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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Skizzen aus der Levante und Griechenland.

Heil zu erwarten. Du- reichen Familien schicken ihre Kinder fast ohne Aus¬
nahme nach Lyon und Marseille in Privatinstitute und Pensionate, die unter
jesuitischen Einfluß stehen. Selbst die neuesten, folgenreichen Ereignisse haben
in dieser einseitige" und kurzsichtigen Anschauung keine Wendung hervorgebracht,
und das alte Borurteil, daß Paris der Mittelpunkt der Welt sei, wo alles
Große, Schöne und Vortreffliche sich vereinigt finde, hat sich nirgends mehr
erhalten als in der Levante, Der Arzt und der Advokat, soweit sich Levan-
tiner diesem Berufe widmen, glaubt einzig und allein in Paris seine Studien
vollenden zu können, erfüllt vou der dortigen Eitelkeit und Selbstüberhebung
ignorirt er absichtlich die Fortschritte andrer Länder, und zumal deutsche Wissen¬
schaft, welche doch jetzt einen guten Teil der Erde beherrscht, hat hier noch keine
Wohnstätte und Aufnahme finden können. Die Siege der deutschen Waffen
und der Name Bismarck imponiren freilich diesen unselbständigen Naturen,
aber man hat ihnen in der Schule gesagt, Preußen sei ein ketzerischer Staat
und Deutschlands Einheit unter der Hohenzollern Szepter bedrohe den katho¬
lischen Glauben, und dies genügt, um sie uns zu entfremden. Die Österreich
zugedachte Mission, deutsche Kultur nach Osten zu tragen, hat keine Früchte
getragen und liegt gegenwärtig auch kaum in seiner Politik. Ginge die deutsche
Grenze bis zur Adria, wäre Triest eine See- und Handelsstadt des deutscheu
Reiches, so konnte man sich Hoffnungen überlassen. Wie jetzt die Sachen liegen
und wenn Italien fortfährt, seine allernächsten, unmittelbarsten Interessen durch
abenteuerliche Koloiiisntionsprojckte auf das Spiel zu setzen, mag es Wohl
dahin kommen, daß das Mittelmeer doch noch ein großer französischer See wird.

Wenn die Levantiner früher an der Spitze der Geschäfte standen und die
wichtigsten Zweige des Handels in den Händen hatten, so ist es jetzt anders ge¬
worden. Da sie in ihrem ganzen Bildungsgange zurückblieben und immer ein¬
seitiger wurden, vermochten sie auch nicht in dem Kampfe mit der Konkurrenz,
die sich allerwärts kundgiebt, zu siegen. Sie erlitten ansehnliche Verluste,
und mit ihren Vermögensverhältnissen sieht es in der Mehrzahl schlecht aus,
Fallimente sind an der Tagesordnung, gar häufig als beliebtes Mittel, seiner
Schulden sich zu entledigen und von neuem schwindelhafte Geschäfte anzufangen.
Givße Reichtümer nach unsern Begriffen in regelmäßigem Handel zu erwerben,
ist der Orient überhaupt nicht der Ort, es giebt wohl viele Millionäre, aber nur
in Piastern (.1 Piaster gleich 20 Pfennigen). Dagegen kann man kaum anderswo
leichter mit weniger Fonds sich etabliren und auf Kredit arbeiten. Wo zehn bis
zwölf Prozent der gewöhnliche Zinsfuß sind, muß man dabei freilich einige
Gefahr übernehmen. Der Schmuggel ist eine Hauptquelle des Gewinnes der
Levantiner Kaufleute, die Aufregung über die Strenge, womit die neuen Zoll¬
pächter das Gesetz zur Geltung bringen wollen, eine allgemeine, und man glaubt
kaum, daß sie gegen das Interesse der von der Bestechung besser als von ihrem
Gehalt lebenden Beamten durchdringen werden. Noch mehr als an Einsicht,


Skizzen aus der Levante und Griechenland.

