Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.Mein Freund der Nihilist. sondern deshalb, weil die Moral und das Gewissen es vorschreibt. Ist nun Unzweifelhaft der Ihrige -- leider nur ein völlig undurchführbarer. Mit welchem Rechte behaupten Sie das? Er kann durchgeführt werden, Und der lautet? Genau so wie der Kardinalsatz des Christentums: Liebe deinen Nächsten A. schwieg, aber seine Augen leuchteten vor Begeisterung und Sieges- Es thut mir nur leid, begann ich nach einer Pause wieder, daß ich das Der einfache, gerade: wir werden die Menschheit dazu erziehen. Und wer soll diese Erziehung ausführen, und wodurch? Der Staat, d. h. die Gemeinde in ihren Schulen und Vildungsanstalten. Bildung macht frei! Und ich sage Ihnen, es giebt nichts Falscheres als Nein, Herr Baron, das sind die Segnungen des philologischen Zopftums, Mein Freund der Nihilist. sondern deshalb, weil die Moral und das Gewissen es vorschreibt. Ist nun Unzweifelhaft der Ihrige — leider nur ein völlig undurchführbarer. Mit welchem Rechte behaupten Sie das? Er kann durchgeführt werden, Und der lautet? Genau so wie der Kardinalsatz des Christentums: Liebe deinen Nächsten A. schwieg, aber seine Augen leuchteten vor Begeisterung und Sieges- Es thut mir nur leid, begann ich nach einer Pause wieder, daß ich das Der einfache, gerade: wir werden die Menschheit dazu erziehen. Und wer soll diese Erziehung ausführen, und wodurch? Der Staat, d. h. die Gemeinde in ihren Schulen und Vildungsanstalten. Bildung macht frei! Und ich sage Ihnen, es giebt nichts Falscheres als Nein, Herr Baron, das sind die Segnungen des philologischen Zopftums, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0661" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197395"/> <fw type="header" place="top"> Mein Freund der Nihilist.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2293" prev="#ID_2292"> sondern deshalb, weil die Moral und das Gewissen es vorschreibt. 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Denn nicht in der jetzigen<lb/> Ordnung der Dinge, die auf dem Egoismus des Individuums, der Stände und<lb/> der Völker aufgebaut ist, kann dies Ideal verwirklicht werden, sondern aus¬<lb/> schließlich in unserm Zukunftsstaate. Lesen Sie in der Apostelgeschichte was<lb/> die ersten Christen thaten. Wir wollen genau dasselbe; jener erste schöne Versuch<lb/> scheiterte, wir werden ihn siegreich durchführen! —</p><lb/> <p xml:id="ID_2298"> A. schwieg, aber seine Augen leuchteten vor Begeisterung und Sieges-<lb/> gewißheit. Wie beneidete ich ihn um beides!</p><lb/> <p xml:id="ID_2299"> Es thut mir nur leid, begann ich nach einer Pause wieder, daß ich das<lb/> nicht mehr erlebe. 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Mein Freund der Nihilist.
sondern deshalb, weil die Moral und das Gewissen es vorschreibt. Ist nun
unser Standpunkt der idealere und höhere, oder der, auf welchem Ihre jetzige
Welt steht?
Unzweifelhaft der Ihrige — leider nur ein völlig undurchführbarer.
Mit welchem Rechte behaupten Sie das? Er kann durchgeführt werden,
und er wird durchgeführt werden. Und umso leichter und sicherer wird das
geschehen, als der Moralkodex der nihilistischen Welt nur aus einem einzigen
Satze bestehen wird.
Und der lautet?
Genau so wie der Kardinalsatz des Christentums: Liebe deinen Nächsten
wie dich selbst. Ziehen Sie nicht die Stirne kraus. Der Stifter Ihrer Religion
wird an uns mehr Freude haben als an denen, die sich nach ihr nennen, denen
es aber garnicht einfällt, sein Gebot zu verwirklichen. Denn nicht in der jetzigen
Ordnung der Dinge, die auf dem Egoismus des Individuums, der Stände und
der Völker aufgebaut ist, kann dies Ideal verwirklicht werden, sondern aus¬
schließlich in unserm Zukunftsstaate. Lesen Sie in der Apostelgeschichte was
die ersten Christen thaten. Wir wollen genau dasselbe; jener erste schöne Versuch
scheiterte, wir werden ihn siegreich durchführen! —
A. schwieg, aber seine Augen leuchteten vor Begeisterung und Sieges-
gewißheit. Wie beneidete ich ihn um beides!
Es thut mir nur leid, begann ich nach einer Pause wieder, daß ich das
nicht mehr erlebe. Aber sagen Sie, welcher Weg führt zu dem Ziele?
Der einfache, gerade: wir werden die Menschheit dazu erziehen.
Und wer soll diese Erziehung ausführen, und wodurch?
Der Staat, d. h. die Gemeinde in ihren Schulen und Vildungsanstalten.
Darum werden die Schulen ein Gegenstand von hervorragendster Wichtigkeit
für uns sein. Wir wollen Freiheit, und nur Bildung macht wahrhaft frei.
Bildung macht frei! Und ich sage Ihnen, es giebt nichts Falscheres als
dies zum Ekel oft wiederholte Schlagwort unsrer Liberalen! Nicht frei macht
die Bildung, sondern zum Sklaven. Sie lehrt den Menschen tausend Sachen
kennen, die er im spätern Leben nicht brauchen kann; sie giebt ihm geistige
Bedürfnisse und Ansprüche, zu deren Befriedigung ihm nachher die Mittel fehlen;
sie macht ihn begehrlich und unzufrieden. Und um das Maß voll zu machen,
ruiniren uns die Schulbänke anch körperlich und rauben uns die Kraft des
männlichen Willens. Das sind die Segnungen Ihrer Bildung.
Nein, Herr Baron, das sind die Segnungen des philologischen Zopftums,
welches jetzt die Schule beherrscht, und welches an die Stelle der Bildung das
hohle Wissen gesetzt hat. Ich spreche von der harmonischen Ausbildung des
Körpers, des Geistes und des Gemütes, wie die Gymnasien der alten Griechen
sie erstrebten. Fort mit all dem gelehrten Plunder — eine allseitige Erziehung
der Jugend zum Wahren, zum Schönen und vor allem zum Guten trete an
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