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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Lessing und die Farbe in der bildenden Kunst.

auf eine mehr ideal gedachte Licht- und Farbenwirkung hinzustreben. Die Konse¬
quenzen werden sich sofort ergeben.

Was den Farbenreiz der künstlichen Tracht und Bekleidung und ihren ver-
schiednen Stoffcharakter betrifft, welcher der Malerei so manches dankbare Motiv
abgeben muß, so ist er der Plastik nicht prinzipiell verwehrt. Aber wenn schon
die Malerei hier eine Gefahr des allzu Bunten findet, wenn derjenige Meister,
welcher in Pmchtentfaltnng von Gewandstoffeu gewissermaßen der Meister xar
LXLLllsnes ist, Paolo Veronese, eben um das grell "Bunte" zu vermeiden, es
liebte. Gewänder mit andersfarbigem Dessein zu wählen, wodurch gewissermaßen
jede einfarbig schreiende Farbe gebrochen erscheint, so wird die Plastik erst recht
Bedenken tragen müssen, sich hier nicht ins Vnnte zu verlieren; sie wird mehr
die Schönheit der Gewandung in ihrer Formen- und Linienführung suchen, daher
eher eine Art Färbung anstreben, welche diese Formenschönheiten noch mehr hervor¬
hebt, als mit der Malerei um den sehr fragwürdigen Vorzug eines schönbunten
Farbenüberzngs wetteifern, welcher die Formenschönheit eventuell geradezu kreuzt;
im übrigen wird sie wie in der Form, so auch in der Farbe dem nackten Körper
seine volle Bedeutung zu wahren suchen. Was den Reiz der natürlichen Fleisch¬
farbe anlangt, so ist er natürlich der Plastik noch weniger verwehrt als die
bunte Gewandung; aber sie wird auch hier finden, daß ihre Aufgabe mehr
darin bestehen müsse, eine Art abstrahirter Jdealfarbe, als den Reiz der natür¬
lichen Farbe nachzubilden, den selbst die Malerei ohne Helldunkel, ohne künstliche
Kontraste kaum zu erreichen vermag. Für diese Jdealfarbe muß sich wie für
Idealform der Sinn des Plastikers besonders bilden. Man darf also nicht
fragen: Wie soll der Plastiker die Karnation wiedergeben? wohl aber darf man
sagen: Er darf und soll eine mehr abstrahirte Jdealfarbe anstreben. Was die
heikle Frage nach der Färbung der Augen wie der Haare betrifft, so ist dies
Wie in Bezug auf Form, so auch auf Farbe eine bleibende Klippe für die Plastik.
Aber jede Kunst bietet solche Klippen, die wohl mit einem möglichst geringen
Anstoß zu umschiffen sind, bei denen aber eine gewisse Störung der Illusion
kaum zu vermeiden ist. Das Bestreben, solche Störungen zu vermeiden, führt
eben zu dem, was man Naturalismus im tadelnswerten Sinne nennt; tadelns¬
wert, wenn und weil er eine Kraft an Erreichung eines nebensächlichen Vorzuges
setzt, welche besser auf die Hauptsache verwendet würde. Nur dieser Naturalismus
ist ja zu tadeln, welcher eben nicht fragt, mit welchen Opfern an sonstigen
Schönheiten eine untergeordnete erreicht wurde, welcher vergißt und vergessen
zu macheu sucht, daß eben der Vorzug aller Kunst nur in der Kombination
von mancherlei Vorzügen besteht. Wir kommen also auch hier auf die Wichtigkeit
des oben aufgestellten Grundsatzes. Er ist auch hier geradezu entscheidend.

Und ebenso ist er entscheidend schließlich bei Gebieten gemischten Charakters,
bezüglich deren es fraglich ist und bleiben muß, welcher Kunst hier der Vorzug
gebühre, da von einem "einzig und allein dazu geschickt sein" (Lessing) hier


Lessing und die Farbe in der bildenden Kunst.

auf eine mehr ideal gedachte Licht- und Farbenwirkung hinzustreben. Die Konse¬
quenzen werden sich sofort ergeben.

Was den Farbenreiz der künstlichen Tracht und Bekleidung und ihren ver-
schiednen Stoffcharakter betrifft, welcher der Malerei so manches dankbare Motiv
abgeben muß, so ist er der Plastik nicht prinzipiell verwehrt. Aber wenn schon
die Malerei hier eine Gefahr des allzu Bunten findet, wenn derjenige Meister,
welcher in Pmchtentfaltnng von Gewandstoffeu gewissermaßen der Meister xar
LXLLllsnes ist, Paolo Veronese, eben um das grell „Bunte" zu vermeiden, es
liebte. Gewänder mit andersfarbigem Dessein zu wählen, wodurch gewissermaßen
jede einfarbig schreiende Farbe gebrochen erscheint, so wird die Plastik erst recht
Bedenken tragen müssen, sich hier nicht ins Vnnte zu verlieren; sie wird mehr
die Schönheit der Gewandung in ihrer Formen- und Linienführung suchen, daher
eher eine Art Färbung anstreben, welche diese Formenschönheiten noch mehr hervor¬
hebt, als mit der Malerei um den sehr fragwürdigen Vorzug eines schönbunten
Farbenüberzngs wetteifern, welcher die Formenschönheit eventuell geradezu kreuzt;
im übrigen wird sie wie in der Form, so auch in der Farbe dem nackten Körper
seine volle Bedeutung zu wahren suchen. Was den Reiz der natürlichen Fleisch¬
farbe anlangt, so ist er natürlich der Plastik noch weniger verwehrt als die
bunte Gewandung; aber sie wird auch hier finden, daß ihre Aufgabe mehr
darin bestehen müsse, eine Art abstrahirter Jdealfarbe, als den Reiz der natür¬
lichen Farbe nachzubilden, den selbst die Malerei ohne Helldunkel, ohne künstliche
Kontraste kaum zu erreichen vermag. Für diese Jdealfarbe muß sich wie für
Idealform der Sinn des Plastikers besonders bilden. Man darf also nicht
fragen: Wie soll der Plastiker die Karnation wiedergeben? wohl aber darf man
sagen: Er darf und soll eine mehr abstrahirte Jdealfarbe anstreben. Was die
heikle Frage nach der Färbung der Augen wie der Haare betrifft, so ist dies
Wie in Bezug auf Form, so auch auf Farbe eine bleibende Klippe für die Plastik.
Aber jede Kunst bietet solche Klippen, die wohl mit einem möglichst geringen
Anstoß zu umschiffen sind, bei denen aber eine gewisse Störung der Illusion
kaum zu vermeiden ist. Das Bestreben, solche Störungen zu vermeiden, führt
eben zu dem, was man Naturalismus im tadelnswerten Sinne nennt; tadelns¬
wert, wenn und weil er eine Kraft an Erreichung eines nebensächlichen Vorzuges
setzt, welche besser auf die Hauptsache verwendet würde. Nur dieser Naturalismus
ist ja zu tadeln, welcher eben nicht fragt, mit welchen Opfern an sonstigen
Schönheiten eine untergeordnete erreicht wurde, welcher vergißt und vergessen
zu macheu sucht, daß eben der Vorzug aller Kunst nur in der Kombination
von mancherlei Vorzügen besteht. Wir kommen also auch hier auf die Wichtigkeit
des oben aufgestellten Grundsatzes. Er ist auch hier geradezu entscheidend.

