Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Basta am Balkan.

treter der Großmächte zusammentreten. Nußland wird diese lockere und so
ziemlich in den Nahmen der Bestimmungen von 1878 passende Vereinigung
der beiden von Bulgaren bewohnten Gebiete nicht beanstanden, ihr aber auch nicht
förmlich zustimmen, sondern sie vorläufig ignoriren; denn der Kaiser Alexander
ist mit dem Fürsten von Bulgarien noch keineswegs ausgesöhnt. Er glaubte
schon seit Jahren, dem Battenberger kein Vertrauen schenken zu dürfen, er weiß,
daß dieser ein Schützling und Werkzeug der englischen Politik ist. welche den
Aufstand in Philippopcl anstiftete, und betrachtet ihn auch für die Zukunft als
unzuverlässig. Alle Versuche, sein Mißtraue" zu beschwichtigen, sind mißlungen.
Der Brief, welchen der Fürst durch General Kaulbars dem Zaren übersandt
haben und in welchem er eine Versöhnung versucht haben soll, ist Erfindung
und würde, wenn er existirte, so wenig seinen Zweck erfüllt haben, als der
Tagesbefehl, in welchem der Fürst die Verdienste der russischen Offiziere um
die Armee der Bulgaren anerkannte. Man kaun in Wien nicht gut unterrichtet
gewesen sein, als man hier meinte, der vstrumelische Aufstand sei von russischer
Seite veranlaßt, und als man auf Grund dieser Vermutung thatsächlich sagte:
Lässest du deinen Bulgaren los, so lasse ich meinen Serben gegen ihn marschiren.
Der Battenberger war nichts weniger als eine Schachfigur des Herrn von Gicrs,
und er ist, weil er eine solche in den Händen Salisburys ist, das Haupthindernis,
wenn die Lage der Dinge auf der Bcilkauhalbinsel uoch nicht befriedigend ge¬
ordnet ist und, wie es scheint, auch nicht sobald endgiltig geordnet werden kann.
Kommt eine Vereinigung zwischen der Pforte und den Bulgaren, wie sie oben
skizzirt wurde, wirklich zu stände, so wird sich Nußland stillschweigend vor¬
behalten, sobald die bulgarische Politik eine Wendung nimmt, die den russischen
Interessen zuwiderläuft, augenblicklich auf seinen Einspruch gegen jede Abänderung
des status Huo g-illo zurückkommen, und so wird das Damoklesschwert einer
russischen Intervention so lange über Bulgarien hängen bleiben, als dort mit
dem Wciterregiereu des Battenbergers die Möglichkeit eurer solchen Wendung
besteht, oder als dieser den Argwohn des Zaren nicht besser zu entkräften und
in Vertrauen zu verwandeln weiß, als bisher.

Die Kollcltivnote, welche den Regierungen Serbiens, Bulgariens und
Griechenlands die Demobilisirung ihrer Armeen empfiehlt, sollte ursprünglich
nur in Belgrad und Sofia überreicht werden und lag schon um die Mitte des
Dezembers v. I. in der Absicht des Kabinets, welches die Anregung zu diesem
Schritte gab. Später wurde die Maßregel auf den Vorschlag Österreich-Ungarns
und Deutschlands auch auf das Kabinet von Athen ausgedehnt. Von Bulgarien
ist zu erwarten, daß es sich dem Verlangen der Mächte ohne Verzug fügen
werde, um einen neuen Anspruch auf deren wohlwollende Berücksichigung zu
erwerben. (Neuern Nachrichten zufolge hat es mit der Abrüstung bereits in
großem Maßstabe begonnen.) In Serbien wird man ungern an die Sache
gehen, obwohl es mit der Abrüstung keine Gefahr hätte, da die Regierung des


Basta am Balkan.