Heil zu erwarten. Du- reichen Familien schicken ihre Kinder fast ohne Aus¬
nahme nach Lyon und Marseille in Privatinstitute und Pensionate, die unter
jesuitischen Einfluß stehen. Selbst die neuesten, folgenreichen Ereignisse haben
in dieser einseitige» und kurzsichtigen Anschauung keine Wendung hervorgebracht,
und das alte Borurteil, daß Paris der Mittelpunkt der Welt sei, wo alles
Große, Schöne und Vortreffliche sich vereinigt finde, hat sich nirgends mehr
erhalten als in der Levante, Der Arzt und der Advokat, soweit sich Levan-
tiner diesem Berufe widmen, glaubt einzig und allein in Paris seine Studien
vollenden zu können, erfüllt vou der dortigen Eitelkeit und Selbstüberhebung
ignorirt er absichtlich die Fortschritte andrer Länder, und zumal deutsche Wissen¬
schaft, welche doch jetzt einen guten Teil der Erde beherrscht, hat hier noch keine
Wohnstätte und Aufnahme finden können. Die Siege der deutschen Waffen
und der Name Bismarck imponiren freilich diesen unselbständigen Naturen,
aber man hat ihnen in der Schule gesagt, Preußen sei ein ketzerischer Staat
und Deutschlands Einheit unter der Hohenzollern Szepter bedrohe den katho¬
lischen Glauben, und dies genügt, um sie uns zu entfremden. Die Österreich
zugedachte Mission, deutsche Kultur nach Osten zu tragen, hat keine Früchte
getragen und liegt gegenwärtig auch kaum in seiner Politik. Ginge die deutsche
Grenze bis zur Adria, wäre Triest eine See- und Handelsstadt des deutscheu
Reiches, so konnte man sich Hoffnungen überlassen. Wie jetzt die Sachen liegen
und wenn Italien fortfährt, seine allernächsten, unmittelbarsten Interessen durch
abenteuerliche Koloiiisntionsprojckte auf das Spiel zu setzen, mag es Wohl
dahin kommen, daß das Mittelmeer doch noch ein großer französischer See wird.

Wenn die Levantiner früher an der Spitze der Geschäfte standen und die
wichtigsten Zweige des Handels in den Händen hatten, so ist es jetzt anders ge¬
worden. Da sie in ihrem ganzen Bildungsgange zurückblieben und immer ein¬
seitiger wurden, vermochten sie auch nicht in dem Kampfe mit der Konkurrenz,
die sich allerwärts kundgiebt, zu siegen. Sie erlitten ansehnliche Verluste,
und mit ihren Vermögensverhältnissen sieht es in der Mehrzahl schlecht aus,
Fallimente sind an der Tagesordnung, gar häufig als beliebtes Mittel, seiner
Schulden sich zu entledigen und von neuem schwindelhafte Geschäfte anzufangen.
Givße Reichtümer nach unsern Begriffen in regelmäßigem Handel zu erwerben,
ist der Orient überhaupt nicht der Ort, es giebt wohl viele Millionäre, aber nur
in Piastern (.1 Piaster gleich 20 Pfennigen). Dagegen kann man kaum anderswo
leichter mit weniger Fonds sich etabliren und auf Kredit arbeiten. Wo zehn bis
zwölf Prozent der gewöhnliche Zinsfuß sind, muß man dabei freilich einige
Gefahr übernehmen. Der Schmuggel ist eine Hauptquelle des Gewinnes der
Levantiner Kaufleute, die Aufregung über die Strenge, womit die neuen Zoll¬
pächter das Gesetz zur Geltung bringen wollen, eine allgemeine, und man glaubt
kaum, daß sie gegen das Interesse der von der Bestechung besser als von ihrem
Gehalt lebenden Beamten durchdringen werden. Noch mehr als an Einsicht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/138>, abgerufen am 05.02.2025.