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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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wählen zu können, von welchen zwar keine bequem, jede aber, wie man glaubt,
für Krieger der Wüste offen ist, Sie können die Ufer des Nils verlassen und
auf einer der Wüstenstraßen. die vorgeschobnen Truppen Englands und Ägyptens
umgehend, auf einem näher nach Kairo hin gelegnen Punkte der langen und
vielgewundnen Kommnuikativnsstraße, die der Strom für jene bildet, zustreben.
General Stephenson ist vor eine sehr schwierige Aufgabe gestellt, seit er sich
mit mäßigen Streitkräften so weit vorgewagt hat. Er sieht sich genötigt,
einen schmalen und langgestreckten Weg nach der Front festzuhalten und zu
verteidigen, der Kairo zum Ausgangspunkte hat und den zahlreichen Knien und
Krümmungen des Nils bis nach der Umgegend von Kvscheh folgt, das selbst
nur ein vorgeschobener Posten zur Deckung der Endstation der Eisenbahn zu
Akascheh ist.' An diese Linie ist der Nachfolger Wolselehs dnrch die An¬
forderungen der Lage gebunden. Um diese Verbindungslinie sicher zu stellen,
muß er, ohne die Besatzung des eigentlichen Ägyptens in gefährlichem Grade zu
schwächen, zunächst Assuan am ersten der Nilkatarakte, ein wichtiges Glied in
der Kette, mit einer beträchtlichen Streitmacht besetzt halten, sodann Korosko,
wo die Wüstenstraße von Abu Hamed auf den Nil trifft, mit genügenden
Kräften zu verteidigen imstande sein, ferner jedes Dorf, das einen, sich durch
das Gebiet zwischen dem Strome und dem Noten Meere nach Norden be¬
wegenden Feinde zugänglich ist, sorgfältig beobachten und endlich Wady Halfa
mit einer hinreichenden Garnison versehen halten. Durch diese Posten müssen
alle Zufuhren an Munition und andern Bedürfnissen für die jetzt in Kvscheh
stehende Armee passiren, desgleichen alle Nachschübe von Verstärkungen, welche
dieselbe erfordern könnte. Die Route des Nils, die jetzt, im Winter und bis
Anfang April, durchans praktikabel ist, läßt sich an mehreren Stellen von einem
aus dem Sudan heranziehenden Feinde in der Flanke angreifen.

Allerdings darf man Zweifel hegen, ob die arabischen Feldherren genug Unter¬
nehmungsgeist und militärische Fähigkeit besitzen, um die Horden von Halb¬
wilden, die sie führen, so zu organisiren und zu leiten, daß sie mit ihnen durch
die schwierigen Gebiete, die zu durchschreiten sind, ehe sie vor einem verwundbaren
Punkte der großen Wasserstraße anlangen können, ihr Ziel in genügender Stärke
erreichen. Aber unmöglich wäre ein solches Wagnis keineswegs. Wenn die
großen Stämme auf beiden Seiten des Stromes sich der sudanesischen Bewegung
anschlössen und sich miteinander sowie mit den Beduinen Ägyptens vereinigten
-- was zwar in unserm Jahrhunderte noch nicht geschehen, aber bei der Kraft
der religiösen Begeisterung, welche das Derwischtum entwickelt, immerhin denkbar
ist --, so könnten sie einen kühnen Handstreich wagen und den Engländern arge
Not und Verlegenheit bereiten. Bisher hat noch nichts verlautet, wonach an¬
zunehmen wäre, daß diese großen Stammverbindnngen bei dem neuen Vorgehen
der Mahdisten beteiligt sind. Man war in gewissen militärischen Kreisen der
Meinung, daß der Angriff der Sudanesen ans Koscheh nnr ein Manöver sei,


wählen zu können, von welchen zwar keine bequem, jede aber, wie man glaubt,
für Krieger der Wüste offen ist, Sie können die Ufer des Nils verlassen und
auf einer der Wüstenstraßen. die vorgeschobnen Truppen Englands und Ägyptens
umgehend, auf einem näher nach Kairo hin gelegnen Punkte der langen und
vielgewundnen Kommnuikativnsstraße, die der Strom für jene bildet, zustreben.
General Stephenson ist vor eine sehr schwierige Aufgabe gestellt, seit er sich
mit mäßigen Streitkräften so weit vorgewagt hat. Er sieht sich genötigt,
einen schmalen und langgestreckten Weg nach der Front festzuhalten und zu
verteidigen, der Kairo zum Ausgangspunkte hat und den zahlreichen Knien und
Krümmungen des Nils bis nach der Umgegend von Kvscheh folgt, das selbst
nur ein vorgeschobener Posten zur Deckung der Endstation der Eisenbahn zu
Akascheh ist.' An diese Linie ist der Nachfolger Wolselehs dnrch die An¬
forderungen der Lage gebunden. Um diese Verbindungslinie sicher zu stellen,
muß er, ohne die Besatzung des eigentlichen Ägyptens in gefährlichem Grade zu
schwächen, zunächst Assuan am ersten der Nilkatarakte, ein wichtiges Glied in
der Kette, mit einer beträchtlichen Streitmacht besetzt halten, sodann Korosko,
wo die Wüstenstraße von Abu Hamed auf den Nil trifft, mit genügenden
Kräften zu verteidigen imstande sein, ferner jedes Dorf, das einen, sich durch
das Gebiet zwischen dem Strome und dem Noten Meere nach Norden be¬
wegenden Feinde zugänglich ist, sorgfältig beobachten und endlich Wady Halfa
mit einer hinreichenden Garnison versehen halten. Durch diese Posten müssen
alle Zufuhren an Munition und andern Bedürfnissen für die jetzt in Kvscheh
stehende Armee passiren, desgleichen alle Nachschübe von Verstärkungen, welche
dieselbe erfordern könnte. Die Route des Nils, die jetzt, im Winter und bis
Anfang April, durchans praktikabel ist, läßt sich an mehreren Stellen von einem
aus dem Sudan heranziehenden Feinde in der Flanke angreifen.

Allerdings darf man Zweifel hegen, ob die arabischen Feldherren genug Unter¬
nehmungsgeist und militärische Fähigkeit besitzen, um die Horden von Halb¬
wilden, die sie führen, so zu organisiren und zu leiten, daß sie mit ihnen durch
die schwierigen Gebiete, die zu durchschreiten sind, ehe sie vor einem verwundbaren
Punkte der großen Wasserstraße anlangen können, ihr Ziel in genügender Stärke
erreichen. Aber unmöglich wäre ein solches Wagnis keineswegs. Wenn die
großen Stämme auf beiden Seiten des Stromes sich der sudanesischen Bewegung
anschlössen und sich miteinander sowie mit den Beduinen Ägyptens vereinigten
— was zwar in unserm Jahrhunderte noch nicht geschehen, aber bei der Kraft
der religiösen Begeisterung, welche das Derwischtum entwickelt, immerhin denkbar
ist —, so könnten sie einen kühnen Handstreich wagen und den Engländern arge
Not und Verlegenheit bereiten. Bisher hat noch nichts verlautet, wonach an¬
zunehmen wäre, daß diese großen Stammverbindnngen bei dem neuen Vorgehen
der Mahdisten beteiligt sind. Man war in gewissen militärischen Kreisen der
Meinung, daß der Angriff der Sudanesen ans Koscheh nnr ein Manöver sei,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/108>, abgerufen am 05.02.2025.