treter der Großmächte zusammentreten. Nußland wird diese lockere und so
ziemlich in den Nahmen der Bestimmungen von 1878 passende Vereinigung
der beiden von Bulgaren bewohnten Gebiete nicht beanstanden, ihr aber auch nicht
förmlich zustimmen, sondern sie vorläufig ignoriren; denn der Kaiser Alexander
ist mit dem Fürsten von Bulgarien noch keineswegs ausgesöhnt. Er glaubte
schon seit Jahren, dem Battenberger kein Vertrauen schenken zu dürfen, er weiß,
daß dieser ein Schützling und Werkzeug der englischen Politik ist. welche den
Aufstand in Philippopcl anstiftete, und betrachtet ihn auch für die Zukunft als
unzuverlässig. Alle Versuche, sein Mißtraue» zu beschwichtigen, sind mißlungen.
Der Brief, welchen der Fürst durch General Kaulbars dem Zaren übersandt
haben und in welchem er eine Versöhnung versucht haben soll, ist Erfindung
und würde, wenn er existirte, so wenig seinen Zweck erfüllt haben, als der
Tagesbefehl, in welchem der Fürst die Verdienste der russischen Offiziere um
die Armee der Bulgaren anerkannte. Man kaun in Wien nicht gut unterrichtet
gewesen sein, als man hier meinte, der vstrumelische Aufstand sei von russischer
Seite veranlaßt, und als man auf Grund dieser Vermutung thatsächlich sagte:
Lässest du deinen Bulgaren los, so lasse ich meinen Serben gegen ihn marschiren.
Der Battenberger war nichts weniger als eine Schachfigur des Herrn von Gicrs,
und er ist, weil er eine solche in den Händen Salisburys ist, das Haupthindernis,
wenn die Lage der Dinge auf der Bcilkauhalbinsel uoch nicht befriedigend ge¬
ordnet ist und, wie es scheint, auch nicht sobald endgiltig geordnet werden kann.
Kommt eine Vereinigung zwischen der Pforte und den Bulgaren, wie sie oben
skizzirt wurde, wirklich zu stände, so wird sich Nußland stillschweigend vor¬
behalten, sobald die bulgarische Politik eine Wendung nimmt, die den russischen
Interessen zuwiderläuft, augenblicklich auf seinen Einspruch gegen jede Abänderung
des status Huo g-illo zurückkommen, und so wird das Damoklesschwert einer
russischen Intervention so lange über Bulgarien hängen bleiben, als dort mit
dem Wciterregiereu des Battenbergers die Möglichkeit eurer solchen Wendung
besteht, oder als dieser den Argwohn des Zaren nicht besser zu entkräften und
in Vertrauen zu verwandeln weiß, als bisher.

Die Kollcltivnote, welche den Regierungen Serbiens, Bulgariens und
Griechenlands die Demobilisirung ihrer Armeen empfiehlt, sollte ursprünglich
nur in Belgrad und Sofia überreicht werden und lag schon um die Mitte des
Dezembers v. I. in der Absicht des Kabinets, welches die Anregung zu diesem
Schritte gab. Später wurde die Maßregel auf den Vorschlag Österreich-Ungarns
und Deutschlands auch auf das Kabinet von Athen ausgedehnt. Von Bulgarien
ist zu erwarten, daß es sich dem Verlangen der Mächte ohne Verzug fügen
werde, um einen neuen Anspruch auf deren wohlwollende Berücksichigung zu
erwerben. (Neuern Nachrichten zufolge hat es mit der Abrüstung bereits in
großem Maßstabe begonnen.) In Serbien wird man ungern an die Sache
gehen, obwohl es mit der Abrüstung keine Gefahr hätte, da die Regierung des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0154" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197578"/>
          <fw type="header" place="top"> Basta am Balkan.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_458" prev="#ID_457"> treter der Großmächte zusammentreten. Nußland wird diese lockere und so<lb/>
