Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Das Jubiläum des Aaisers, Der Kaiser ist sich hinsichtlich seiner politischen Anschauungen und seiner Das Jubiläum des Aaisers, Der Kaiser ist sich hinsichtlich seiner politischen Anschauungen und seiner <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0012" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197436"/> <fw type="header" place="top"> Das Jubiläum des Aaisers,</fw><lb/> <p xml:id="ID_8" next="#ID_9"> Der Kaiser ist sich hinsichtlich seiner politischen Anschauungen und seiner<lb/> Stellung zu den Parteien im wesentlichen immer gleich geblieben, obwohl die<lb/> Meinung über ihn wechselte. In den Märztagen von 1848 nahm man an,<lb/> daß er die Zugeständnisse seines Bruders an die Demokratie mißbillige und zu<lb/> einer Reaktion hinneige. Als infolge der Maßlosigkeiten des Liberalismus wirk¬<lb/> lich eine Reaktion hereinbrach und ihrerseits vielfach das billige Maß außer<lb/> Acht ließ und das Recht bedrohte, welches die neuen Institutionen gebracht<lb/> hatten, verlautete, daß der Prinz von Preußen die Ausschreitungen dieser Politik<lb/> ungern sehe, und infolge dessen erfuhr die öffentliche Meinung über ihn einen<lb/> Umschwung: er, der bisher zu den Freunden des mit dem Erlaß der Verfassung<lb/> begrabnen, zu den Fürsprechern des Absolutismus gezählt worden war, galt<lb/> fortan als gemäßigt liberal, und als nach 1854 die Nebenbuhlerschaft zwischen<lb/> Preußen und Österreich schroffere Gestalt annahm, ersteres sich mehr auf seine<lb/> nationale Aufgabe besann, und auch in der deutschen Bevölkerung sich lebhafteres<lb/> und verständigeres Streben in dieser Richtung zu erkennen gab, erschien Prinz<lb/> Wilhelm weiten Kreisen als stilles Haupt der Partei, welche auf eine Wieder¬<lb/> geburt Deutschlands unter der Leitung der Hohenzollern hinarbeitete. Die<lb/> Hoffnungen, welche sich an seine Person knüpften, als er im Verlaufe der Krank¬<lb/> heit seines Bruders zu dessen Stellvertreter in der Regierung berufen wurde,<lb/> erfüllten sich, zunächst nach der Seite der innern Politik Preußens. Der Prinz-<lb/> Regent entließ das bisherige Ministerium und ersetzte es durch Männer von<lb/> gemäßigt liberalen Grundsätzen. Zu gleicher Zeit sprach er in dem Reskript<lb/> vom 8. November 1858 seine politischen Maximen und Ziele aus. Dieselben<lb/> faßten sich in die Worte zusammen: Kein Bruch mit der Vergangenheit, aber<lb/> Reform, wo sich noch Willkür und Unbilligkeit zeigen. Es soll gewissenhaft<lb/> gehalten werden, was versprochen ist, aber auch fest abgewehrt, was nicht ver¬<lb/> sprochen ist. Die Phrase, daß die Regierung stetig liberale Ideen entwickeln<lb/> müsse, weil sie sich sonst selbst Bahn brechen würden, ist ein Irrtum. Wenn<lb/> in allen ihren Handlungen Wahrhaftigkeit, Gesetzlichkeit und Konsequenz sprechen,<lb/> so ist sie stark, weil sie dann ein gutes Gewissen hat. Nachdem sich dann das<lb/> Programm sehr entschieden gegen das orthodoxe Pharisäertum gewendet, welches<lb/> in die Kirche eingedrungen war, deutete es die Armeereform an, die dem Regenten<lb/> am Herzen lag, und damit zugleich die Ziele, die mit ihr allein erreicht werden<lb/> konnten. Indes standen die letztern wohl noch nicht völlig klar und fest vor<lb/> den Augen des Verfassers dieses Manifestes, wie ja auch Bismarcks Ansicht<lb/> von der Verwirklichung der deutschen Einigkeit durch Preußen in ihrer Ent¬<lb/> wicklung noch eine Stufe einnahm, welche nicht die letzte war. Zwar sagte das<lb/> Programm des Regenten, es würde ein verhängnisvoller Irrtum sein, wenn<lb/> man eine wohlfeile militärische Einrichtung für genügend halten wollte, da sie<lb/> in der Stunde der Gefahr die in sie gesetzten Erwartungen täuschen würde;<lb/> Preußens Heer müsse stark sein und Achtung gebieten, um, wenn es nötig, ein</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0012]
