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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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Heidelberger Erinnerungen.

diesen schließen sich die Erinnerungen an Georg Friedrich Falkenstein, an
Welcker, den Verfasser des Staatslexikons und Führer des badischen Liberalismus,
an den wunderlichen Philosophen Christian Kapp, den erbitterten Hasser
Schellings. Mit diesen treten wir auf einen Boden, auf dem sich haupt¬
sächlich die Heidelberger "Originale" bewegen, von denen das echteste und be¬
rühmteste der cynische Nechtsprofessvr Karl Eduard Morstadt war, dessen
schmähsüchtige Kritik seiner Kollegen Mittermaier und Zöpsl jahrzehntelang das
Gaudium der juristischen und aller Studenten blieb, welche eine Gastrolle in Mor-
stadts Vorlesungen gaben, den man aus der Prüfungskommission ausschließen
mußte, weil er ein Werk Zöpfls in Gegenwart des Examinanden einen Wisch
nannte, der von seinen Kollegen ebenso gefürchtet und gemieden, wie vom
großen Haufen der Studenten bewundert wurde. Mit der imposanten
Gestalt des Juristen Vangerow, mit Robert von Mohl, dem Historiker
Ludwig Hauffer, mit Josias von Bunsen endlich, der einige seiner letzten
Lebensjahre in Heidelberg zubrachte, treten wieder andre Persönlichkeiten auf,
bis in einem Schlnßlapitel noch Bluntschli und seine Denkwürdigkeiten be¬
sprochen werden. Das Ganze ist nicht kunstvoll, aber zweckmäßig angeordnet,
und die Übergänge von einem zum andern dieser "Erinnerungen," die manch¬
mal geradezu den Charakter von Plaudereien annehmen, sind oft ganz anmutig.
Den Standpunkt, deu er all den verschiednen Menschenerscheinungcn und Be¬
strebungen gegenüber eingenommen hat, charakterisirt der Verfasser selbst im
Schlußwort: "Auf alten Bildern, auf denen eine große Aktion mit vielen Personen
dargestellt ist, sieht man manchmal im Hintergrunde unter den Zuschauern das
Porträt des Malers. Er wollte offenbar damit andeuten, daß er die Szenen,
die er vorstellte, aus der nächsten Nähe beobachtet, sie in sein Vorstellungsver-
mögen aufgenommen und nach seiner Eigenart und individuellen Phantasie ent¬
worfen habe. Ähnlich verhält sich der Verfasser zu den obigen Umrissen des
gesellschaftlichen und akademischen Lebens in Heidelberg während der ersten Hälfte
unsers Jahrhunderts. Da er selbst nicht der Universität angehörte und nie zu
den sogenannten Strebern gezählt wurde, welche allenthalben mitthun oder selbst
eine Rolle spielen wollen, so hat er viel Vertrauen genossen und in vertrau¬
lichen Gesprächen manche Interim vernommen, manchen Vorfall und manches
Urteil von verschiednen Seiten beobachten können. Er selbst hat nie einen
schroffen, doktrinären Parteistandpunkt eingenommen; er war vielmehr wie Goethe
der Meinung, daß eine große Zahl der Vernünftigen dem Angesichte Gottes
gegenüber geschaart sei." Gern wird jeder Leser den "Heidelberger Erinnerungen"
zugestehen, daß sich der greise Verfasser redlich bemüht zeigt, gerecht und billig
zu urteilen, daß seine vertraulichen Plaudereien nirgends in die jetzt so beliebten
frechen und rücksichtslosen Indiskretionen übergehen. "Ein Vermächtnis für
Stadt und Universität" nennt Georg Weber sein Buch; uns dünkt, daß es mehr,
daß es bei herannahendem Jubelfeste der Heidelberger Hochschule für alle ehe-


Heidelberger Erinnerungen.

