes
gewährt wird. Sollte Europa in der That es sür zulässig halten, daß
Bulgarien und Ostrumelieu vereinigt werden, so müßte Serbien mit Widdin
und dem Kreise von Trn schadlos gehalten werden, und zwar wäre ans die
Abtretung des letztern noch mehr Gewicht als auf die des erstern zu legen, weil
Bulgarien sonst jeden Augenblick imstande sein würde, nach Macedonien hinüber
zu greifen, und es ganz undenkbar erscheint, daß ihm diese Möglichkeit nicht
abgeschnitten werden sollte. Antwortet man darauf, mit dieser Abtretung würde
die serbische Grenze ganz nahe nach Sofia hin verlegt werden, so erwiedern die
Serben und ihre Freunde: allerdings, aber nach einer Union Bulgariens mit
Ostrumelien würde Sofia nicht mehr die Hauptstadt sein können, vielmehr
würde der Mittelpunkt der vereinigten Bnlgarenländcr Philippopel werden müssen.

Von diesen Behauptungen ist einiges begründet, andres scheint uur so,
wieder andres hat nicht einmal den Schein der Wahrheit für sich. Die Serben
haben in dem kurzen Feldzuge keine eigentliche Niederlage erlitten, keine Ge¬
schütze und keine Fahnen verloren und ungefähr noch einmal so viel Gefangne
gemacht als ihre Gegner. Aber ihr Unternehmen endigte doch mit einem Rück¬
züge, auf dem ihnen die Bulgaren bis auf serbisches Gebiet folgten, und wenn
sie behaupten, daß, wenn Osterreich sich nicht dazwischengestellt hätte, General
Leschjcmin jetzt in Widdin wäre, so können ihnen die Bulgaren erwiedern: hätte
Österreich uns nicht durch Khevenhüllcr Halt geboten, so stünden wir wahr¬
scheinlich heute in Belgrad. Wenn Serbien für jede Union der Bulgaren,
auch für eine solche, welche dein Berliner Frieden in der Hauptsache entspricht,
E>?tschädigung mit Gebiet beansprucht und für den Fall einer Verweigerung
mit Erneuerung des Krieges droht, so sollte es wissen, daß es damit nicht bloß
den Bulgaren, sondern zugleich den Großmächten droht, und daß dies einer
kleinen Macht übel zu Gesichte steht und übel bekommen kann. Weigert es
sich, abzurüsten, rüstet es sogar, wie gemeldet wird, weiter, so wird es damit
niemand imponiren und nichts erreichen als eine noch stärkere Demütigung und
eine gänzliche Erschöpfung seiner ohnehin dürftigen Finanzen. Serbiens Mi߬
geschick ging aus zu großem Selbstvertrauen gegenüber den Feinden im Nachbar¬
lande und aus zu geringer Beachtung der Wünsche seiner Freunde hervor,
welche ans Friede"! gerichtet waren. Der rechte Weg ist jetzt, daß mau sich
diesen Wünschen ohne Vorbehalt und Hintergedanken fügt und nicht an Rache,
sondern an Heilung der Wunden denkt, die der ilnvorsichtig begonnene Krieg


Basta am Balkan.

und muß, da an einen dauernden Frieden nicht zu denken ist, wenn die Be¬
stimmungen des Berliner Vertrages nicht streng und nnsnahmslvs gewahrt
werden und Bulgarien nicht genötigt wird, Bürgschaft materieller Art
zu geben, daß es sie achten werde. Wird mit Zustimmung der Psorte und
Gutheißung der Großmächte ein vergrößertes Bulgarien geschaffen, so kann
Serbien dies unmöglich zulassen (wirklich nicht, das kleine Ländchen? wenn es
nun müßte?), wofern ihm nicht eine entsprechende Erweiterung seines Gebietes
gewährt wird. Sollte Europa in der That es sür zulässig halten, daß
Bulgarien und Ostrumelieu vereinigt werden, so müßte Serbien mit Widdin
und dem Kreise von Trn schadlos gehalten werden, und zwar wäre ans die
Abtretung des letztern noch mehr Gewicht als auf die des erstern zu legen, weil
Bulgarien sonst jeden Augenblick imstande sein würde, nach Macedonien hinüber
zu greifen, und es ganz undenkbar erscheint, daß ihm diese Möglichkeit nicht
abgeschnitten werden sollte. Antwortet man darauf, mit dieser Abtretung würde
die serbische Grenze ganz nahe nach Sofia hin verlegt werden, so erwiedern die
Serben und ihre Freunde: allerdings, aber nach einer Union Bulgariens mit
Ostrumelien würde Sofia nicht mehr die Hauptstadt sein können, vielmehr
würde der Mittelpunkt der vereinigten Bnlgarenländcr Philippopel werden müssen.

