Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Mein Freund der Nihilist. nicht an Gott und nicht an Unsterblichkeit; ich bin religionslos in Ihrem Sinne; Wohlan, versuchen Sie es! Und wann wird Ihr Sieg errungen sein? Wer weiß das! Aber das darf uns nicht kümmern. Wenn wir nach Jawohl, das denke ich. Wohlan! -- ich werde Sie mit ihren eignen Waffen schlagen. Es ist Nein, lieber Herr Doktor, rief ich, das werde ich nicht. Ich verlange Ihre Mein Freund der Nihilist. nicht an Gott und nicht an Unsterblichkeit; ich bin religionslos in Ihrem Sinne; Wohlan, versuchen Sie es! Und wann wird Ihr Sieg errungen sein? Wer weiß das! Aber das darf uns nicht kümmern. Wenn wir nach Jawohl, das denke ich. Wohlan! — ich werde Sie mit ihren eignen Waffen schlagen. Es ist Nein, lieber Herr Doktor, rief ich, das werde ich nicht. Ich verlange Ihre <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0663" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197397"/> <fw type="header" place="top"> Mein Freund der Nihilist.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2314" prev="#ID_2313"> nicht an Gott und nicht an Unsterblichkeit; ich bin religionslos in Ihrem Sinne;<lb/> kein Richter wird nach dem Tode von mir Rechenschaft fordern. Dennoch nehme<lb/> ich es mit der Erfüllung meiner Pflicht vielleicht ernster als Sie mit der<lb/> Ihrigen, und wer von uns beiden freudiger das Leben erträgt und ruhiger dem<lb/> Tode entgegensieht, das ist die Frage. Sie würden nichts dabei gewinnen, nur<lb/> verlieren, wenn Sie die Traditionen wegwürfen, in denen Sie aufgewachsen<lb/> sind. Aber glauben Sie mir, unsre Jugend, die nie etwas vom Christcntume<lb/> gehört hat, wird besser und glücklicher sein als die der Gegenwart. Denn daß<lb/> trotz des fast zweitausendjährigen Bestehens Ihrer Religion die Selbstsucht nie<lb/> ärger gewesen, nie nngescheuter proklamirt worden ist und nie brutaler geherrscht<lb/> hat als jetzt, das werden Sie nicht bestreiten wollen. Das Christentum hat<lb/> die schönste Nächstenliebe auf seine Fahne geschrieben, aber es ist nicht imstande<lb/> gewesen, ihr zum Siege zu verhelfen. Nun werden wir es auf unsre Weise<lb/> versuchen, und glauben Sie, uns wird es gelingen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2315"> Wohlan, versuchen Sie es! Und wann wird Ihr Sieg errungen sein?</p><lb/> <p xml:id="ID_2316"> Wer weiß das! Aber das darf uns nicht kümmern. Wenn wir nach<lb/> wiederum zweitausend Jahren die Hälfte, ja nur ein Zehntel des Weges zurück¬<lb/> gelegt haben, und wenn wir uus auch erst nach hunderttausend Jahren dein<lb/> Ziele nähern — was bedeuten hunderttausend Jahre im Leben der Erde! Für<lb/> die nachfolgenden Geschlechter zu sorgen ist unsre Pflicht. Wir sollen nicht<lb/> beanspruchen, da noch selbst zu ernten, wo wir gescict haben. Möchten Sie nicht<lb/> meinen Zukunftsstaat sehen, der die ganze Erde umfaßt, der jede Feindschaft<lb/> zwischen den Völkern aufhebt, in dem alle Menschen Brüder und gut sind?<lb/> Sie schweigen; Sie denken, auf Erden sei das unmöglich.</p><lb/> <p xml:id="ID_2317"> Jawohl, das denke ich.</p><lb/> <p xml:id="ID_2318"> Wohlan! — ich werde Sie mit ihren eignen Waffen schlagen. Es ist<lb/> eine ausdrückliche Lehre des Christentums, daß Christus dereinst wiederkommen<lb/> und daß dann ein Himmelreich auf Erden entstehen wird. So wird es sein —<lb/> nur daß Sie ruhig abwarten wollen, bis Christus wiederkommt und jenes Reich<lb/> aufrichtet, wir aber ohne Verzug selbst Hand anlegen wollen. Wer von uns<lb/> beiden ist nun der Edlere? Und wenn Sie jetzt noch von der Unmöglichkeit<lb/> der Verwirklichung unsrer Pläne und Hoffnungen sprechen, dann mögen Sie ein<lb/> vortrefflicher Mensch sein — aber ein rechtgläubiger Christ, das sind Sie nicht.<lb/> Lassen wir das — ich fühle, der Streit beginnt mich aufzuregen. Sie wissen<lb/> jetzt, was wir wollen; Sie wissen, daß wir überzeugnngstreu und opferfreudig<lb/> sind; und wenn unsre Wege auch weit auseinander laufen, Sie werden uns<lb/> nicht mehr mißachten — nicht wahr?</p><lb/> <p xml:id="ID_2319"> Nein, lieber Herr Doktor, rief ich, das werde ich nicht. Ich verlange Ihre<lb/> Achtung und werde Ihnen die meinige nicht verweigern — selbst wenn wir<lb/> einander mit den Waffen in der Hand gegenüberstehen sollten — <Moa vsus<lb/> Ksmz g,vortg.t.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0663]
Mein Freund der Nihilist.