diesen schließen sich die Erinnerungen an Georg Friedrich Falkenstein, an
Welcker, den Verfasser des Staatslexikons und Führer des badischen Liberalismus,
an den wunderlichen Philosophen Christian Kapp, den erbitterten Hasser
Schellings. Mit diesen treten wir auf einen Boden, auf dem sich haupt¬
sächlich die Heidelberger „Originale" bewegen, von denen das echteste und be¬
rühmteste der cynische Nechtsprofessvr Karl Eduard Morstadt war, dessen
schmähsüchtige Kritik seiner Kollegen Mittermaier und Zöpsl jahrzehntelang das
Gaudium der juristischen und aller Studenten blieb, welche eine Gastrolle in Mor-
stadts Vorlesungen gaben, den man aus der Prüfungskommission ausschließen
mußte, weil er ein Werk Zöpfls in Gegenwart des Examinanden einen Wisch
nannte, der von seinen Kollegen ebenso gefürchtet und gemieden, wie vom
großen Haufen der Studenten bewundert wurde. Mit der imposanten
Gestalt des Juristen Vangerow, mit Robert von Mohl, dem Historiker
Ludwig Hauffer, mit Josias von Bunsen endlich, der einige seiner letzten
Lebensjahre in Heidelberg zubrachte, treten wieder andre Persönlichkeiten auf,
bis in einem Schlnßlapitel noch Bluntschli und seine Denkwürdigkeiten be¬
sprochen werden. Das Ganze ist nicht kunstvoll, aber zweckmäßig angeordnet,
und die Übergänge von einem zum andern dieser „Erinnerungen," die manch¬
mal geradezu den Charakter von Plaudereien annehmen, sind oft ganz anmutig.
Den Standpunkt, deu er all den verschiednen Menschenerscheinungcn und Be¬
strebungen gegenüber eingenommen hat, charakterisirt der Verfasser selbst im
Schlußwort: „Auf alten Bildern, auf denen eine große Aktion mit vielen Personen
dargestellt ist, sieht man manchmal im Hintergrunde unter den Zuschauern das
Porträt des Malers. Er wollte offenbar damit andeuten, daß er die Szenen,
die er vorstellte, aus der nächsten Nähe beobachtet, sie in sein Vorstellungsver-
mögen aufgenommen und nach seiner Eigenart und individuellen Phantasie ent¬
worfen habe. Ähnlich verhält sich der Verfasser zu den obigen Umrissen des
gesellschaftlichen und akademischen Lebens in Heidelberg während der ersten Hälfte
unsers Jahrhunderts. Da er selbst nicht der Universität angehörte und nie zu
den sogenannten Strebern gezählt wurde, welche allenthalben mitthun oder selbst
eine Rolle spielen wollen, so hat er viel Vertrauen genossen und in vertrau¬
lichen Gesprächen manche Interim vernommen, manchen Vorfall und manches
Urteil von verschiednen Seiten beobachten können. Er selbst hat nie einen
schroffen, doktrinären Parteistandpunkt eingenommen; er war vielmehr wie Goethe
der Meinung, daß eine große Zahl der Vernünftigen dem Angesichte Gottes
gegenüber geschaart sei." Gern wird jeder Leser den „Heidelberger Erinnerungen"
zugestehen, daß sich der greise Verfasser redlich bemüht zeigt, gerecht und billig
zu urteilen, daß seine vertraulichen Plaudereien nirgends in die jetzt so beliebten
frechen und rücksichtslosen Indiskretionen übergehen. „Ein Vermächtnis für
Stadt und Universität" nennt Georg Weber sein Buch; uns dünkt, daß es mehr,
daß es bei herannahendem Jubelfeste der Heidelberger Hochschule für alle ehe-


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[0642] Heidelberger Erinnerungen. diesen schließen sich die Erinnerungen an Georg Friedrich Falkenstein, an Welcker, den Verfasser des Staatslexikons und Führer des badischen Liberalismus, an den wunderlichen Philosophen Christian Kapp, den erbitterten Hasser Schellings. Mit diesen treten wir auf einen Boden, auf dem sich haupt¬ sächlich die Heidelberger „Originale" bewegen, von denen das echteste und be¬ rühmteste der cynische Nechtsprofessvr Karl Eduard Morstadt war, dessen schmähsüchtige Kritik seiner Kollegen Mittermaier und Zöpsl jahrzehntelang das Gaudium der juristischen und aller Studenten blieb, welche eine Gastrolle in Mor- stadts Vorlesungen gaben, den man aus der Prüfungskommission ausschließen mußte, weil er ein Werk Zöpfls in Gegenwart des Examinanden einen Wisch nannte, der von seinen Kollegen ebenso gefürchtet und gemieden, wie vom großen Haufen der Studenten bewundert wurde. Mit der imposanten Gestalt des Juristen Vangerow, mit Robert von Mohl, dem Historiker Ludwig Hauffer, mit Josias von Bunsen endlich, der einige seiner letzten Lebensjahre in Heidelberg zubrachte, treten wieder andre Persönlichkeiten auf, bis in einem Schlnßlapitel noch Bluntschli und seine Denkwürdigkeiten be¬ sprochen werden. Das Ganze ist nicht kunstvoll, aber zweckmäßig angeordnet, und die Übergänge von einem zum andern dieser „Erinnerungen," die manch¬ mal geradezu den Charakter von Plaudereien annehmen, sind oft ganz anmutig. Den Standpunkt, deu er all den verschiednen Menschenerscheinungcn und Be¬ strebungen gegenüber eingenommen hat, charakterisirt der Verfasser selbst im Schlußwort: „Auf alten Bildern, auf denen eine große Aktion mit vielen Personen dargestellt ist, sieht man manchmal im Hintergrunde unter den Zuschauern das Porträt des Malers. Er wollte offenbar damit andeuten, daß er die Szenen, die er vorstellte, aus der nächsten Nähe beobachtet, sie in sein Vorstellungsver- mögen aufgenommen und nach seiner Eigenart und individuellen Phantasie ent¬ worfen habe. Ähnlich verhält sich der Verfasser zu den obigen Umrissen des gesellschaftlichen und akademischen Lebens in Heidelberg während der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts. Da er selbst nicht der Universität angehörte und nie zu den sogenannten Strebern gezählt wurde, welche allenthalben mitthun oder selbst eine Rolle spielen wollen, so hat er viel Vertrauen genossen und in vertrau¬ lichen Gesprächen manche Interim vernommen, manchen Vorfall und manches Urteil von verschiednen Seiten beobachten können. Er selbst hat nie einen schroffen, doktrinären Parteistandpunkt eingenommen; er war vielmehr wie Goethe der Meinung, daß eine große Zahl der Vernünftigen dem Angesichte Gottes gegenüber geschaart sei." Gern wird jeder Leser den „Heidelberger Erinnerungen" zugestehen, daß sich der greise Verfasser redlich bemüht zeigt, gerecht und billig zu urteilen, daß seine vertraulichen Plaudereien nirgends in die jetzt so beliebten frechen und rücksichtslosen Indiskretionen übergehen. „Ein Vermächtnis für Stadt und Universität" nennt Georg Weber sein Buch; uns dünkt, daß es mehr, daß es bei herannahendem Jubelfeste der Heidelberger Hochschule für alle ehe-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/642>, abgerufen am 15.01.2025.