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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Mein Freund der Nihilist.

Gott behüte uns! Und was soll an deren Stelle treten?

Die Vereinigung in freier Liebe.

Die Vereinigung in freier Liebe! Klingt sehr poetisch, das -- aber wie
lange soll das Ding dauern?

So lange die Liebe selbst dauert.

Das heißt: so lange bis der Manu die Frau satt hatt, oder sie ihm da¬
vonläuft.

Allerdings.

Um Gotteswillen, Herr Doktor, wenn das Ihre Frau Hort!

Seien Sie unbesorgt -- sie ist ausgegangen. Übrigens werden wir das
mich schwerlich noch erleben.

Gott sei Dank! Aber eins sage ich Ihnen noch, entsetzlich viel Mord und
Totschlag wird es bei Ihrer freien Liebe geben!

Durchaus nicht. Wenn die Menschen in der Idee der völligen Freiheit
des Mannes und des Weibes aufgewachsen sind, so werden sie diese gerade so
natürlich finden wie jetzt das Vorurteil, welches für beide eiserne Ketten schmiedet.
Die Ehe mit ihrem Zwange führt jetzt nur zum Ehebruche und zur schlimmsten
Jmmoralität. Fällt das eherne Gesetz, so fällt damit auch dessen tägliche und
stündliche Übertretung -- ist das nicht der weit edlere Zustand?

Freilich, wenn Sie die Gesetze abschaffen, so hören damit eines die Ver¬
brechen ans -- das Mittel ist einfach und sicher. Aber es muß Ihnen doch
so klar sein wie mir, daß ein geordnetes Zusammenleben der Menschen ohne
das Institut der Ehe und der Familie völlig undenkbar ist.

Wiederum ein landläufiges Vorurteil, welches die Wissenschaft längst in die
Rumpelkammer geworfen hat.

Das ist mir freilich neu. Aber wenn die Wissenschaft die Familie in die
Rumpelkammer wirft, wer sorgt dann für die Kinder?

Das thut die Gemeinde, falls es die Eltern nicht selbst "vollen.

Sieh, sieh! Der Racker von Staat! Bisher nahm er nur -- um wird
er gar der Allerweltswohlthäter und Versorger! Dennoch, lieber Herr Doktor,
hat ihre Rechnung ein böses Loch. Sie werden mir zugeben, daß das Institut
der freien Liebe die Vermehrung des Menschengeschlechts außerordentlich be¬
günstigen wird.

Das ist mehr als wahrscheinlich -- aber was schadet es?

Ja wohin mit all den Menschen?

Raum für alle hat die Erde.

Das sagt Schiller, aber nicht die Wissenschaft.

Gerade die Wissenschaft sagt es. Sie lehrt uns, daß noch ganz ungeheure
Strecken der Erdoberfläche unbebaut daliegen. Diese wird man kultiviren und
wird auf lange Zeit hinaus gesichert sein.

Gut. Aber wiederum wird der Moment eintreten, wo auch die ganze


Mein Freund der Nihilist.

Gott behüte uns! Und was soll an deren Stelle treten?

Die Vereinigung in freier Liebe.

Die Vereinigung in freier Liebe! Klingt sehr poetisch, das — aber wie
lange soll das Ding dauern?

So lange die Liebe selbst dauert.

Das heißt: so lange bis der Manu die Frau satt hatt, oder sie ihm da¬
vonläuft.

Allerdings.

Um Gotteswillen, Herr Doktor, wenn das Ihre Frau Hort!

Seien Sie unbesorgt — sie ist ausgegangen. Übrigens werden wir das
mich schwerlich noch erleben.

Gott sei Dank! Aber eins sage ich Ihnen noch, entsetzlich viel Mord und
Totschlag wird es bei Ihrer freien Liebe geben!

Durchaus nicht. Wenn die Menschen in der Idee der völligen Freiheit
des Mannes und des Weibes aufgewachsen sind, so werden sie diese gerade so
natürlich finden wie jetzt das Vorurteil, welches für beide eiserne Ketten schmiedet.
Die Ehe mit ihrem Zwange führt jetzt nur zum Ehebruche und zur schlimmsten
Jmmoralität. Fällt das eherne Gesetz, so fällt damit auch dessen tägliche und
stündliche Übertretung — ist das nicht der weit edlere Zustand?

