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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Skizzen aus der Levante und Griechenland.

Fleiß und Unternehmungsgeist fehlt es dem Levantiner an weiser Ökonomie,
Einteilung und Anlegung seines Vermögens. Es wird alles der Ostentation
und dem äußern Scheine aufgeopfert. Um der Eitelkeit zu genügen und
Effekt zu machen, giebt man mehr aus, als man einnimmt. Luxus der Toiletten
und prunkhafte Haushaltung sind im ganzen Orient der Fluch, woran schon manche
Familienexistenz zu Grunde gegangen ist, man überbietet sich in einem lächerlichen
Wetteifer und verschwendet in der Regel ohne Geschmack und Intelligenz. Von
Eigentümlichkeiten ist wenig mehr zu sehen, Mode und Manieren sind Import¬
artikel von der Seine, die Nachäffung von Paris noch unendlich karikirter
als bei uns.

Alle diese Übelstände und Gebrechen würden indes nicht ausreichen, um
den Levantiner von der bevorzugten Stellung, die er seit Jahrhunderten einge¬
nommen hat, zu vertreiben, wäre nicht inzwischen eine andre lebens- und thatkräf¬
tige Nationalität aufgetreten oder vielmehr wiedergeboren worden, die init reißender
Schnelligkeit und Gewalt sich geltend macht. Es sind dks die Griechen, welche jetzt
unbedingt im materiellen sowie im sozialen Leben das Übergewicht erlangt haben
und, wie immer die endliche politische Lösung der orientalischen Frage sich gestalten
möge, dabei den einflußreichsten Faktor stellen werden, zumal in Kleinasien. Der
Fortschritt, den ich in den verhältnismäßig kurzen Zwischenrüumen meiner
Levantiner Reisen bemerkte, ist in der That ein ebenso überraschender als außer¬
ordentlicher, und ich Halle es daher der Mühe wert, über die Zustände und
Aussichten des Hellenentums, sowohl wie es sich in eigner Selbständigkeit als
auch in noch bestehender Abhängigkeit von der türkischen Herrschaft darstellt,
eine ausführliche, aus langer und aufmerksamer Beobachtung hervorgegangn"
Skizze zu entwerfen.

Der Herd der nationalen Bewegung in der griechischen Welt ist gegenwärtig
Athen und das Parlament selbst, und ihre Bestrebungen sind wesentlich auch auf
Asien und die Inselgruppen des Archipels gerichtet, da in der europäischen
Türkei durch die neuen Staatenbildungen von Rumänien, Serbien und Bulgarien
Reiche entstanden sind, stark genug, um ihre eignen Wege zu gehen, und man
dort, sei es unter österreichischer, sei es unter russischer Ägide, mit dem Slawen¬
tum" zu rechnen hat. Dazu kommt, daß die Griechen in Asien und ans den
Inseln in jeder Beziehung reineren, ungemischteren Blutes sind als im Peloponnes
und Attika, wo viel albanesisches Element eingedrungen ist; freilich Herr Fall-
merayer würde sagen, zwischen einem Viereck und einem Kreise giebt es keine
Gleichung. Heißt es doch wörtlich in den Fragmenten: "Das Geschlecht der
.Hellenen ist ausgerottet. Eine zwiefache Erdschicht deckt die Gräber dieses alten
Volkes. Die unsterblichen Werke seines Geistes und einige Ruinen auf heimat¬
lichen Boden sind noch die einzigen Zeugen, daß es ein Volk der Hellenen ge¬
geben. Nicht ein Tropfen echten, ungemischten Hellenentums fließt in den Adern
der christlichen Bevölkerung des heutigen Griechenlandes. Ein Sturm hat über


Skizzen aus der Levante und Griechenland.

Fleiß und Unternehmungsgeist fehlt es dem Levantiner an weiser Ökonomie,
Einteilung und Anlegung seines Vermögens. Es wird alles der Ostentation
und dem äußern Scheine aufgeopfert. Um der Eitelkeit zu genügen und
Effekt zu machen, giebt man mehr aus, als man einnimmt. Luxus der Toiletten
und prunkhafte Haushaltung sind im ganzen Orient der Fluch, woran schon manche
Familienexistenz zu Grunde gegangen ist, man überbietet sich in einem lächerlichen
Wetteifer und verschwendet in der Regel ohne Geschmack und Intelligenz. Von
Eigentümlichkeiten ist wenig mehr zu sehen, Mode und Manieren sind Import¬
artikel von der Seine, die Nachäffung von Paris noch unendlich karikirter
als bei uns.

Alle diese Übelstände und Gebrechen würden indes nicht ausreichen, um
den Levantiner von der bevorzugten Stellung, die er seit Jahrhunderten einge¬
nommen hat, zu vertreiben, wäre nicht inzwischen eine andre lebens- und thatkräf¬
tige Nationalität aufgetreten oder vielmehr wiedergeboren worden, die init reißender
Schnelligkeit und Gewalt sich geltend macht. Es sind dks die Griechen, welche jetzt
unbedingt im materiellen sowie im sozialen Leben das Übergewicht erlangt haben
und, wie immer die endliche politische Lösung der orientalischen Frage sich gestalten
möge, dabei den einflußreichsten Faktor stellen werden, zumal in Kleinasien. Der
Fortschritt, den ich in den verhältnismäßig kurzen Zwischenrüumen meiner
Levantiner Reisen bemerkte, ist in der That ein ebenso überraschender als außer¬
ordentlicher, und ich Halle es daher der Mühe wert, über die Zustände und
Aussichten des Hellenentums, sowohl wie es sich in eigner Selbständigkeit als
auch in noch bestehender Abhängigkeit von der türkischen Herrschaft darstellt,
eine ausführliche, aus langer und aufmerksamer Beobachtung hervorgegangn«
Skizze zu entwerfen.

