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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Mein Freund der Nihilist.

Sehen Sie meine Brust, sprach I)r. A. seufzend -- was sollte ich wohl
auf den Barrikaden thun! Meine Waffe ist die Feder; ich werde fortfahren,
sie für die Sache zu führe", der ich mich geweiht habe. Ich thue meine
Pflicht -- es komme, was da wolle! --

Die Uhr schlug Mitternacht. Ich erhob mich rasch. Leben Sie wohl sür
heute, lieber Herr Doktor; "vollen Sie morgen mit mir hinauf nach Les Avants?
Die Narzissen beginnen bereits zu blühen.

Ich nach Les Avauts! Ach, wenn ich das konnte!

Sie Armer! Und Sie wollen das Reich des Zaren umstürzen und die
übrige Welt dazu!

Das will ich! Was sagt die köstlichste Figur des großen Britten, die
trotz ihrer Dicke und Lächerlichkeit in allem stets den Nagel auf den Kopf trifft?

Nun?

Sir John sagt zum Friedensrichter: "Was ist's, das die Schlachten ge¬
winnt? -- Der Geist ist's, Master Schaal!" Sir John hat Recht! Auch diese
größte aller Schlachten, die je auf Erden geschlagen, auch sie wird der Geist
gewinnen, und auch ich bin berufen, sie mitzuschlagen -- trotz dieses erbärm¬
lichen Körpers. So hoffe ich doch nicht ganz vergebens gelebt zu haben. Gute
Nacht für heute. Und wenn Sie mir eine Frende machen wollen, so suchen
Sie mich recht bald wieder auf, denn ich behaupte zuversichtlich: befreundetere
Feinde kann es nicht geben als wir beide sind. --

Es war mir unmöglich, den Heimweg zu suchen; fast fieberhaft hatte das
Gehörte mich aufgeregt. So wanderte ich denn langsam bis zum Hafenplatze
von Montreux und setzte mich vorn ans die Landungsbrücke der Dampfschiffe.
Leise rauschten die Wellen, in erhabener Ruhe blickten die Schneegipfel der
savohischen Alpen herüber. Welch heilige Stille, welch tiefer Frieden in der
Natur! Weshalb denn stets Kampf und Elend im Herzen der Menschen?

Eben wollte ich wieder aufbrechen, da erklangen nicht fern helle Stimmen
und fröhliches Lachen. Gottlob! es giebt doch auch noch glückliche Menschen.

Sie hier allein im Mondschein, nach Mitternacht? sprach die Professorin I.

Gewiß suchen Sie hier Inspirationen, um jemand anzudichten -- rief Miß
Ellen. Gestehen Sie, wer ist die Glückliche?

Sie fragen? Die Antwort steht vor mir.

Ach, Sie wollen mir nur schmeicheln! Aber Sie sind sehr thöricht gewesen,
die Einladung ins Pensionat Dessessarts abzulehnen, welche Ihnen Mama mit
Mühe verschafft hat. Wir haben einen reizenden Abend verlebt. Die jungen
Mädchen haben Stücke vou Moliöre und Voltaire aufgeführt; die schöne Hol¬
länderin -- Sie wissen ja -- hat als Cazike Zamore allen Zuschauern Thränen
erpreßt. Wo haben Sie denn gesteckt?

Bei Ihrem Doktor.

Also wieder! Das ist doch arg! Und obendrein werde ich immer fort-


Mein Freund der Nihilist.

Sehen Sie meine Brust, sprach I)r. A. seufzend — was sollte ich wohl
auf den Barrikaden thun! Meine Waffe ist die Feder; ich werde fortfahren,
sie für die Sache zu führe», der ich mich geweiht habe. Ich thue meine
Pflicht — es komme, was da wolle! —

Die Uhr schlug Mitternacht. Ich erhob mich rasch. Leben Sie wohl sür
heute, lieber Herr Doktor; »vollen Sie morgen mit mir hinauf nach Les Avants?
Die Narzissen beginnen bereits zu blühen.

Ich nach Les Avauts! Ach, wenn ich das konnte!

Sie Armer! Und Sie wollen das Reich des Zaren umstürzen und die
übrige Welt dazu!

Das will ich! Was sagt die köstlichste Figur des großen Britten, die
trotz ihrer Dicke und Lächerlichkeit in allem stets den Nagel auf den Kopf trifft?

Nun?

Sir John sagt zum Friedensrichter: „Was ist's, das die Schlachten ge¬
winnt? — Der Geist ist's, Master Schaal!" Sir John hat Recht! Auch diese
größte aller Schlachten, die je auf Erden geschlagen, auch sie wird der Geist
gewinnen, und auch ich bin berufen, sie mitzuschlagen — trotz dieses erbärm¬
lichen Körpers. So hoffe ich doch nicht ganz vergebens gelebt zu haben. Gute
Nacht für heute. Und wenn Sie mir eine Frende machen wollen, so suchen
Sie mich recht bald wieder auf, denn ich behaupte zuversichtlich: befreundetere
Feinde kann es nicht geben als wir beide sind. —

Es war mir unmöglich, den Heimweg zu suchen; fast fieberhaft hatte das
Gehörte mich aufgeregt. So wanderte ich denn langsam bis zum Hafenplatze
von Montreux und setzte mich vorn ans die Landungsbrücke der Dampfschiffe.
Leise rauschten die Wellen, in erhabener Ruhe blickten die Schneegipfel der
savohischen Alpen herüber. Welch heilige Stille, welch tiefer Frieden in der
Natur! Weshalb denn stets Kampf und Elend im Herzen der Menschen?

