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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Die proportionale Berufsklassenroahl,

4, Das Prinzip des "größern Gegensatzes," das der Hauptwahl bereits zu
gründe liegt, findet seine stärkste Verschärfung in der Konzentration der Mei¬
nungen, welche die Stichwahl erheischt. Hier treten die Fehler des Systems
in so greifbarer Form zu Tage, daß eine nähere Beleuchtung überflüssig ist.
Man übersieht aber häufig, daß derselbe Zwang, dem die Parteien hier wider¬
willig Folge leisten, an kleineren, nicht organisirten Gnippeu bereits bei der
Hauptwahl ausgeübt wurde, Dieselben Stimmen, welche sich gegen das System
der Stichwahlen erheben, müßten demnach auch -- was bei uns keineswegs
der Fall ist -- den Zwang verurteilen, der die einer Hauptwahl vorausgehenden
Konzessionen vieler Wählergruppen veranlaßte,

5, Die Stärke von Parteien, deren es in jeder Volksvertretung immer
mehrere geben wird, lind zwar dn am meisten, wo staatliche Neubildungen, terri¬
torialer Zuwachs, sowie konfessionelle oder nationale Schichtungen die Gemüter
in Aufregung versetzen -- die Stärke solcher Fraktionen innerhalb der Ver¬
sammlung entspricht keineswegs der Gesamtzahl aller Anhänger der gleichen
Gedankenrichtung. Die Anwesenheit z, B. von hundert Mitgliedern einer Partei
im Sitzungssaals beweist nur, daß diese Partei in hundert Wahlkreisen gesiegt
hat; sie kann noch in fünfzig andern mit starker Minorität unterlegen sein.
Das Mißverhältnis zwischen der Stärke der Parteien innerhalb der Wähler¬
schaft und der Anzahl ihrer Vertreter im Parlament tritt deutlich zu Tage,
wenn mun unter Zugrundelegung der Ermittelungen des statistischen Amtes
die Anzahl der Mandate berechnet, die mich Maßgabe des Prozentsatzes aller
abgegebenen giltigen Stimmen einer jeden Partei zufallen würden, und damit
die Ziffer der thatsächlich gewählten Abgeordneten vergleicht. Es mögen der
nachstehenden Übersicht die "Hauptwahlen" als Grundlage dienen, sodaß bei
jeder Partei der bei diesen sich ergebende Prozentsatz aller abgegebnen Stimmen,
alsdann die jenem Prozentsätze entsprechende Zahl von Mandaten, endlich die
Ziffer der wirklich gewählten Abgeordneten aufgeführt wird:

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. . , 6,92728
17,670S1
Deutsch-freisinnig . .17,67067
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Polen......, , , 3,61416
, , , 9,73924
, , 1,777
711
11
1215,

Der Abstand zwischen den beiden letzten Zifferreiheu wird bei einigen Parteien
noch größer, wenn man an Stelle der "ersten" die "entscheidenden" Wahlen
der Berechnung zu gründe legt.


Die proportionale Berufsklassenroahl,

4, Das Prinzip des „größern Gegensatzes," das der Hauptwahl bereits zu
gründe liegt, findet seine stärkste Verschärfung in der Konzentration der Mei¬
nungen, welche die Stichwahl erheischt. Hier treten die Fehler des Systems
in so greifbarer Form zu Tage, daß eine nähere Beleuchtung überflüssig ist.
Man übersieht aber häufig, daß derselbe Zwang, dem die Parteien hier wider¬
willig Folge leisten, an kleineren, nicht organisirten Gnippeu bereits bei der
Hauptwahl ausgeübt wurde, Dieselben Stimmen, welche sich gegen das System
der Stichwahlen erheben, müßten demnach auch — was bei uns keineswegs
der Fall ist — den Zwang verurteilen, der die einer Hauptwahl vorausgehenden
Konzessionen vieler Wählergruppen veranlaßte,