ziemlich in den Nahmen der Bestimmungen von 1878 passende Vereinigung<lb/>
der beiden von Bulgaren bewohnten Gebiete nicht beanstanden, ihr aber auch nicht<lb/>
förmlich zustimmen, sondern sie vorläufig ignoriren; denn der Kaiser Alexander<lb/>
ist mit dem Fürsten von Bulgarien noch keineswegs ausgesöhnt. Er glaubte<lb/>
schon seit Jahren, dem Battenberger kein Vertrauen schenken zu dürfen, er weiß,<lb/>
daß dieser ein Schützling und Werkzeug der englischen Politik ist. welche den<lb/>
Aufstand in Philippopcl anstiftete, und betrachtet ihn auch für die Zukunft als<lb/>
unzuverlässig. Alle Versuche, sein Mißtraue» zu beschwichtigen, sind mißlungen.<lb/>
Der Brief, welchen der Fürst durch General Kaulbars dem Zaren übersandt<lb/>
haben und in welchem er eine Versöhnung versucht haben soll, ist Erfindung<lb/>
und würde, wenn er existirte, so wenig seinen Zweck erfüllt haben, als der<lb/>
Tagesbefehl, in welchem der Fürst die Verdienste der russischen Offiziere um<lb/>
die Armee der Bulgaren anerkannte. Man kaun in Wien nicht gut unterrichtet<lb/>
gewesen sein, als man hier meinte, der vstrumelische Aufstand sei von russischer<lb/>
Seite veranlaßt, und als man auf Grund dieser Vermutung thatsächlich sagte:<lb/>
Lässest du deinen Bulgaren los, so lasse ich meinen Serben gegen ihn marschiren.<lb/>
Der Battenberger war nichts weniger als eine Schachfigur des Herrn von Gicrs,<lb/>
und er ist, weil er eine solche in den Händen Salisburys ist, das Haupthindernis,<lb/>
wenn die Lage der Dinge auf der Bcilkauhalbinsel uoch nicht befriedigend ge¬<lb/>
ordnet ist und, wie es scheint, auch nicht sobald endgiltig geordnet werden kann.<lb/>
Kommt eine Vereinigung zwischen der Pforte und den Bulgaren, wie sie oben<lb/>
skizzirt wurde, wirklich zu stände, so wird sich Nußland stillschweigend vor¬<lb/>
behalten, sobald die bulgarische Politik eine Wendung nimmt, die den russischen<lb/>
Interessen zuwiderläuft, augenblicklich auf seinen Einspruch gegen jede Abänderung<lb/>
des status Huo g-illo zurückkommen, und so wird das Damoklesschwert einer<lb/>
russischen Intervention so lange über Bulgarien hängen bleiben, als dort mit<lb/>
dem Wciterregiereu des Battenbergers die Möglichkeit eurer solchen Wendung<lb/>
besteht, oder als dieser den Argwohn des Zaren nicht besser zu entkräften und<lb/>
in Vertrauen zu verwandeln weiß, als bisher.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_459" next="#ID_460"> Die Kollcltivnote, welche den Regierungen Serbiens, Bulgariens und<lb/>
Griechenlands die Demobilisirung ihrer Armeen empfiehlt, sollte ursprünglich<lb/>
nur in Belgrad und Sofia überreicht werden und lag schon um die Mitte des<lb/>
Dezembers v. I. in der Absicht des Kabinets, welches die Anregung zu diesem<lb/>
Schritte gab. Später wurde die Maßregel auf den Vorschlag Österreich-Ungarns<lb/>
und Deutschlands auch auf das Kabinet von Athen ausgedehnt. Von Bulgarien<lb/>
ist zu erwarten, daß es sich dem Verlangen der Mächte ohne Verzug fügen<lb/>
werde, um einen neuen Anspruch auf deren wohlwollende Berücksichigung zu<lb/>
erwerben. (Neuern Nachrichten zufolge hat es mit der Abrüstung bereits in<lb/>
großem Maßstabe begonnen.) In Serbien wird man ungern an die Sache<lb/>
