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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal.

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würden sicherlich von einem Parlamente, welches von der großen Masse des
Volkes gewählt wäre, sehr wenig Achtung und Förderung ihrer Interessen zu
hoffen haben. Es wäre aber Unrecht und Schande, wenn England jene Klasse
der irischen Bevölkerung verlassen und opfern wollte. Einige sind Protestanten,
einige Katholiken, alle loyal gesinnt, alle nach Familientradition Freunde
Englands. Seit Jahrhunderten war es englische Politik, ihnen ausschließliche
Rechte und Befugnisse zu erteilen, indem man ihnen dabei stillschweigend sagte:
Haltet die Insel für uns fest, haltet die keltische und katholische Bevölkerung
nieder, wir stehen hinter euch, ihr könnt nach Belieben drücken, aussaugen und
plündern, um Aufstand niederzuhalten und unsre Fahne über ihnen wehen zu
lassen. Sie erfüllten an ihren Teile dem schändlichen Vertrag. Allmählich
siegten Gerechtigkeit, Billigkeit und menschliches Gefühl, sie verloren ihre Vor¬
rechte eins nach dem andern, bis ihnen nichts mehr blieb als ihr gesetzliches
Recht auf die Ländereien, die sie geerbt oder gekauft hatten. Jetzt wird vor¬
geschlagen, ihnen die Kehrseite zuzuwenden und ihnen zuzurufen: Wir brauchen
euch nicht mehr, wir gedenken das Land, wo ihr sitzt, Herrn Parnell und seiner
Partei zu überlassen, er soll mit ihr neue Gesetze anfertigen und über die Polizei
verfügen, seht zu, daß ihr euch mit ihm verträgt, und daß ihr gute Bedingungen
von ihnen erlangt. Zwei oder drei Jahrhunderte also hätte England, hätten
die beiden großen Parteien, die sich um die Herrschaft in England streiten, eine
Klasse der irischen Gesellschaft zur Anmaßung und Bedrückung der übrigen er¬
muntert und sie gleichsam als Garnison zur Niederhaltung derselbe" behandelt,
und jetzt wollte man sie plötzlich, bloß um der einen oder der andern jener
Parteien die Herrschaft in England zu sichern, verlassen und hilflos dem Volke
überliefern, dessen Feindschaft sie sich auf Englands Anregung und zur Aufrecht¬
haltung der Obmacht Englands über Irland zugezogen haben. In der That,
kein politischer Rückzug hat jemals unter solchen Umständen stattgefunden wie
der, den Gladstone oder Salisbury dann mit ihrem Parlamente antreten würden.

Es giebt aber noch einen Teil Irlands, der unter einem selbständigen
Parlament in Dublin bedroht sein und zu leiden haben würde. Im Norden
der Insel ist der gesamte Reichtum, die gesamte Gewerbthätigkeit und die ge¬
samte Bildung gegen die Partei der Homeruler, und nur von den Tagelöhnern,
welche protestantischer Unternehmungsgeist ans den Provinzen Conncmght und
Leinster hierher gezogen hat, wird ihnen an den Stimmurnen die Stange ge¬
halten und häufig der Sieg entrissen. Auch sie würden praktisch geopfert
werden, wenn Irland unabhängig werden sollte. Ihr Hauptfehler in der Ver¬
gangenheit bestand darin, daß sie den Haß gegen den Katholizismus bewahrten,
den ihnen englische Könige und Minister einflößten, der aber jetzt hier vergessen
ist. Sie waren getreue Unterthanen und gediehen unter den englischen Gesetzen.
Werden sie den Mut haben, getreue Unterthanen zu bleiben, werden sie zu
gedeihen fortfahren, wenn Parnells Wille ihr Gesetz wird?


würden sicherlich von einem Parlamente, welches von der großen Masse des
Volkes gewählt wäre, sehr wenig Achtung und Förderung ihrer Interessen zu
hoffen haben. Es wäre aber Unrecht und Schande, wenn England jene Klasse
der irischen Bevölkerung verlassen und opfern wollte. Einige sind Protestanten,
einige Katholiken, alle loyal gesinnt, alle nach Familientradition Freunde
Englands. Seit Jahrhunderten war es englische Politik, ihnen ausschließliche
Rechte und Befugnisse zu erteilen, indem man ihnen dabei stillschweigend sagte:
Haltet die Insel für uns fest, haltet die keltische und katholische Bevölkerung
nieder, wir stehen hinter euch, ihr könnt nach Belieben drücken, aussaugen und
plündern, um Aufstand niederzuhalten und unsre Fahne über ihnen wehen zu
lassen. Sie erfüllten an ihren Teile dem schändlichen Vertrag. Allmählich
siegten Gerechtigkeit, Billigkeit und menschliches Gefühl, sie verloren ihre Vor¬
rechte eins nach dem andern, bis ihnen nichts mehr blieb als ihr gesetzliches
Recht auf die Ländereien, die sie geerbt oder gekauft hatten. Jetzt wird vor¬
geschlagen, ihnen die Kehrseite zuzuwenden und ihnen zuzurufen: Wir brauchen
euch nicht mehr, wir gedenken das Land, wo ihr sitzt, Herrn Parnell und seiner
Partei zu überlassen, er soll mit ihr neue Gesetze anfertigen und über die Polizei
verfügen, seht zu, daß ihr euch mit ihm verträgt, und daß ihr gute Bedingungen
von ihnen erlangt. Zwei oder drei Jahrhunderte also hätte England, hätten
die beiden großen Parteien, die sich um die Herrschaft in England streiten, eine
Klasse der irischen Gesellschaft zur Anmaßung und Bedrückung der übrigen er¬
muntert und sie gleichsam als Garnison zur Niederhaltung derselbe» behandelt,
und jetzt wollte man sie plötzlich, bloß um der einen oder der andern jener
Parteien die Herrschaft in England zu sichern, verlassen und hilflos dem Volke
überliefern, dessen Feindschaft sie sich auf Englands Anregung und zur Aufrecht¬
haltung der Obmacht Englands über Irland zugezogen haben. In der That,
kein politischer Rückzug hat jemals unter solchen Umständen stattgefunden wie
der, den Gladstone oder Salisbury dann mit ihrem Parlamente antreten würden.

Es giebt aber noch einen Teil Irlands, der unter einem selbständigen
Parlament in Dublin bedroht sein und zu leiden haben würde. Im Norden
der Insel ist der gesamte Reichtum, die gesamte Gewerbthätigkeit und die ge¬
samte Bildung gegen die Partei der Homeruler, und nur von den Tagelöhnern,
welche protestantischer Unternehmungsgeist ans den Provinzen Conncmght und
Leinster hierher gezogen hat, wird ihnen an den Stimmurnen die Stange ge¬
halten und häufig der Sieg entrissen. Auch sie würden praktisch geopfert
werden, wenn Irland unabhängig werden sollte. Ihr Hauptfehler in der Ver¬
gangenheit bestand darin, daß sie den Haß gegen den Katholizismus bewahrten,
den ihnen englische Könige und Minister einflößten, der aber jetzt hier vergessen
ist. Sie waren getreue Unterthanen und gediehen unter den englischen Gesetzen.
Werden sie den Mut haben, getreue Unterthanen zu bleiben, werden sie zu
gedeihen fortfahren, wenn Parnells Wille ihr Gesetz wird?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_196733/630>, abgerufen am 15.01.2025.