Das Jubiläum des Aaisers,
Der Kaiser ist sich hinsichtlich seiner politischen Anschauungen und seiner
Stellung zu den Parteien im wesentlichen immer gleich geblieben, obwohl die
Meinung über ihn wechselte. In den Märztagen von 1848 nahm man an,
daß er die Zugeständnisse seines Bruders an die Demokratie mißbillige und zu
einer Reaktion hinneige. Als infolge der Maßlosigkeiten des Liberalismus wirk¬
lich eine Reaktion hereinbrach und ihrerseits vielfach das billige Maß außer
Acht ließ und das Recht bedrohte, welches die neuen Institutionen gebracht
hatten, verlautete, daß der Prinz von Preußen die Ausschreitungen dieser Politik
ungern sehe, und infolge dessen erfuhr die öffentliche Meinung über ihn einen
Umschwung: er, der bisher zu den Freunden des mit dem Erlaß der Verfassung
begrabnen, zu den Fürsprechern des Absolutismus gezählt worden war, galt
fortan als gemäßigt liberal, und als nach 1854 die Nebenbuhlerschaft zwischen
Preußen und Österreich schroffere Gestalt annahm, ersteres sich mehr auf seine
nationale Aufgabe besann, und auch in der deutschen Bevölkerung sich lebhafteres
und verständigeres Streben in dieser Richtung zu erkennen gab, erschien Prinz
Wilhelm weiten Kreisen als stilles Haupt der Partei, welche auf eine Wieder¬
geburt Deutschlands unter der Leitung der Hohenzollern hinarbeitete. Die
Hoffnungen, welche sich an seine Person knüpften, als er im Verlaufe der Krank¬
heit seines Bruders zu dessen Stellvertreter in der Regierung berufen wurde,
erfüllten sich, zunächst nach der Seite der innern Politik Preußens. Der Prinz-
Regent entließ das bisherige Ministerium und ersetzte es durch Männer von
gemäßigt liberalen Grundsätzen. Zu gleicher Zeit sprach er in dem Reskript
vom 8. November 1858 seine politischen Maximen und Ziele aus. Dieselben
faßten sich in die Worte zusammen: Kein Bruch mit der Vergangenheit, aber
Reform, wo sich noch Willkür und Unbilligkeit zeigen. Es soll gewissenhaft
gehalten werden, was versprochen ist, aber auch fest abgewehrt, was nicht ver¬
sprochen ist. Die Phrase, daß die Regierung stetig liberale Ideen entwickeln
müsse, weil sie sich sonst selbst Bahn brechen würden, ist ein Irrtum. Wenn
in allen ihren Handlungen Wahrhaftigkeit, Gesetzlichkeit und Konsequenz sprechen,
so ist sie stark, weil sie dann ein gutes Gewissen hat. Nachdem sich dann das
Programm sehr entschieden gegen das orthodoxe Pharisäertum gewendet, welches
in die Kirche eingedrungen war, deutete es die Armeereform an, die dem Regenten
am Herzen lag, und damit zugleich die Ziele, die mit ihr allein erreicht werden
konnten. Indes standen die letztern wohl noch nicht völlig klar und fest vor
den Augen des Verfassers dieses Manifestes, wie ja auch Bismarcks Ansicht
von der Verwirklichung der deutschen Einigkeit durch Preußen in ihrer Ent¬
wicklung noch eine Stufe einnahm, welche nicht die letzte war. Zwar sagte das
Programm des Regenten, es würde ein verhängnisvoller Irrtum sein, wenn
man eine wohlfeile militärische Einrichtung für genügend halten wollte, da sie
in der Stunde der Gefahr die in sie gesetzten Erwartungen täuschen würde;
Preußens Heer müsse stark sein und Achtung gebieten, um, wenn es nötig, ein
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