nicht an Gott und nicht an Unsterblichkeit; ich bin religionslos in Ihrem Sinne;
kein Richter wird nach dem Tode von mir Rechenschaft fordern. Dennoch nehme
ich es mit der Erfüllung meiner Pflicht vielleicht ernster als Sie mit der
Ihrigen, und wer von uns beiden freudiger das Leben erträgt und ruhiger dem
Tode entgegensieht, das ist die Frage. Sie würden nichts dabei gewinnen, nur
verlieren, wenn Sie die Traditionen wegwürfen, in denen Sie aufgewachsen
sind. Aber glauben Sie mir, unsre Jugend, die nie etwas vom Christcntume
gehört hat, wird besser und glücklicher sein als die der Gegenwart. Denn daß
trotz des fast zweitausendjährigen Bestehens Ihrer Religion die Selbstsucht nie
ärger gewesen, nie nngescheuter proklamirt worden ist und nie brutaler geherrscht
hat als jetzt, das werden Sie nicht bestreiten wollen. Das Christentum hat
die schönste Nächstenliebe auf seine Fahne geschrieben, aber es ist nicht imstande
gewesen, ihr zum Siege zu verhelfen. Nun werden wir es auf unsre Weise
versuchen, und glauben Sie, uns wird es gelingen.
Wohlan, versuchen Sie es! Und wann wird Ihr Sieg errungen sein?
Wer weiß das! Aber das darf uns nicht kümmern. Wenn wir nach
wiederum zweitausend Jahren die Hälfte, ja nur ein Zehntel des Weges zurück¬
gelegt haben, und wenn wir uus auch erst nach hunderttausend Jahren dein
Ziele nähern — was bedeuten hunderttausend Jahre im Leben der Erde! Für
die nachfolgenden Geschlechter zu sorgen ist unsre Pflicht. Wir sollen nicht
beanspruchen, da noch selbst zu ernten, wo wir gescict haben. Möchten Sie nicht
meinen Zukunftsstaat sehen, der die ganze Erde umfaßt, der jede Feindschaft
zwischen den Völkern aufhebt, in dem alle Menschen Brüder und gut sind?
Sie schweigen; Sie denken, auf Erden sei das unmöglich.
Jawohl, das denke ich.
Wohlan! — ich werde Sie mit ihren eignen Waffen schlagen. Es ist
eine ausdrückliche Lehre des Christentums, daß Christus dereinst wiederkommen
und daß dann ein Himmelreich auf Erden entstehen wird. So wird es sein —
nur daß Sie ruhig abwarten wollen, bis Christus wiederkommt und jenes Reich
aufrichtet, wir aber ohne Verzug selbst Hand anlegen wollen. Wer von uns
beiden ist nun der Edlere? Und wenn Sie jetzt noch von der Unmöglichkeit
der Verwirklichung unsrer Pläne und Hoffnungen sprechen, dann mögen Sie ein
vortrefflicher Mensch sein — aber ein rechtgläubiger Christ, das sind Sie nicht.
Lassen wir das — ich fühle, der Streit beginnt mich aufzuregen. Sie wissen
jetzt, was wir wollen; Sie wissen, daß wir überzeugnngstreu und opferfreudig
sind; und wenn unsre Wege auch weit auseinander laufen, Sie werden uns
nicht mehr mißachten — nicht wahr?
Nein, lieber Herr Doktor, rief ich, das werde ich nicht. Ich verlange Ihre
Achtung und werde Ihnen die meinige nicht verweigern — selbst wenn wir
einander mit den Waffen in der Hand gegenüberstehen sollten — <Moa vsus
Ksmz g,vortg.t.
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