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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die beabsichtigten Änderungen und Ergänzungen des Gerichtsverfassungsgesetzes le.

sagt mit Unrecht, daß die jetzige Zwölfzahl der Geschwornen nur eine willkür¬
liche sei; diese Zahl hängt unzweifelhaft mit dem mittelalterlichen Duodezimal-
shstcm, mit welchem wir zwar offiziell, aber nicht immer im Leben gebrochen
haben, zusammen: das Dutzend war die erste größere Summe, mit welcher man
rechnete, ein dutzendmal genommen, gab sie das Groß, was war natürlicher, als
daß man auch das Kollegium, welches stärker als die Dreizahl sein sollte, auf ein
Dutzend Mitglieder festsetzte. Es war also eine gewisse Notwendigkeit vorhanden,
diese Zahl für ein größeres Kolleg zu wählen, und instinktiv fühlte das Volk
diese Notwendigkeit heraus. Die alten Römer, welche mehr dem Dezimal¬
system anhingen, wählten Dezemviren und besaßen ein Zentumviralgericht. Wäre
aber auch die Zahl zwölf für die Geschwornen von Haus aus wirklich eine rein
willkürliche gewesen oder allmählich geworden, so wird dies die Zahl sieben,
welche der Entwurf einführen will, noch viel mehr sein; der Gedankengang des
gelehrten Juristen, über dem Kollegialgericht erster Instanz, welches naturgemäß
aus drei Richtern (Juristen allein oder Juristen und Laien zusammen) besteht,
die höhere Instanz aus fünf, die höchste aus sieben Richtern bestehen zu lassen
und demgemäß die Geschwornen dem höchsten Nichterkolleg gleich zu bilden,
wird dem Volke niemals einleuchten. Glaubt man die Geschwornen beibehalten
zu müssen, dann lasse man sie auch in der Zahl, wie sie sich bei uns einge¬
bürgert haben; will man letzteres nicht, dann beseitige man das ganze Institut
und ersetze es durch Schöffen.

Ebenso unpraktisch sind die Vorschläge, die Geschwornenbank für jede ein¬
zelne Sache im voraus für die ganze Sitzungsperiode auf einmal in einer
vorbereitenden Sitzung, und gleichzeitig, wenn der Staatsanwalt und die be¬
teiligten Angeklagten nichts dagegen einzuwenden haben, für sämtliche auf
einen und denselben Tag angesetzte Sachen nur eine einzige Geschwornenbauk
zu bilden. Bei der jetzigen Einrichtung ist das Ablehnungsrecht der Parteien
ein sehr wichtiges Recht, welches in keiner Weise beeinträchtigt werden darf.
Wie kann nun der Staatsanwalt beim Beginn der Periode alsbald über¬
schauen, wer sich vorzugsweise zum Geschwornen eignet? Er macht oft erst wäh¬
rend der Aburteilung der ersten Sachen Erfahrungen, welche er bei den spätern
zur Verhandlung kommenden ausnutzen möchte. Die Verteidiger aber müssen
alle, mögen sie auch, was bei den jetzigen großen Schwurgerichten sehr oft
vorkommt, noch so weit von dem Sitze des Schwurgerichts entfernt wohnen,
zur Eröffnungssitzung erscheinen, da kein Verteidiger, der es mit seiner Ver¬
teidigung ernst nimmt, das Ablehnungsrecht durch einen andern ausüben lassen
wird, auch eine schriftliche Instruktion nach der Geschworncnliste nicht geben
kann, wenn ihm nicht, was ein sehr seltener Zufall wäre, alle Geschwornen per¬
sönlich bekannt sind. Welche Kosten entstehen dadurch für die Verteidigung,
und diese fallen beim Schwurgerichte vorzugsweise der Staatskasse zur Last.
Es wird aber dabei garnicht viel gewonnen, denn die Zahl der Geschwornen,


Die beabsichtigten Änderungen und Ergänzungen des Gerichtsverfassungsgesetzes le.

sagt mit Unrecht, daß die jetzige Zwölfzahl der Geschwornen nur eine willkür¬
liche sei; diese Zahl hängt unzweifelhaft mit dem mittelalterlichen Duodezimal-
shstcm, mit welchem wir zwar offiziell, aber nicht immer im Leben gebrochen
haben, zusammen: das Dutzend war die erste größere Summe, mit welcher man
rechnete, ein dutzendmal genommen, gab sie das Groß, was war natürlicher, als
daß man auch das Kollegium, welches stärker als die Dreizahl sein sollte, auf ein
Dutzend Mitglieder festsetzte. Es war also eine gewisse Notwendigkeit vorhanden,
diese Zahl für ein größeres Kolleg zu wählen, und instinktiv fühlte das Volk
diese Notwendigkeit heraus. Die alten Römer, welche mehr dem Dezimal¬
system anhingen, wählten Dezemviren und besaßen ein Zentumviralgericht. Wäre
aber auch die Zahl zwölf für die Geschwornen von Haus aus wirklich eine rein
willkürliche gewesen oder allmählich geworden, so wird dies die Zahl sieben,
welche der Entwurf einführen will, noch viel mehr sein; der Gedankengang des
gelehrten Juristen, über dem Kollegialgericht erster Instanz, welches naturgemäß
aus drei Richtern (Juristen allein oder Juristen und Laien zusammen) besteht,
die höhere Instanz aus fünf, die höchste aus sieben Richtern bestehen zu lassen
und demgemäß die Geschwornen dem höchsten Nichterkolleg gleich zu bilden,
wird dem Volke niemals einleuchten. Glaubt man die Geschwornen beibehalten
zu müssen, dann lasse man sie auch in der Zahl, wie sie sich bei uns einge¬
bürgert haben; will man letzteres nicht, dann beseitige man das ganze Institut
und ersetze es durch Schöffen.

