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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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kann und nicht geleugnet wird, beiß hier oft ein Widerstreit der Interessen
stattfindet, Harmonie nur dadurch möglich wird, daß in dem einen Falle das
eine, in dem andern Falle das andre Element sich den Forderungen des
Widerpartes ein- und unterordne, und das ist eben das, was ich behauptet
habe. Wenn es im bürgerlichen Verkehr noch den dritten Ausweg des Kom¬
promisses und der gegenseitigen Einbuße geben mag, so ist dies doch gerade
eine Halbheit, eine bittere Notwendigkeit, nnter welcher als einer unerwünschten
das Interesse der Schönheit mir leiden kann. Denn ein ganz andres ist es,
wenn ein Kunstwerk den Anschein erweckt, es habe eine solche Unterordnung
nicht stattgefunden, wenn aus der Not eine Tugend gemacht wird, als wenn
mit allen theoretischen Konsequenzen bestritten werden soll, daß ein solches Ein¬
fügen in unwillkommene Bedingungen stattgefunden habe; ein andres ist es z B.,
wenn die in der Architektur unvermeidliche Gicbelform vom Plastiker möglichst
günstig ausgenutzt wird, als wenn die Giebelform an sich als dankbare Form
der Umrahmung hingestellt werden soll. Man gebe sich also sowohl theoretisch
wie praktisch etwas genauer Rechenschaft, und eins wird das andre lediglich
bestätigen. Theoretisch stellt sich die Sache, wie hier erörtert worden ist, dar;
aber auch praktisch wird der Maler finden, daß sich sein Gebilde entweder ans
der Formenempfindung allmählich bis zur deutlichen Farbenempfindung, oder aus
einer gewissen deutlichern Farbenempfindung zu konkreter Formengcstaltung in
der Phantasie, eventuell selbst ans der Leinwand entwickelt.




Städtische Arten und Unarten.

s ist doch eine schöne Sache, dnrch die Straßen einer saubern, an¬
sehnlichen Mittel- oder Großstadt zu schlendern. Wie angenehm
geht sichs nicht ans dein glatten Bürgersteig -- auf Deutsch "Trottoir"
genannt! wie zum Beschauen verlockend winken nicht wu allen
Seiten die Auslagen der Kaufläden und selbst der Hcmdwerks-
geschäftc! wie unterhaltend ist nicht die Begegnung mit lauter un¬
bekannten, häufig aber doch aus diesem oder jenem Grunde uns ein flüchtiges
Interesse einflößenden Personen!

Ja, wer sa zum "Flcmiren" Zeit hat, für den ist hier stets "Amüsement,"
und es ist wohl begreiflich, daß sich in den größern Städten, wo uns alle diese
Annehmlichkeiten in höchster Vollendung entgegentreten, eine förmliche Trottoir-
krankheit ausbildet, deren Symptome in einem ungeduldigen, dnrch nichts andres


Grenzboten IV. 1885. 81

kann und nicht geleugnet wird, beiß hier oft ein Widerstreit der Interessen
stattfindet, Harmonie nur dadurch möglich wird, daß in dem einen Falle das
eine, in dem andern Falle das andre Element sich den Forderungen des
Widerpartes ein- und unterordne, und das ist eben das, was ich behauptet
habe. Wenn es im bürgerlichen Verkehr noch den dritten Ausweg des Kom¬
promisses und der gegenseitigen Einbuße geben mag, so ist dies doch gerade
eine Halbheit, eine bittere Notwendigkeit, nnter welcher als einer unerwünschten
das Interesse der Schönheit mir leiden kann. Denn ein ganz andres ist es,
wenn ein Kunstwerk den Anschein erweckt, es habe eine solche Unterordnung
nicht stattgefunden, wenn aus der Not eine Tugend gemacht wird, als wenn
mit allen theoretischen Konsequenzen bestritten werden soll, daß ein solches Ein¬
fügen in unwillkommene Bedingungen stattgefunden habe; ein andres ist es z B.,
wenn die in der Architektur unvermeidliche Gicbelform vom Plastiker möglichst
günstig ausgenutzt wird, als wenn die Giebelform an sich als dankbare Form
der Umrahmung hingestellt werden soll. Man gebe sich also sowohl theoretisch
wie praktisch etwas genauer Rechenschaft, und eins wird das andre lediglich
bestätigen. Theoretisch stellt sich die Sache, wie hier erörtert worden ist, dar;
aber auch praktisch wird der Maler finden, daß sich sein Gebilde entweder ans
der Formenempfindung allmählich bis zur deutlichen Farbenempfindung, oder aus
einer gewissen deutlichern Farbenempfindung zu konkreter Formengcstaltung in
der Phantasie, eventuell selbst ans der Leinwand entwickelt.




Städtische Arten und Unarten.

s ist doch eine schöne Sache, dnrch die Straßen einer saubern, an¬
sehnlichen Mittel- oder Großstadt zu schlendern. Wie angenehm
geht sichs nicht ans dein glatten Bürgersteig — auf Deutsch „Trottoir"
genannt! wie zum Beschauen verlockend winken nicht wu allen
Seiten die Auslagen der Kaufläden und selbst der Hcmdwerks-
geschäftc! wie unterhaltend ist nicht die Begegnung mit lauter un¬
bekannten, häufig aber doch aus diesem oder jenem Grunde uns ein flüchtiges
Interesse einflößenden Personen!

Ja, wer sa zum „Flcmiren" Zeit hat, für den ist hier stets „Amüsement,"
und es ist wohl begreiflich, daß sich in den größern Städten, wo uns alle diese
Annehmlichkeiten in höchster Vollendung entgegentreten, eine förmliche Trottoir-
krankheit ausbildet, deren Symptome in einem ungeduldigen, dnrch nichts andres


Grenzboten IV. 1885. 81
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/649>, abgerufen am 15.01.2025.