Und ebenso ist er entscheidend schließlich bei Gebieten gemischten Charakters,
bezüglich deren es fraglich ist und bleiben muß, welcher Kunst hier der Vorzug
gebühre, da von einem „einzig und allein dazu geschickt sein" (Lessing) hier


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[0647] Lessing und die Farbe in der bildenden Kunst. auf eine mehr ideal gedachte Licht- und Farbenwirkung hinzustreben. Die Konse¬ quenzen werden sich sofort ergeben. Was den Farbenreiz der künstlichen Tracht und Bekleidung und ihren ver- schiednen Stoffcharakter betrifft, welcher der Malerei so manches dankbare Motiv abgeben muß, so ist er der Plastik nicht prinzipiell verwehrt. Aber wenn schon die Malerei hier eine Gefahr des allzu Bunten findet, wenn derjenige Meister, welcher in Pmchtentfaltnng von Gewandstoffeu gewissermaßen der Meister xar LXLLllsnes ist, Paolo Veronese, eben um das grell „Bunte" zu vermeiden, es liebte. Gewänder mit andersfarbigem Dessein zu wählen, wodurch gewissermaßen jede einfarbig schreiende Farbe gebrochen erscheint, so wird die Plastik erst recht Bedenken tragen müssen, sich hier nicht ins Vnnte zu verlieren; sie wird mehr die Schönheit der Gewandung in ihrer Formen- und Linienführung suchen, daher eher eine Art Färbung anstreben, welche diese Formenschönheiten noch mehr hervor¬ hebt, als mit der Malerei um den sehr fragwürdigen Vorzug eines schönbunten Farbenüberzngs wetteifern, welcher die Formenschönheit eventuell geradezu kreuzt; im übrigen wird sie wie in der Form, so auch in der Farbe dem nackten Körper seine volle Bedeutung zu wahren suchen. Was den Reiz der natürlichen Fleisch¬ farbe anlangt, so ist er natürlich der Plastik noch weniger verwehrt als die bunte Gewandung; aber sie wird auch hier finden, daß ihre Aufgabe mehr darin bestehen müsse, eine Art abstrahirter Jdealfarbe, als den Reiz der natür¬ lichen Farbe nachzubilden, den selbst die Malerei ohne Helldunkel, ohne künstliche Kontraste kaum zu erreichen vermag. Für diese Jdealfarbe muß sich wie für Idealform der Sinn des Plastikers besonders bilden. Man darf also nicht fragen: Wie soll der Plastiker die Karnation wiedergeben? wohl aber darf man sagen: Er darf und soll eine mehr abstrahirte Jdealfarbe anstreben. Was die heikle Frage nach der Färbung der Augen wie der Haare betrifft, so ist dies Wie in Bezug auf Form, so auch auf Farbe eine bleibende Klippe für die Plastik. Aber jede Kunst bietet solche Klippen, die wohl mit einem möglichst geringen Anstoß zu umschiffen sind, bei denen aber eine gewisse Störung der Illusion kaum zu vermeiden ist. Das Bestreben, solche Störungen zu vermeiden, führt eben zu dem, was man Naturalismus im tadelnswerten Sinne nennt; tadelns¬ wert, wenn und weil er eine Kraft an Erreichung eines nebensächlichen Vorzuges setzt, welche besser auf die Hauptsache verwendet würde. Nur dieser Naturalismus ist ja zu tadeln, welcher eben nicht fragt, mit welchen Opfern an sonstigen Schönheiten eine untergeordnete erreicht wurde, welcher vergißt und vergessen zu macheu sucht, daß eben der Vorzug aller Kunst nur in der Kombination von mancherlei Vorzügen besteht. Wir kommen also auch hier auf die Wichtigkeit des oben aufgestellten Grundsatzes. Er ist auch hier geradezu entscheidend. Und ebenso ist er entscheidend schließlich bei Gebieten gemischten Charakters, bezüglich deren es fraglich ist und bleiben muß, welcher Kunst hier der Vorzug gebühre, da von einem „einzig und allein dazu geschickt sein" (Lessing) hier

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/647>, abgerufen am 15.01.2025.