Von diesen Behauptungen ist einiges begründet, andres scheint uur so,
wieder andres hat nicht einmal den Schein der Wahrheit für sich. Die Serben
haben in dem kurzen Feldzuge keine eigentliche Niederlage erlitten, keine Ge¬
schütze und keine Fahnen verloren und ungefähr noch einmal so viel Gefangne
gemacht als ihre Gegner. Aber ihr Unternehmen endigte doch mit einem Rück¬
züge, auf dem ihnen die Bulgaren bis auf serbisches Gebiet folgten, und wenn
sie behaupten, daß, wenn Osterreich sich nicht dazwischengestellt hätte, General
Leschjcmin jetzt in Widdin wäre, so können ihnen die Bulgaren erwiedern: hätte
Österreich uns nicht durch Khevenhüllcr Halt geboten, so stünden wir wahr¬
scheinlich heute in Belgrad. Wenn Serbien für jede Union der Bulgaren,
auch für eine solche, welche dein Berliner Frieden in der Hauptsache entspricht,
E>?tschädigung mit Gebiet beansprucht und für den Fall einer Verweigerung
mit Erneuerung des Krieges droht, so sollte es wissen, daß es damit nicht bloß
den Bulgaren, sondern zugleich den Großmächten droht, und daß dies einer
kleinen Macht übel zu Gesichte steht und übel bekommen kann. Weigert es
sich, abzurüsten, rüstet es sogar, wie gemeldet wird, weiter, so wird es damit
niemand imponiren und nichts erreichen als eine noch stärkere Demütigung und
eine gänzliche Erschöpfung seiner ohnehin dürftigen Finanzen. Serbiens Mi߬
geschick ging aus zu großem Selbstvertrauen gegenüber den Feinden im Nachbar¬
lande und aus zu geringer Beachtung der Wünsche seiner Freunde hervor,
welche ans Friede»! gerichtet waren. Der rechte Weg ist jetzt, daß mau sich
diesen Wünschen ohne Vorbehalt und Hintergedanken fügt und nicht an Rache,
sondern an Heilung der Wunden denkt, die der ilnvorsichtig begonnene Krieg


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[0156] Basta am Balkan. und muß, da an einen dauernden Frieden nicht zu denken ist, wenn die Be¬ stimmungen des Berliner Vertrages nicht streng und nnsnahmslvs gewahrt werden und Bulgarien nicht genötigt wird, Bürgschaft materieller Art zu geben, daß es sie achten werde. Wird mit Zustimmung der Psorte und Gutheißung der Großmächte ein vergrößertes Bulgarien geschaffen, so kann Serbien dies unmöglich zulassen (wirklich nicht, das kleine Ländchen? wenn es nun müßte?), wofern ihm nicht eine entsprechende Erweiterung seines Gebietes gewährt wird. Sollte Europa in der That es sür zulässig halten, daß Bulgarien und Ostrumelieu vereinigt werden, so müßte Serbien mit Widdin und dem Kreise von Trn schadlos gehalten werden, und zwar wäre ans die Abtretung des letztern noch mehr Gewicht als auf die des erstern zu legen, weil Bulgarien sonst jeden Augenblick imstande sein würde, nach Macedonien hinüber zu greifen, und es ganz undenkbar erscheint, daß ihm diese Möglichkeit nicht abgeschnitten werden sollte. Antwortet man darauf, mit dieser Abtretung würde die serbische Grenze ganz nahe nach Sofia hin verlegt werden, so erwiedern die Serben und ihre Freunde: allerdings, aber nach einer Union Bulgariens mit Ostrumelien würde Sofia nicht mehr die Hauptstadt sein können, vielmehr würde der Mittelpunkt der vereinigten Bnlgarenländcr Philippopel werden müssen. Von diesen Behauptungen ist einiges begründet, andres scheint uur so, wieder andres hat nicht einmal den Schein der Wahrheit für sich. Die Serben haben in dem kurzen Feldzuge keine eigentliche Niederlage erlitten, keine Ge¬ schütze und keine Fahnen verloren und ungefähr noch einmal so viel Gefangne gemacht als ihre Gegner. Aber ihr Unternehmen endigte doch mit einem Rück¬ züge, auf dem ihnen die Bulgaren bis auf serbisches Gebiet folgten, und wenn sie behaupten, daß, wenn Osterreich sich nicht dazwischengestellt hätte, General Leschjcmin jetzt in Widdin wäre, so können ihnen die Bulgaren erwiedern: hätte Österreich uns nicht durch Khevenhüllcr Halt geboten, so stünden wir wahr¬ scheinlich heute in Belgrad. Wenn Serbien für jede Union der Bulgaren, auch für eine solche, welche dein Berliner Frieden in der Hauptsache entspricht, E>?tschädigung mit Gebiet beansprucht und für den Fall einer Verweigerung mit Erneuerung des Krieges droht, so sollte es wissen, daß es damit nicht bloß den Bulgaren, sondern zugleich den Großmächten droht, und daß dies einer kleinen Macht übel zu Gesichte steht und übel bekommen kann. Weigert es sich, abzurüsten, rüstet es sogar, wie gemeldet wird, weiter, so wird es damit niemand imponiren und nichts erreichen als eine noch stärkere Demütigung und eine gänzliche Erschöpfung seiner ohnehin dürftigen Finanzen. Serbiens Mi߬ geschick ging aus zu großem Selbstvertrauen gegenüber den Feinden im Nachbar¬ lande und aus zu geringer Beachtung der Wünsche seiner Freunde hervor, welche ans Friede»! gerichtet waren. Der rechte Weg ist jetzt, daß mau sich diesen Wünschen ohne Vorbehalt und Hintergedanken fügt und nicht an Rache, sondern an Heilung der Wunden denkt, die der ilnvorsichtig begonnene Krieg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/156>, abgerufen am 05.02.2025.