Der Herd der nationalen Bewegung in der griechischen Welt ist gegenwärtig
Athen und das Parlament selbst, und ihre Bestrebungen sind wesentlich auch auf
Asien und die Inselgruppen des Archipels gerichtet, da in der europäischen
Türkei durch die neuen Staatenbildungen von Rumänien, Serbien und Bulgarien
Reiche entstanden sind, stark genug, um ihre eignen Wege zu gehen, und man
dort, sei es unter österreichischer, sei es unter russischer Ägide, mit dem Slawen¬
tum« zu rechnen hat. Dazu kommt, daß die Griechen in Asien und ans den
Inseln in jeder Beziehung reineren, ungemischteren Blutes sind als im Peloponnes
und Attika, wo viel albanesisches Element eingedrungen ist; freilich Herr Fall-
merayer würde sagen, zwischen einem Viereck und einem Kreise giebt es keine
Gleichung. Heißt es doch wörtlich in den Fragmenten: „Das Geschlecht der
.Hellenen ist ausgerottet. Eine zwiefache Erdschicht deckt die Gräber dieses alten
Volkes. Die unsterblichen Werke seines Geistes und einige Ruinen auf heimat¬
lichen Boden sind noch die einzigen Zeugen, daß es ein Volk der Hellenen ge¬
geben. Nicht ein Tropfen echten, ungemischten Hellenentums fließt in den Adern
der christlichen Bevölkerung des heutigen Griechenlandes. Ein Sturm hat über


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[0139] Skizzen aus der Levante und Griechenland. Fleiß und Unternehmungsgeist fehlt es dem Levantiner an weiser Ökonomie, Einteilung und Anlegung seines Vermögens. Es wird alles der Ostentation und dem äußern Scheine aufgeopfert. Um der Eitelkeit zu genügen und Effekt zu machen, giebt man mehr aus, als man einnimmt. Luxus der Toiletten und prunkhafte Haushaltung sind im ganzen Orient der Fluch, woran schon manche Familienexistenz zu Grunde gegangen ist, man überbietet sich in einem lächerlichen Wetteifer und verschwendet in der Regel ohne Geschmack und Intelligenz. Von Eigentümlichkeiten ist wenig mehr zu sehen, Mode und Manieren sind Import¬ artikel von der Seine, die Nachäffung von Paris noch unendlich karikirter als bei uns. Alle diese Übelstände und Gebrechen würden indes nicht ausreichen, um den Levantiner von der bevorzugten Stellung, die er seit Jahrhunderten einge¬ nommen hat, zu vertreiben, wäre nicht inzwischen eine andre lebens- und thatkräf¬ tige Nationalität aufgetreten oder vielmehr wiedergeboren worden, die init reißender Schnelligkeit und Gewalt sich geltend macht. Es sind dks die Griechen, welche jetzt unbedingt im materiellen sowie im sozialen Leben das Übergewicht erlangt haben und, wie immer die endliche politische Lösung der orientalischen Frage sich gestalten möge, dabei den einflußreichsten Faktor stellen werden, zumal in Kleinasien. Der Fortschritt, den ich in den verhältnismäßig kurzen Zwischenrüumen meiner Levantiner Reisen bemerkte, ist in der That ein ebenso überraschender als außer¬ ordentlicher, und ich Halle es daher der Mühe wert, über die Zustände und Aussichten des Hellenentums, sowohl wie es sich in eigner Selbständigkeit als auch in noch bestehender Abhängigkeit von der türkischen Herrschaft darstellt, eine ausführliche, aus langer und aufmerksamer Beobachtung hervorgegangn« Skizze zu entwerfen. Der Herd der nationalen Bewegung in der griechischen Welt ist gegenwärtig Athen und das Parlament selbst, und ihre Bestrebungen sind wesentlich auch auf Asien und die Inselgruppen des Archipels gerichtet, da in der europäischen Türkei durch die neuen Staatenbildungen von Rumänien, Serbien und Bulgarien Reiche entstanden sind, stark genug, um ihre eignen Wege zu gehen, und man dort, sei es unter österreichischer, sei es unter russischer Ägide, mit dem Slawen¬ tum« zu rechnen hat. Dazu kommt, daß die Griechen in Asien und ans den Inseln in jeder Beziehung reineren, ungemischteren Blutes sind als im Peloponnes und Attika, wo viel albanesisches Element eingedrungen ist; freilich Herr Fall- merayer würde sagen, zwischen einem Viereck und einem Kreise giebt es keine Gleichung. Heißt es doch wörtlich in den Fragmenten: „Das Geschlecht der .Hellenen ist ausgerottet. Eine zwiefache Erdschicht deckt die Gräber dieses alten Volkes. Die unsterblichen Werke seines Geistes und einige Ruinen auf heimat¬ lichen Boden sind noch die einzigen Zeugen, daß es ein Volk der Hellenen ge¬ geben. Nicht ein Tropfen echten, ungemischten Hellenentums fließt in den Adern der christlichen Bevölkerung des heutigen Griechenlandes. Ein Sturm hat über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/139>, abgerufen am 05.02.2025.