Ebenso unpraktisch sind die Vorschläge, die Geschwornenbank für jede ein¬
zelne Sache im voraus für die ganze Sitzungsperiode auf einmal in einer
vorbereitenden Sitzung, und gleichzeitig, wenn der Staatsanwalt und die be¬
teiligten Angeklagten nichts dagegen einzuwenden haben, für sämtliche auf
einen und denselben Tag angesetzte Sachen nur eine einzige Geschwornenbauk
zu bilden. Bei der jetzigen Einrichtung ist das Ablehnungsrecht der Parteien
ein sehr wichtiges Recht, welches in keiner Weise beeinträchtigt werden darf.
Wie kann nun der Staatsanwalt beim Beginn der Periode alsbald über¬
schauen, wer sich vorzugsweise zum Geschwornen eignet? Er macht oft erst wäh¬
rend der Aburteilung der ersten Sachen Erfahrungen, welche er bei den spätern
zur Verhandlung kommenden ausnutzen möchte. Die Verteidiger aber müssen
alle, mögen sie auch, was bei den jetzigen großen Schwurgerichten sehr oft
vorkommt, noch so weit von dem Sitze des Schwurgerichts entfernt wohnen,
zur Eröffnungssitzung erscheinen, da kein Verteidiger, der es mit seiner Ver¬
teidigung ernst nimmt, das Ablehnungsrecht durch einen andern ausüben lassen
wird, auch eine schriftliche Instruktion nach der Geschworncnliste nicht geben
kann, wenn ihm nicht, was ein sehr seltener Zufall wäre, alle Geschwornen per¬
sönlich bekannt sind. Welche Kosten entstehen dadurch für die Verteidigung,
und diese fallen beim Schwurgerichte vorzugsweise der Staatskasse zur Last.
Es wird aber dabei garnicht viel gewonnen, denn die Zahl der Geschwornen,


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[0095] Die beabsichtigten Änderungen und Ergänzungen des Gerichtsverfassungsgesetzes le. sagt mit Unrecht, daß die jetzige Zwölfzahl der Geschwornen nur eine willkür¬ liche sei; diese Zahl hängt unzweifelhaft mit dem mittelalterlichen Duodezimal- shstcm, mit welchem wir zwar offiziell, aber nicht immer im Leben gebrochen haben, zusammen: das Dutzend war die erste größere Summe, mit welcher man rechnete, ein dutzendmal genommen, gab sie das Groß, was war natürlicher, als daß man auch das Kollegium, welches stärker als die Dreizahl sein sollte, auf ein Dutzend Mitglieder festsetzte. Es war also eine gewisse Notwendigkeit vorhanden, diese Zahl für ein größeres Kolleg zu wählen, und instinktiv fühlte das Volk diese Notwendigkeit heraus. Die alten Römer, welche mehr dem Dezimal¬ system anhingen, wählten Dezemviren und besaßen ein Zentumviralgericht. Wäre aber auch die Zahl zwölf für die Geschwornen von Haus aus wirklich eine rein willkürliche gewesen oder allmählich geworden, so wird dies die Zahl sieben, welche der Entwurf einführen will, noch viel mehr sein; der Gedankengang des gelehrten Juristen, über dem Kollegialgericht erster Instanz, welches naturgemäß aus drei Richtern (Juristen allein oder Juristen und Laien zusammen) besteht, die höhere Instanz aus fünf, die höchste aus sieben Richtern bestehen zu lassen und demgemäß die Geschwornen dem höchsten Nichterkolleg gleich zu bilden, wird dem Volke niemals einleuchten. Glaubt man die Geschwornen beibehalten zu müssen, dann lasse man sie auch in der Zahl, wie sie sich bei uns einge¬ bürgert haben; will man letzteres nicht, dann beseitige man das ganze Institut und ersetze es durch Schöffen. Ebenso unpraktisch sind die Vorschläge, die Geschwornenbank für jede ein¬ zelne Sache im voraus für die ganze Sitzungsperiode auf einmal in einer vorbereitenden Sitzung, und gleichzeitig, wenn der Staatsanwalt und die be¬ teiligten Angeklagten nichts dagegen einzuwenden haben, für sämtliche auf einen und denselben Tag angesetzte Sachen nur eine einzige Geschwornenbauk zu bilden. Bei der jetzigen Einrichtung ist das Ablehnungsrecht der Parteien ein sehr wichtiges Recht, welches in keiner Weise beeinträchtigt werden darf. Wie kann nun der Staatsanwalt beim Beginn der Periode alsbald über¬ schauen, wer sich vorzugsweise zum Geschwornen eignet? Er macht oft erst wäh¬ rend der Aburteilung der ersten Sachen Erfahrungen, welche er bei den spätern zur Verhandlung kommenden ausnutzen möchte. Die Verteidiger aber müssen alle, mögen sie auch, was bei den jetzigen großen Schwurgerichten sehr oft vorkommt, noch so weit von dem Sitze des Schwurgerichts entfernt wohnen, zur Eröffnungssitzung erscheinen, da kein Verteidiger, der es mit seiner Ver¬ teidigung ernst nimmt, das Ablehnungsrecht durch einen andern ausüben lassen wird, auch eine schriftliche Instruktion nach der Geschworncnliste nicht geben kann, wenn ihm nicht, was ein sehr seltener Zufall wäre, alle Geschwornen per¬ sönlich bekannt sind. Welche Kosten entstehen dadurch für die Verteidigung, und diese fallen beim Schwurgerichte vorzugsweise der Staatskasse zur Last. Es wird aber dabei garnicht viel gewonnen, denn die Zahl der Geschwornen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/95>, abgerufen am 15.01.2025.