5, Die Stärke von Parteien, deren es in jeder Volksvertretung immer
mehrere geben wird, lind zwar dn am meisten, wo staatliche Neubildungen, terri¬
torialer Zuwachs, sowie konfessionelle oder nationale Schichtungen die Gemüter
in Aufregung versetzen — die Stärke solcher Fraktionen innerhalb der Ver¬
sammlung entspricht keineswegs der Gesamtzahl aller Anhänger der gleichen
Gedankenrichtung. Die Anwesenheit z, B. von hundert Mitgliedern einer Partei
im Sitzungssaals beweist nur, daß diese Partei in hundert Wahlkreisen gesiegt
hat; sie kann noch in fünfzig andern mit starker Minorität unterlegen sein.
Das Mißverhältnis zwischen der Stärke der Parteien innerhalb der Wähler¬
schaft und der Anzahl ihrer Vertreter im Parlament tritt deutlich zu Tage,
wenn mun unter Zugrundelegung der Ermittelungen des statistischen Amtes
die Anzahl der Mandate berechnet, die mich Maßgabe des Prozentsatzes aller
abgegebenen giltigen Stimmen einer jeden Partei zufallen würden, und damit
die Ziffer der thatsächlich gewählten Abgeordneten vergleicht. Es mögen der
nachstehenden Übersicht die „Hauptwahlen" als Grundlage dienen, sodaß bei
jeder Partei der bei diesen sich ergebende Prozentsatz aller abgegebnen Stimmen,
alsdann die jenem Prozentsätze entsprechende Zahl von Mandaten, endlich die
Ziffer der wirklich gewählten Abgeordneten aufgeführt wird:

, , 15,26078
. . , 6,92728
17,670S1
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711
11
1215,

Der Abstand zwischen den beiden letzten Zifferreiheu wird bei einigen Parteien
noch größer, wenn man an Stelle der „ersten" die „entscheidenden" Wahlen
der Berechnung zu gründe legt.


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[0076] Die proportionale Berufsklassenroahl, 4, Das Prinzip des „größern Gegensatzes," das der Hauptwahl bereits zu gründe liegt, findet seine stärkste Verschärfung in der Konzentration der Mei¬ nungen, welche die Stichwahl erheischt. Hier treten die Fehler des Systems in so greifbarer Form zu Tage, daß eine nähere Beleuchtung überflüssig ist. Man übersieht aber häufig, daß derselbe Zwang, dem die Parteien hier wider¬ willig Folge leisten, an kleineren, nicht organisirten Gnippeu bereits bei der Hauptwahl ausgeübt wurde, Dieselben Stimmen, welche sich gegen das System der Stichwahlen erheben, müßten demnach auch — was bei uns keineswegs der Fall ist — den Zwang verurteilen, der die einer Hauptwahl vorausgehenden Konzessionen vieler Wählergruppen veranlaßte, 5, Die Stärke von Parteien, deren es in jeder Volksvertretung immer mehrere geben wird, lind zwar dn am meisten, wo staatliche Neubildungen, terri¬ torialer Zuwachs, sowie konfessionelle oder nationale Schichtungen die Gemüter in Aufregung versetzen — die Stärke solcher Fraktionen innerhalb der Ver¬ sammlung entspricht keineswegs der Gesamtzahl aller Anhänger der gleichen Gedankenrichtung. Die Anwesenheit z, B. von hundert Mitgliedern einer Partei im Sitzungssaals beweist nur, daß diese Partei in hundert Wahlkreisen gesiegt hat; sie kann noch in fünfzig andern mit starker Minorität unterlegen sein. Das Mißverhältnis zwischen der Stärke der Parteien innerhalb der Wähler¬ schaft und der Anzahl ihrer Vertreter im Parlament tritt deutlich zu Tage, wenn mun unter Zugrundelegung der Ermittelungen des statistischen Amtes die Anzahl der Mandate berechnet, die mich Maßgabe des Prozentsatzes aller abgegebenen giltigen Stimmen einer jeden Partei zufallen würden, und damit die Ziffer der thatsächlich gewählten Abgeordneten vergleicht. Es mögen der nachstehenden Übersicht die „Hauptwahlen" als Grundlage dienen, sodaß bei jeder Partei der bei diesen sich ergebende Prozentsatz aller abgegebnen Stimmen, alsdann die jenem Prozentsätze entsprechende Zahl von Mandaten, endlich die Ziffer der wirklich gewählten Abgeordneten aufgeführt wird: , , 15,26078 . . , 6,92728 17,670S1 Deutsch-freisinnig . .17,67067 , , 22,69099 Polen......, , , 3,61416 , , , 9,73924 , , 1,777 711 11 1215, Der Abstand zwischen den beiden letzten Zifferreiheu wird bei einigen Parteien noch größer, wenn man an Stelle der „ersten" die „entscheidenden" Wahlen der Berechnung zu gründe legt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/76>, abgerufen am 15.01.2025.