Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite


Mein Freund der Nihilist.
von I. von Ungor. (Schluß.)

es erkenne meine Verpflichtung dazu, erwiederte ich, in vollem
Umfange an, aber keineswegs die Verpflichtung, Ihnen auf
Ihren Wegen zu folgen. Denn, Hand aufs Herz -- können
Sie denn im Ernst glauben, daß der von Ihnen geschaffene
ideale Zustand auch nur acht Tage lang Bestand haben werde?

Gewiß! Ist er da, dann wird die Menschheit so weit sein, ihn zu ertragen
und ihn aufrecht zu erhalten.

Und wie wollen Sie verhindern, daß z. B. der Unterschied zwischen Arm
und Reich binnen kurzem wieder eintritt?

Wie soll das kommen? Jeder erhält, was er braucht, im günstigsten Falle
etwas mehr; wie soll er es machen, um Vorräte anzusammeln, und wozu sollte
er es thun?

Nun, um sie seinen Kindern zu hinterlassen.

Ganz recht; aber das schneiden wir auf sehr einfache Weise ab: wir be¬
seitigen das Erbrecht.

Das ist freilich gründlich.

Es geht nicht anders. Und auf der andern Seite ist es weit weniger
hart, als Sie denken. Denn auch die Familie und das Verhältnis der Eltern
zu den Kindern wird sich völlig umgestalten.

Wodurch?

Was ist die Grundlage der jetzigen Familie?

Nun, die Ehe.

Und wenn wir diese abschaffen?

Sie wollen die Ehe abschaffen?

Allerdings, wir werden die Axt an die Wurzel legen.


Grenzboten IV. 1835 L2


Mein Freund der Nihilist.
von I. von Ungor. (Schluß.)

es erkenne meine Verpflichtung dazu, erwiederte ich, in vollem
Umfange an, aber keineswegs die Verpflichtung, Ihnen auf
Ihren Wegen zu folgen. Denn, Hand aufs Herz — können
Sie denn im Ernst glauben, daß der von Ihnen geschaffene
ideale Zustand auch nur acht Tage lang Bestand haben werde?

Gewiß! Ist er da, dann wird die Menschheit so weit sein, ihn zu ertragen
und ihn aufrecht zu erhalten.

Und wie wollen Sie verhindern, daß z. B. der Unterschied zwischen Arm
und Reich binnen kurzem wieder eintritt?

Wie soll das kommen? Jeder erhält, was er braucht, im günstigsten Falle
etwas mehr; wie soll er es machen, um Vorräte anzusammeln, und wozu sollte
er es thun?

Nun, um sie seinen Kindern zu hinterlassen.

Ganz recht; aber das schneiden wir auf sehr einfache Weise ab: wir be¬
seitigen das Erbrecht.

Das ist freilich gründlich.

Es geht nicht anders. Und auf der andern Seite ist es weit weniger
hart, als Sie denken. Denn auch die Familie und das Verhältnis der Eltern
zu den Kindern wird sich völlig umgestalten.

Wodurch?

Was ist die Grundlage der jetzigen Familie?

Nun, die Ehe.

Und wenn wir diese abschaffen?

Sie wollen die Ehe abschaffen?

Allerdings, wir werden die Axt an die Wurzel legen.


Grenzboten IV. 1835 L2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0657" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197391"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341841_196733/figures/grenzboten_341841_196733_197391_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Mein Freund der Nihilist.<lb/><note type="byline"> von I. von Ungor.</note> (Schluß.)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2231"> es erkenne meine Verpflichtung dazu, erwiederte ich, in vollem<lb/>
Umfange an, aber keineswegs die Verpflichtung, Ihnen auf<lb/>
Ihren Wegen zu folgen. Denn, Hand aufs Herz &#x2014; können<lb/>
Sie denn im Ernst glauben, daß der von Ihnen geschaffene<lb/>
ideale Zustand auch nur acht Tage lang Bestand haben werde?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2232"> Gewiß! Ist er da, dann wird die Menschheit so weit sein, ihn zu ertragen<lb/>
und ihn aufrecht zu erhalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2233"> Und wie wollen Sie verhindern, daß z. B. der Unterschied zwischen Arm<lb/>
und Reich binnen kurzem wieder eintritt?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2234"> Wie soll das kommen? Jeder erhält, was er braucht, im günstigsten Falle<lb/>
etwas mehr; wie soll er es machen, um Vorräte anzusammeln, und wozu sollte<lb/>
er es thun?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2235"> Nun, um sie seinen Kindern zu hinterlassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2236"> Ganz recht; aber das schneiden wir auf sehr einfache Weise ab: wir be¬<lb/>
seitigen das Erbrecht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2237"> Das ist freilich gründlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2238"> Es geht nicht anders. Und auf der andern Seite ist es weit weniger<lb/>
hart, als Sie denken. Denn auch die Familie und das Verhältnis der Eltern<lb/>
zu den Kindern wird sich völlig umgestalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2239"> Wodurch?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2240"> Was ist die Grundlage der jetzigen Familie?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2241"> Nun, die Ehe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2242"> Und wenn wir diese abschaffen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2243"> Sie wollen die Ehe abschaffen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2244"> Allerdings, wir werden die Axt an die Wurzel legen.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1835 L2</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0657] [Abbildung] Mein Freund der Nihilist. von I. von Ungor. (Schluß.) es erkenne meine Verpflichtung dazu, erwiederte ich, in vollem Umfange an, aber keineswegs die Verpflichtung, Ihnen auf Ihren Wegen zu folgen. Denn, Hand aufs Herz — können Sie denn im Ernst glauben, daß der von Ihnen geschaffene ideale Zustand auch nur acht Tage lang Bestand haben werde? Gewiß! Ist er da, dann wird die Menschheit so weit sein, ihn zu ertragen und ihn aufrecht zu erhalten. Und wie wollen Sie verhindern, daß z. B. der Unterschied zwischen Arm und Reich binnen kurzem wieder eintritt? Wie soll das kommen? Jeder erhält, was er braucht, im günstigsten Falle etwas mehr; wie soll er es machen, um Vorräte anzusammeln, und wozu sollte er es thun? Nun, um sie seinen Kindern zu hinterlassen. Ganz recht; aber das schneiden wir auf sehr einfache Weise ab: wir be¬ seitigen das Erbrecht. Das ist freilich gründlich. Es geht nicht anders. Und auf der andern Seite ist es weit weniger hart, als Sie denken. Denn auch die Familie und das Verhältnis der Eltern zu den Kindern wird sich völlig umgestalten. Wodurch? Was ist die Grundlage der jetzigen Familie? Nun, die Ehe. Und wenn wir diese abschaffen? Sie wollen die Ehe abschaffen? Allerdings, wir werden die Axt an die Wurzel legen. Grenzboten IV. 1835 L2

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/657
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/657>, abgerufen am 15.01.2025.