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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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die ganze Erdfläche zwischen der Donau und dem innerste" Winkel des Pelo-
ponnes ein neues, mit dem großen Volksstamm der Slawen verbrüdertes Ge¬
schlecht ausgegossen. Und eine zweite nicht weniger wichtige Revolution durch
Einwanderung der ?llbanescn hat die Szene der Verwnsiung vollendet. Das
Wort Grieche bezeichnet heute alle jene Völkerschaften, welche im Gegensatze mit
der Lehre Muhammeds und des römischen Papstes Gesetz und Glaube" vom
Patriarchcnthrvne in Vyzanz empfangen," Nun, diese Paradoxen des geist¬
reichen Fragmcntisten sind wohl längst antiqnirt, sie bedürfen keiner Widerlegung
mehr, und die politischen Tendenzen, die Griechen in den Pcmslawismus einzu¬
verleiben, haben mit der Wissenschaft und Forschung nichts gemein. Daß Ver¬
mischungen mit fremdartigen Stämmen stattgefunden haben, daß der Stammbaum
des antiken Hellenentums dadurch vielfach gekreuzt und getrübt worden ist, wird
niemand bestreiten, aber ebensowenig kann der eigentümliche Typus, welcher bereits
im Aussehen und in der physischen Gestaltung die griechische Nasse von der
slawischen trennt, einem unbefangnen Ange entgehen. Da haben die Bewohner
von Trastevere keinen bessern Grund, sich der Abstammung von den alten
Römern zu rühmen, als z, B, die Hydrioten, die auf Sparta zurückgreifen.
Die Völkerwanderung hat Italien noch gewaltiger überflutet und umgewälzt als
hier, wo das oströmische Reich bis in das vierzehnte Jahrhundert gewisse
Schranken behauptete. Gerade die Inseln, zumal die vom Kontinent abge¬
legnen Cykladen, gewährte" ein sicheres Asyl gegen die Barbaren, welche das
Meer fürchteten und die weite Schifffahrt nicht wagten. Und wenn aus dem¬
selben Grunde die Venezianer sich als italienische Autochthonen ansehen, möge"
sie nicht ganz Unrecht haben.

Es ist hier nicht der Ort für eine historisch-ethnographische Abhandlung.
Man darf, wie gesagt, uur ein offnes Auge haben, nur den Griechen mit dem
schlanken Wuchs, dem ovalen Gesicht, dem lebhaften Auge und der nie rastenden
Beweglichkeit des Geistes von dem kraftvollen, aber breiten, plumpen und geistig
trägen Albanesen sofort zu unterscheiden. Mit der weiblichen Schönheit ist es wohl
etwas bergab gegangen, jenes Ebenmaß der Züge und Formen, das wir in den
alten Skulpturen bewundern, ist selten geworden, nnr hie und da auf den
Inseln begegnet man dem klassischen Profil mit der geraden Nase und der
plastischen Heitere"brust, die sich mit der hohlen Hand bedecken läßt. Ich hatte
für meine jüngste Tochter eine Amme aus Paros, die nicht ohne Grund den
Namen Aphrodite führte; leider fehlt in der Regel der Gürtel der Anmut, ohne
welchen alle Schönheit langweilt und übersättigt. Die mythologische Nomen¬
klatur ist wieder ganz an der Tagesordnung, man begegnet den Namen der
Grazien und Musen bei Köchinnen, Stuben- und Kindermädchen, Wie oft hört
man einen Kellner und Packträger mit Themistokles und Alkibiades rufen! Ich
hatte bei meinem ersten Aufenthalte einen Diener in Dienst genommen, der
Aristides hieß, aber ich gestehe, daß von allen Tugenden des große"


die ganze Erdfläche zwischen der Donau und dem innerste» Winkel des Pelo-
ponnes ein neues, mit dem großen Volksstamm der Slawen verbrüdertes Ge¬
schlecht ausgegossen. Und eine zweite nicht weniger wichtige Revolution durch
Einwanderung der ?llbanescn hat die Szene der Verwnsiung vollendet. Das
Wort Grieche bezeichnet heute alle jene Völkerschaften, welche im Gegensatze mit
der Lehre Muhammeds und des römischen Papstes Gesetz und Glaube» vom
Patriarchcnthrvne in Vyzanz empfangen," Nun, diese Paradoxen des geist¬
reichen Fragmcntisten sind wohl längst antiqnirt, sie bedürfen keiner Widerlegung
mehr, und die politischen Tendenzen, die Griechen in den Pcmslawismus einzu¬
verleiben, haben mit der Wissenschaft und Forschung nichts gemein. Daß Ver¬
mischungen mit fremdartigen Stämmen stattgefunden haben, daß der Stammbaum
des antiken Hellenentums dadurch vielfach gekreuzt und getrübt worden ist, wird
niemand bestreiten, aber ebensowenig kann der eigentümliche Typus, welcher bereits
im Aussehen und in der physischen Gestaltung die griechische Nasse von der
slawischen trennt, einem unbefangnen Ange entgehen. Da haben die Bewohner
von Trastevere keinen bessern Grund, sich der Abstammung von den alten
Römern zu rühmen, als z, B, die Hydrioten, die auf Sparta zurückgreifen.
Die Völkerwanderung hat Italien noch gewaltiger überflutet und umgewälzt als
hier, wo das oströmische Reich bis in das vierzehnte Jahrhundert gewisse
Schranken behauptete. Gerade die Inseln, zumal die vom Kontinent abge¬
legnen Cykladen, gewährte» ein sicheres Asyl gegen die Barbaren, welche das
Meer fürchteten und die weite Schifffahrt nicht wagten. Und wenn aus dem¬
selben Grunde die Venezianer sich als italienische Autochthonen ansehen, möge»
sie nicht ganz Unrecht haben.

Es ist hier nicht der Ort für eine historisch-ethnographische Abhandlung.
Man darf, wie gesagt, uur ein offnes Auge haben, nur den Griechen mit dem
schlanken Wuchs, dem ovalen Gesicht, dem lebhaften Auge und der nie rastenden
Beweglichkeit des Geistes von dem kraftvollen, aber breiten, plumpen und geistig
trägen Albanesen sofort zu unterscheiden. Mit der weiblichen Schönheit ist es wohl
etwas bergab gegangen, jenes Ebenmaß der Züge und Formen, das wir in den
alten Skulpturen bewundern, ist selten geworden, nnr hie und da auf den
Inseln begegnet man dem klassischen Profil mit der geraden Nase und der
plastischen Heitere»brust, die sich mit der hohlen Hand bedecken läßt. Ich hatte
für meine jüngste Tochter eine Amme aus Paros, die nicht ohne Grund den
Namen Aphrodite führte; leider fehlt in der Regel der Gürtel der Anmut, ohne
welchen alle Schönheit langweilt und übersättigt. Die mythologische Nomen¬
klatur ist wieder ganz an der Tagesordnung, man begegnet den Namen der
Grazien und Musen bei Köchinnen, Stuben- und Kindermädchen, Wie oft hört
man einen Kellner und Packträger mit Themistokles und Alkibiades rufen! Ich
hatte bei meinem ersten Aufenthalte einen Diener in Dienst genommen, der
Aristides hieß, aber ich gestehe, daß von allen Tugenden des große»


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/140>, abgerufen am 05.02.2025.