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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Lessing und die Farbe in der bildenden Kunst.

ja die theoretische Erörterung, die kunstgeschichtliche Forschung, wie endlich die
Knnstpraxis immer mehr dahin geführt, daß man die entgegenstehende Ansicht
als Vorurteil teils fühlte, teils einleuchtend nachwies. So ging erst die Archi¬
tektur, dann auch die Plastik dazu über, sich die Farbe -- oder vielmehr rich¬
tiger ausgedrückt -- sich ein Mehr von Farbe anzueignen.

War dies nun ein Mißgriff? war es ein Wiederaufleben eines Irrtums,
zu dessen Beseitigung sich gerade Lessing und andre bemühten? oder war es
gerade das Wiedergewinnen eines vornrteilsfreiern, weil mehr auf den realen
Thatsachen fußender Standpunktes? Gleichviel, ob Irrtum oder nicht, so kann
man jedenfalls einem Irrtum keinen größern Vorschub leisten, als wenn man
ihm auch da Unrecht geben will, wo er unbestreitbar im Rechte ist, und dies
ist in Bezug auf Polhchromie in der Plastik und Architektur auf dem Gebiete
der Kunstgeschichte der Fall. Die Ästhetik wird aber nicht so leicht ungestraft
diesen realen Boden verlassen. Genug also, weder theoretisch noch praktisch giebt
es einen Standpunkt, von dem aus man der Plastik und Architektur die Farbe
schlechterdings streitig machen könnte. Es kann sich also nur um das richtige
Maß von Farbe handeln. Und da kann es doch auch wieder keine Frage sein,
es handelt sich auch hier wieder darum, die Vorzüge zu ermitteln, welche in
dieser Kombination sonst keine andre Kunst zu erreichen vermag. Und ebenso
leuchtet ein, daß diese Kombination mannichfaltiger Art sein kann, daß es dem¬
nach schwer halten dürfte, ein einfaches Rezept hierfür aufzustellen. Eher wird
es möglich sein, das Negative zu bestimmen, z. B. das, was in dieser Hinsicht
der Plastik und Architektur gänzlich verwehrt oder jedenfalls nur ausnahms¬
weise gestattet sein dürfte; und da sind wir glücklicherweise in der Lage,
an dem vollendetsten Gegensatze des rein plastischen Prinzips, an Rembrandt
nämlich, gewissermaßen einen Maßstab zu besitzen von dem, was die Plastik
nicht erstreben darf, ohne ein Gebiet zu berühren, worin die Malerei es ihr
immer zuvor thun wird. Das ist vor allem der Reiz der Lichtwirkung an sich,
des auf einen Punkt konzentrirtcn, des verschiedenartigen Lichtes, des Reflexes,
des Helldunkels u. s. w. Indes wird die Plastik auf dieses Gebiet umso leichter
Verzicht leisten können, als es in seinem vollen Reize selbst in der Malerei
nicht ohne erhebliche Opfer an sonstigen Vorzügen erreichbar ist. Die Plastik
wird sich dieses Elements und der dabei gemachten Erfahrungen in ganz andrer
Weise bemächtigen. Sie wird daraus entnehmen, daß das Licht, wie die Farbe
überhaupt, ein wechselnderes, flüchtigeres, zufälligeres Element sei als die Form,
ein Element, welches deshalb Formen wie Farben je nach Umständen sehr ver¬
schieden erscheinen lasse. Und wenn es nun Aufgabe der Malerei ist, die Formen¬
reize ebenso wie die der Farbe und des Lichtes nnter Annahme einer bestimmten
Ansicht, Beleuchtung festzuhalten, so wird umgekehrt die Plastik aus dieser starken
Veränderlichkeit der Farben- und Lichtwirkung eine desto größere Berechtigung
für sich absircchiren, sich von der Form dieses Elements zu emanzipiren und


Lessing und die Farbe in der bildenden Kunst.

ja die theoretische Erörterung, die kunstgeschichtliche Forschung, wie endlich die
Knnstpraxis immer mehr dahin geführt, daß man die entgegenstehende Ansicht
als Vorurteil teils fühlte, teils einleuchtend nachwies. So ging erst die Archi¬
tektur, dann auch die Plastik dazu über, sich die Farbe — oder vielmehr rich¬
tiger ausgedrückt — sich ein Mehr von Farbe anzueignen.