Eben wollte ich wieder aufbrechen, da erklangen nicht fern helle Stimmen
und fröhliches Lachen. Gottlob! es giebt doch auch noch glückliche Menschen.

Sie hier allein im Mondschein, nach Mitternacht? sprach die Professorin I.

Gewiß suchen Sie hier Inspirationen, um jemand anzudichten — rief Miß
Ellen. Gestehen Sie, wer ist die Glückliche?

Sie fragen? Die Antwort steht vor mir.

Ach, Sie wollen mir nur schmeicheln! Aber Sie sind sehr thöricht gewesen,
die Einladung ins Pensionat Dessessarts abzulehnen, welche Ihnen Mama mit
Mühe verschafft hat. Wir haben einen reizenden Abend verlebt. Die jungen
Mädchen haben Stücke vou Moliöre und Voltaire aufgeführt; die schöne Hol¬
länderin — Sie wissen ja — hat als Cazike Zamore allen Zuschauern Thränen
erpreßt. Wo haben Sie denn gesteckt?

Bei Ihrem Doktor.

Also wieder! Das ist doch arg! Und obendrein werde ich immer fort-


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[0664] Mein Freund der Nihilist. Sehen Sie meine Brust, sprach I)r. A. seufzend — was sollte ich wohl auf den Barrikaden thun! Meine Waffe ist die Feder; ich werde fortfahren, sie für die Sache zu führe», der ich mich geweiht habe. Ich thue meine Pflicht — es komme, was da wolle! — Die Uhr schlug Mitternacht. Ich erhob mich rasch. Leben Sie wohl sür heute, lieber Herr Doktor; »vollen Sie morgen mit mir hinauf nach Les Avants? Die Narzissen beginnen bereits zu blühen. Ich nach Les Avauts! Ach, wenn ich das konnte! Sie Armer! Und Sie wollen das Reich des Zaren umstürzen und die übrige Welt dazu! Das will ich! Was sagt die köstlichste Figur des großen Britten, die trotz ihrer Dicke und Lächerlichkeit in allem stets den Nagel auf den Kopf trifft? Nun? Sir John sagt zum Friedensrichter: „Was ist's, das die Schlachten ge¬ winnt? — Der Geist ist's, Master Schaal!" Sir John hat Recht! Auch diese größte aller Schlachten, die je auf Erden geschlagen, auch sie wird der Geist gewinnen, und auch ich bin berufen, sie mitzuschlagen — trotz dieses erbärm¬ lichen Körpers. So hoffe ich doch nicht ganz vergebens gelebt zu haben. Gute Nacht für heute. Und wenn Sie mir eine Frende machen wollen, so suchen Sie mich recht bald wieder auf, denn ich behaupte zuversichtlich: befreundetere Feinde kann es nicht geben als wir beide sind. — Es war mir unmöglich, den Heimweg zu suchen; fast fieberhaft hatte das Gehörte mich aufgeregt. So wanderte ich denn langsam bis zum Hafenplatze von Montreux und setzte mich vorn ans die Landungsbrücke der Dampfschiffe. Leise rauschten die Wellen, in erhabener Ruhe blickten die Schneegipfel der savohischen Alpen herüber. Welch heilige Stille, welch tiefer Frieden in der Natur! Weshalb denn stets Kampf und Elend im Herzen der Menschen? Eben wollte ich wieder aufbrechen, da erklangen nicht fern helle Stimmen und fröhliches Lachen. Gottlob! es giebt doch auch noch glückliche Menschen. Sie hier allein im Mondschein, nach Mitternacht? sprach die Professorin I. Gewiß suchen Sie hier Inspirationen, um jemand anzudichten — rief Miß Ellen. Gestehen Sie, wer ist die Glückliche? Sie fragen? Die Antwort steht vor mir. Ach, Sie wollen mir nur schmeicheln! Aber Sie sind sehr thöricht gewesen, die Einladung ins Pensionat Dessessarts abzulehnen, welche Ihnen Mama mit Mühe verschafft hat. Wir haben einen reizenden Abend verlebt. Die jungen Mädchen haben Stücke vou Moliöre und Voltaire aufgeführt; die schöne Hol¬ länderin — Sie wissen ja — hat als Cazike Zamore allen Zuschauern Thränen erpreßt. Wo haben Sie denn gesteckt? Bei Ihrem Doktor. Also wieder! Das ist doch arg! Und obendrein werde ich immer fort-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/664>, abgerufen am 15.01.2025.