gehen, obwohl es mit der Abrüstung keine Gefahr hätte, da die Regierung des</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0154] Basta am Balkan. treter der Großmächte zusammentreten. Nußland wird diese lockere und so ziemlich in den Nahmen der Bestimmungen von 1878 passende Vereinigung der beiden von Bulgaren bewohnten Gebiete nicht beanstanden, ihr aber auch nicht förmlich zustimmen, sondern sie vorläufig ignoriren; denn der Kaiser Alexander ist mit dem Fürsten von Bulgarien noch keineswegs ausgesöhnt. Er glaubte schon seit Jahren, dem Battenberger kein Vertrauen schenken zu dürfen, er weiß, daß dieser ein Schützling und Werkzeug der englischen Politik ist. welche den Aufstand in Philippopcl anstiftete, und betrachtet ihn auch für die Zukunft als unzuverlässig. Alle Versuche, sein Mißtraue» zu beschwichtigen, sind mißlungen. Der Brief, welchen der Fürst durch General Kaulbars dem Zaren übersandt haben und in welchem er eine Versöhnung versucht haben soll, ist Erfindung und würde, wenn er existirte, so wenig seinen Zweck erfüllt haben, als der Tagesbefehl, in welchem der Fürst die Verdienste der russischen Offiziere um die Armee der Bulgaren anerkannte. Man kaun in Wien nicht gut unterrichtet gewesen sein, als man hier meinte, der vstrumelische Aufstand sei von russischer Seite veranlaßt, und als man auf Grund dieser Vermutung thatsächlich sagte: Lässest du deinen Bulgaren los, so lasse ich meinen Serben gegen ihn marschiren. Der Battenberger war nichts weniger als eine Schachfigur des Herrn von Gicrs, und er ist, weil er eine solche in den Händen Salisburys ist, das Haupthindernis, wenn die Lage der Dinge auf der Bcilkauhalbinsel uoch nicht befriedigend ge¬ ordnet ist und, wie es scheint, auch nicht sobald endgiltig geordnet werden kann. Kommt eine Vereinigung zwischen der Pforte und den Bulgaren, wie sie oben skizzirt wurde, wirklich zu stände, so wird sich Nußland stillschweigend vor¬ behalten, sobald die bulgarische Politik eine Wendung nimmt, die den russischen Interessen zuwiderläuft, augenblicklich auf seinen Einspruch gegen jede Abänderung des status Huo g-illo zurückkommen, und so wird das Damoklesschwert einer russischen Intervention so lange über Bulgarien hängen bleiben, als dort mit dem Wciterregiereu des Battenbergers die Möglichkeit eurer solchen Wendung besteht, oder als dieser den Argwohn des Zaren nicht besser zu entkräften und in Vertrauen zu verwandeln weiß, als bisher. Die Kollcltivnote, welche den Regierungen Serbiens, Bulgariens und Griechenlands die Demobilisirung ihrer Armeen empfiehlt, sollte ursprünglich nur in Belgrad und Sofia überreicht werden und lag schon um die Mitte des Dezembers v. I. in der Absicht des Kabinets, welches die Anregung zu diesem Schritte gab. Später wurde die Maßregel auf den Vorschlag Österreich-Ungarns und Deutschlands auch auf das Kabinet von Athen ausgedehnt. Von Bulgarien ist zu erwarten, daß es sich dem Verlangen der Mächte ohne Verzug fügen werde, um einen neuen Anspruch auf deren wohlwollende Berücksichigung zu erwerben. (Neuern Nachrichten zufolge hat es mit der Abrüstung bereits in großem Maßstabe begonnen.) In Serbien wird man ungern an die Sache gehen, obwohl es mit der Abrüstung keine Gefahr hätte, da die Regierung des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/154
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/154>, abgerufen am 05.02.2025.