War dies nun ein Mißgriff? war es ein Wiederaufleben eines Irrtums,
zu dessen Beseitigung sich gerade Lessing und andre bemühten? oder war es
gerade das Wiedergewinnen eines vornrteilsfreiern, weil mehr auf den realen
Thatsachen fußender Standpunktes? Gleichviel, ob Irrtum oder nicht, so kann
man jedenfalls einem Irrtum keinen größern Vorschub leisten, als wenn man
ihm auch da Unrecht geben will, wo er unbestreitbar im Rechte ist, und dies
ist in Bezug auf Polhchromie in der Plastik und Architektur auf dem Gebiete
der Kunstgeschichte der Fall. Die Ästhetik wird aber nicht so leicht ungestraft
diesen realen Boden verlassen. Genug also, weder theoretisch noch praktisch giebt
es einen Standpunkt, von dem aus man der Plastik und Architektur die Farbe
schlechterdings streitig machen könnte. Es kann sich also nur um das richtige
Maß von Farbe handeln. Und da kann es doch auch wieder keine Frage sein,
es handelt sich auch hier wieder darum, die Vorzüge zu ermitteln, welche in
dieser Kombination sonst keine andre Kunst zu erreichen vermag. Und ebenso
leuchtet ein, daß diese Kombination mannichfaltiger Art sein kann, daß es dem¬
nach schwer halten dürfte, ein einfaches Rezept hierfür aufzustellen. Eher wird
es möglich sein, das Negative zu bestimmen, z. B. das, was in dieser Hinsicht
der Plastik und Architektur gänzlich verwehrt oder jedenfalls nur ausnahms¬
weise gestattet sein dürfte; und da sind wir glücklicherweise in der Lage,
an dem vollendetsten Gegensatze des rein plastischen Prinzips, an Rembrandt
nämlich, gewissermaßen einen Maßstab zu besitzen von dem, was die Plastik
nicht erstreben darf, ohne ein Gebiet zu berühren, worin die Malerei es ihr
immer zuvor thun wird. Das ist vor allem der Reiz der Lichtwirkung an sich,
des auf einen Punkt konzentrirtcn, des verschiedenartigen Lichtes, des Reflexes,
des Helldunkels u. s. w. Indes wird die Plastik auf dieses Gebiet umso leichter
Verzicht leisten können, als es in seinem vollen Reize selbst in der Malerei
nicht ohne erhebliche Opfer an sonstigen Vorzügen erreichbar ist. Die Plastik
wird sich dieses Elements und der dabei gemachten Erfahrungen in ganz andrer
Weise bemächtigen. Sie wird daraus entnehmen, daß das Licht, wie die Farbe
überhaupt, ein wechselnderes, flüchtigeres, zufälligeres Element sei als die Form,
ein Element, welches deshalb Formen wie Farben je nach Umständen sehr ver¬
schieden erscheinen lasse. Und wenn es nun Aufgabe der Malerei ist, die Formen¬
reize ebenso wie die der Farbe und des Lichtes nnter Annahme einer bestimmten
Ansicht, Beleuchtung festzuhalten, so wird umgekehrt die Plastik aus dieser starken
Veränderlichkeit der Farben- und Lichtwirkung eine desto größere Berechtigung
für sich absircchiren, sich von der Form dieses Elements zu emanzipiren und


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[0646] Lessing und die Farbe in der bildenden Kunst. ja die theoretische Erörterung, die kunstgeschichtliche Forschung, wie endlich die Knnstpraxis immer mehr dahin geführt, daß man die entgegenstehende Ansicht als Vorurteil teils fühlte, teils einleuchtend nachwies. So ging erst die Archi¬ tektur, dann auch die Plastik dazu über, sich die Farbe — oder vielmehr rich¬ tiger ausgedrückt — sich ein Mehr von Farbe anzueignen. War dies nun ein Mißgriff? war es ein Wiederaufleben eines Irrtums, zu dessen Beseitigung sich gerade Lessing und andre bemühten? oder war es gerade das Wiedergewinnen eines vornrteilsfreiern, weil mehr auf den realen Thatsachen fußender Standpunktes? Gleichviel, ob Irrtum oder nicht, so kann man jedenfalls einem Irrtum keinen größern Vorschub leisten, als wenn man ihm auch da Unrecht geben will, wo er unbestreitbar im Rechte ist, und dies ist in Bezug auf Polhchromie in der Plastik und Architektur auf dem Gebiete der Kunstgeschichte der Fall. Die Ästhetik wird aber nicht so leicht ungestraft diesen realen Boden verlassen. Genug also, weder theoretisch noch praktisch giebt es einen Standpunkt, von dem aus man der Plastik und Architektur die Farbe schlechterdings streitig machen könnte. Es kann sich also nur um das richtige Maß von Farbe handeln. Und da kann es doch auch wieder keine Frage sein, es handelt sich auch hier wieder darum, die Vorzüge zu ermitteln, welche in dieser Kombination sonst keine andre Kunst zu erreichen vermag. Und ebenso leuchtet ein, daß diese Kombination mannichfaltiger Art sein kann, daß es dem¬ nach schwer halten dürfte, ein einfaches Rezept hierfür aufzustellen. Eher wird es möglich sein, das Negative zu bestimmen, z. B. das, was in dieser Hinsicht der Plastik und Architektur gänzlich verwehrt oder jedenfalls nur ausnahms¬ weise gestattet sein dürfte; und da sind wir glücklicherweise in der Lage, an dem vollendetsten Gegensatze des rein plastischen Prinzips, an Rembrandt nämlich, gewissermaßen einen Maßstab zu besitzen von dem, was die Plastik nicht erstreben darf, ohne ein Gebiet zu berühren, worin die Malerei es ihr immer zuvor thun wird. Das ist vor allem der Reiz der Lichtwirkung an sich, des auf einen Punkt konzentrirtcn, des verschiedenartigen Lichtes, des Reflexes, des Helldunkels u. s. w. Indes wird die Plastik auf dieses Gebiet umso leichter Verzicht leisten können, als es in seinem vollen Reize selbst in der Malerei nicht ohne erhebliche Opfer an sonstigen Vorzügen erreichbar ist. Die Plastik wird sich dieses Elements und der dabei gemachten Erfahrungen in ganz andrer Weise bemächtigen. Sie wird daraus entnehmen, daß das Licht, wie die Farbe überhaupt, ein wechselnderes, flüchtigeres, zufälligeres Element sei als die Form, ein Element, welches deshalb Formen wie Farben je nach Umständen sehr ver¬ schieden erscheinen lasse. Und wenn es nun Aufgabe der Malerei ist, die Formen¬ reize ebenso wie die der Farbe und des Lichtes nnter Annahme einer bestimmten Ansicht, Beleuchtung festzuhalten, so wird umgekehrt die Plastik aus dieser starken Veränderlichkeit der Farben- und Lichtwirkung eine desto größere Berechtigung für sich absircchiren, sich von der Form dieses Elements zu emanzipiren und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/646>, abgerufen am 15.01.2025.