Freilich, wenn Sie die Gesetze abschaffen, so hören damit eines die Ver¬
brechen ans — das Mittel ist einfach und sicher. Aber es muß Ihnen doch
so klar sein wie mir, daß ein geordnetes Zusammenleben der Menschen ohne
das Institut der Ehe und der Familie völlig undenkbar ist.

Wiederum ein landläufiges Vorurteil, welches die Wissenschaft längst in die
Rumpelkammer geworfen hat.

Das ist mir freilich neu. Aber wenn die Wissenschaft die Familie in die
Rumpelkammer wirft, wer sorgt dann für die Kinder?

Das thut die Gemeinde, falls es die Eltern nicht selbst »vollen.

Sieh, sieh! Der Racker von Staat! Bisher nahm er nur — um wird
er gar der Allerweltswohlthäter und Versorger! Dennoch, lieber Herr Doktor,
hat ihre Rechnung ein böses Loch. Sie werden mir zugeben, daß das Institut
der freien Liebe die Vermehrung des Menschengeschlechts außerordentlich be¬
günstigen wird.

Das ist mehr als wahrscheinlich — aber was schadet es?

Ja wohin mit all den Menschen?

Raum für alle hat die Erde.

Das sagt Schiller, aber nicht die Wissenschaft.

Gerade die Wissenschaft sagt es. Sie lehrt uns, daß noch ganz ungeheure
Strecken der Erdoberfläche unbebaut daliegen. Diese wird man kultiviren und
wird auf lange Zeit hinaus gesichert sein.

Gut. Aber wiederum wird der Moment eintreten, wo auch die ganze


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[0658] Mein Freund der Nihilist. Gott behüte uns! Und was soll an deren Stelle treten? Die Vereinigung in freier Liebe. Die Vereinigung in freier Liebe! Klingt sehr poetisch, das — aber wie lange soll das Ding dauern? So lange die Liebe selbst dauert. Das heißt: so lange bis der Manu die Frau satt hatt, oder sie ihm da¬ vonläuft. Allerdings. Um Gotteswillen, Herr Doktor, wenn das Ihre Frau Hort! Seien Sie unbesorgt — sie ist ausgegangen. Übrigens werden wir das mich schwerlich noch erleben. Gott sei Dank! Aber eins sage ich Ihnen noch, entsetzlich viel Mord und Totschlag wird es bei Ihrer freien Liebe geben! Durchaus nicht. Wenn die Menschen in der Idee der völligen Freiheit des Mannes und des Weibes aufgewachsen sind, so werden sie diese gerade so natürlich finden wie jetzt das Vorurteil, welches für beide eiserne Ketten schmiedet. Die Ehe mit ihrem Zwange führt jetzt nur zum Ehebruche und zur schlimmsten Jmmoralität. Fällt das eherne Gesetz, so fällt damit auch dessen tägliche und stündliche Übertretung — ist das nicht der weit edlere Zustand? Freilich, wenn Sie die Gesetze abschaffen, so hören damit eines die Ver¬ brechen ans — das Mittel ist einfach und sicher. Aber es muß Ihnen doch so klar sein wie mir, daß ein geordnetes Zusammenleben der Menschen ohne das Institut der Ehe und der Familie völlig undenkbar ist. Wiederum ein landläufiges Vorurteil, welches die Wissenschaft längst in die Rumpelkammer geworfen hat. Das ist mir freilich neu. Aber wenn die Wissenschaft die Familie in die Rumpelkammer wirft, wer sorgt dann für die Kinder? Das thut die Gemeinde, falls es die Eltern nicht selbst »vollen. Sieh, sieh! Der Racker von Staat! Bisher nahm er nur — um wird er gar der Allerweltswohlthäter und Versorger! Dennoch, lieber Herr Doktor, hat ihre Rechnung ein böses Loch. Sie werden mir zugeben, daß das Institut der freien Liebe die Vermehrung des Menschengeschlechts außerordentlich be¬ günstigen wird. Das ist mehr als wahrscheinlich — aber was schadet es? Ja wohin mit all den Menschen? Raum für alle hat die Erde. Das sagt Schiller, aber nicht die Wissenschaft. Gerade die Wissenschaft sagt es. Sie lehrt uns, daß noch ganz ungeheure Strecken der Erdoberfläche unbebaut daliegen. Diese wird man kultiviren und wird auf lange Zeit hinaus gesichert sein. Gut. Aber wiederum wird der Moment eintreten, wo auch die ganze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/658>, abgerufen am 15.01.2025.