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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Prüfung als durch die Umstände ausgeschlossen. Mit König Wilhelm bestieg
ein Mann den Thron, welcher gegenüber dieser kritischen Situation und den
aus ihr entsprungenen Bedürfnissen der rechte Mann war. Mit seinem klaren
Blick und seinem festen Willen betrat und verfolgte er den Mittelweg zwischen
den Extremen, den Weg der Möglichkeit zwischen den Unmöglichkeiten des Parla¬
mentarismus und des Absolutismus. Seine Jugenderinnerungen hätten ihm
den letztern empfehlen können, seine militärische Laufbahn wies ihn ebenfalls
dahin, aber sein streng gewissenhafter Sinn, sein königliches Pflichtgefühl und sein
Verstand ließen ihn, Neigungen dieser Art zurückdrängend, die Bahn des Ver-
fcissuugsrechtes einschlagen und auch da nicht verlassen, wo es möglich schien.
Gott gab ihm "einen löblichen Kanzler," der ihn durch sein Genie ergänzte,
ihm in trüber Zeit "Seelenarzt" war und ihm dunkle Wege erleuchtete, und
er erkannte dessen Wert an und hielt fest und getreu zu ihm, und zwar nicht
bloß, wie man vermuten könnte, weil er unentbehrlich war. Wäre es aber
wirklich nur diese Rücksicht gewesen, so würde es immer noch ein Zeugnis für
den klaren und weiten Blick des Monarchen und für seine Befähigung sein,
seine Neigungen dem Staatswohle unterzuordnen, das in einer hervorragenden
Intelligenz vertreten und gefördert wird -- eine Befähigung, die umsomehr zu
verehren ist, als sie bei Fürsten nicht oft gefunden wird, als ferner der Kaiser
ein starkes und sehr berechtigtes Gefühl von seiner Würde hat, und als es zu
keiner Zeit an Versuchen gefehlt hat, den Kanzler bei ihm in übles Licht zu
stellen und namentlich bei dem Monarchen die Empfindung hervorzurufen, daß
der Diener eigentlich der Herr sei und es sein wolle.

Zu diesen Eigenschaften kommt eine andre, die höchste in Zeiten der Ent¬
scheidung, wie sie Preußen und Deutschland in den Jahren der Regierung
König Wilhelms erlebten. Der Kaiser ist in erster Reihe Soldat, er ist der
Typus des preußischen Offiziers mit allen rühmlichen Zügen dieses Standes,
allen militärischen Tugenden und allen nützlichen Instinkten desselben. Er ver¬
körpert die Tradition der Armee, und sein Geist ist es, der sie beseelt, er hat
begriffen, was ihr vor 1860 fehlte, und ihm vor allen gebührt das Verdienst,
sie der Aufgabe gewachsen gemacht zu haben, die sie sechs Jahre zu lösen hatte.
Er hat die Schlacht bei Köuiggrütz gewonnen, nicht als Strateg, wohl aber
als der Schöpfer der gewaltigen Waffe, mit welcher der Sieg erfochten wurde.
Das preußische Militärsystem wurde seitdem mit seinen Vorzügen Gemeingut
aller deutschen Lande und damit das Werkzeug zu festerem Zusammenschluß
derselben und zur Gewinnung sicherer Grenzen nach Westen hin. Der rechte
Politiker führt Krieg nur um des Friedens willen, um sich dauernden Frieden
zu verschaffen. Als das erreicht war, verwandelte sich der Kriegsmann mit
der Kaiserkrone in den friedfertigsten Monarchen, den die Welt je gesehen hat,
und die Nachbarn lernten allmählich an diese seine Denkart glauben und ihr
vertrauen.


Prüfung als durch die Umstände ausgeschlossen. Mit König Wilhelm bestieg
ein Mann den Thron, welcher gegenüber dieser kritischen Situation und den
aus ihr entsprungenen Bedürfnissen der rechte Mann war. Mit seinem klaren
Blick und seinem festen Willen betrat und verfolgte er den Mittelweg zwischen
den Extremen, den Weg der Möglichkeit zwischen den Unmöglichkeiten des Parla¬
mentarismus und des Absolutismus. Seine Jugenderinnerungen hätten ihm
den letztern empfehlen können, seine militärische Laufbahn wies ihn ebenfalls
dahin, aber sein streng gewissenhafter Sinn, sein königliches Pflichtgefühl und sein
Verstand ließen ihn, Neigungen dieser Art zurückdrängend, die Bahn des Ver-
fcissuugsrechtes einschlagen und auch da nicht verlassen, wo es möglich schien.
Gott gab ihm „einen löblichen Kanzler," der ihn durch sein Genie ergänzte,
ihm in trüber Zeit „Seelenarzt" war und ihm dunkle Wege erleuchtete, und
er erkannte dessen Wert an und hielt fest und getreu zu ihm, und zwar nicht
bloß, wie man vermuten könnte, weil er unentbehrlich war. Wäre es aber
wirklich nur diese Rücksicht gewesen, so würde es immer noch ein Zeugnis für
den klaren und weiten Blick des Monarchen und für seine Befähigung sein,
seine Neigungen dem Staatswohle unterzuordnen, das in einer hervorragenden
Intelligenz vertreten und gefördert wird — eine Befähigung, die umsomehr zu
verehren ist, als sie bei Fürsten nicht oft gefunden wird, als ferner der Kaiser
ein starkes und sehr berechtigtes Gefühl von seiner Würde hat, und als es zu
keiner Zeit an Versuchen gefehlt hat, den Kanzler bei ihm in übles Licht zu
stellen und namentlich bei dem Monarchen die Empfindung hervorzurufen, daß
der Diener eigentlich der Herr sei und es sein wolle.

Zu diesen Eigenschaften kommt eine andre, die höchste in Zeiten der Ent¬
scheidung, wie sie Preußen und Deutschland in den Jahren der Regierung
König Wilhelms erlebten. Der Kaiser ist in erster Reihe Soldat, er ist der
Typus des preußischen Offiziers mit allen rühmlichen Zügen dieses Standes,
allen militärischen Tugenden und allen nützlichen Instinkten desselben. Er ver¬
körpert die Tradition der Armee, und sein Geist ist es, der sie beseelt, er hat
begriffen, was ihr vor 1860 fehlte, und ihm vor allen gebührt das Verdienst,
sie der Aufgabe gewachsen gemacht zu haben, die sie sechs Jahre zu lösen hatte.
Er hat die Schlacht bei Köuiggrütz gewonnen, nicht als Strateg, wohl aber
als der Schöpfer der gewaltigen Waffe, mit welcher der Sieg erfochten wurde.
Das preußische Militärsystem wurde seitdem mit seinen Vorzügen Gemeingut
aller deutschen Lande und damit das Werkzeug zu festerem Zusammenschluß
derselben und zur Gewinnung sicherer Grenzen nach Westen hin. Der rechte
Politiker führt Krieg nur um des Friedens willen, um sich dauernden Frieden
zu verschaffen. Als das erreicht war, verwandelte sich der Kriegsmann mit
der Kaiserkrone in den friedfertigsten Monarchen, den die Welt je gesehen hat,
und die Nachbarn lernten allmählich an diese seine Denkart glauben und ihr
vertrauen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/11>, abgerufen am 05.02.2025.